Im syrisch-libanesischen Dialekt gibt es die Redensart: „Begrabe mich!“ Sie stellt auf höchst faszinierende Weise eine Verknüpfung zwischen Tod und Liebe her. Wörtlich sagt sie: „Ich möchte von dir unter die Erde gebracht werden.“ Übertragen meint sie: „Möge dein Leben länger währen als meines.“ Oder anders formuliert: „Ich liebe dich so sehr, dass ich es nicht ertragen könnte, dich zu verlieren.“
Dieses Sprichwort hat sich weit von seinem eigentlichen semantischen Gehalt entfernt. Sprache ist naturgemäß trügerisch. Die Wendung „Begrabe mich!“ aber ist, was ihren ursprünglichen Sinn betrifft, um einiges trügerischer als andere Redensarten. Denn ausnahmslos jeder, der heute „Begrabe mich!“ hört, versteht es als Ausdruck höchster Zuneigung. Von ihrer Bedeutungsschwere befreit, die dunklen Schatten fortgewischt und mit einem lebensbejahenden Tenor versehen, wurde die Wendung in neue Räume entlassen. Heute sagt eine Mutter zu ihrem Kind, wenn sie es herzt: „Begrabe mich!“ Zu hören bekommt es auch der Liebste in einträchtiger Zweisamkeit oder eine Schöne im Vorübergehen von einem übermütigen Jugendlichen.
Hat die Redewendung wirklich eine vollkommene Loslösung von ihrem Ursprung erfahren? Nein, keineswegs! Nach wie vor klingt ein Zusammenspiel von Liebe und Tod an. Das Gefühl, das damit geäußert wird, ist genauso gewaltig und absolut wie der Tod.
Eine andere, fast in Vergessenheit geratene syrische Redensart, die noch weitaus schöner und tiefgründiger ist, belegt dies: „Pflanze für mich eine Myrte!“, was so viel heißt wie: „Mögest du mich überleben und eine Myrte auf mein Grab pflanzen.“ Beide Ausdrücke entspringen einem kulturhistorischen Konzept von Liebe als etwas überaus Bedeutsamem, Schicksalhaften mit tragischer Dimension – ja, als Synonym für Wahnsinn und Untergang. Gepaart mit dem Tod, ist die Liebe eine Leidenschaft, die der Macht des Todes trotzt. Das eigene Ich löst sich in der Passion zum anderen auf.
Aus dem Arabischen von Leila Chammaa