Kunst | USA

Das geheime Leben der Kaltwasserkorallen

Der lateinamerikanisch-kalifornische Künstler Saul Villegas verbindet in seinen digitalen 3D-Welten Kunst und Wissenschaft
Eine Kaltwasserkoralle

Kaltwasserkorallen können tausende Jahre alt werden.

Blumenartige Wesen, die sich zwischen Trompetenfischen und Seepferdchen in leuchtenden Farben in den Gezeiten wiegen: Lange dachte man, dass Korallen nur in den warmen Gewässern der Tropen gedeihen. Doch ihre Verwandten, die sogenannten Kaltwasserkorallen, gibt es in jedem Weltmeer. Die uralten Lebewesen der finsteren Tiefsee können bis zu 4.000 Jahre alt werden und überleben in bis zu 6.000 Metern Tiefe. Manche von den heute lebenden Kaltwasserkorallen haben also schon zur Zeit der Pharaonen existiert. Sie können uns nicht nur unglaublich viel über die Geschichte der Ozeane verraten, sie besitzen auch eine noch kaum bekannte psychedelische Schönheit. Anders als ihre tropischen Verwandten leben Kaltwasserkorallen ohne Licht und ohne symbiotischen Algen. Stattdessen formen sie mit ihren Kalkskeletten langsam wachsende, bizarre Landschaften aus verschnörkelten Strukturen – Lebensräume für Tausende andere Arten, viele davon noch unerforscht.

Der lateinamerikanisch-kalifornische Multimediakünstler Saul Villegas erarbeitete in Zusammenarbeit mit der University of California und der Ozeanografie-Behörde der USA (NOAA) in Kalifornien und Hawaii eine kostenlose, digital begehbare 3D-Ausstellung, für die er wissenschaftliche Funde, Videos und Tiefseefotografie künstlerisch bearbeitete. Villegas Motivation: die abstrakte Natur des Ozeans zu visualisieren und das Unsichtbare erfahrbar zu machen. In der digitalen Ausstellung gleiten Besucher*innen durch surreale Unterwasserwelten, in denen Wissenschaft und Kunst nahtlos ineinanderfließen.

Villegas ist überzeugt, dass Korallen eine Art Erzählung über die Verschmelzung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglichen. Die abstrakten und riesigen Verzweigungen der Korallenkolonien sind für ihn eine Metapher, dass unsichtbar und sichtbar unzählige Parallelidentitäten und Wirklichkeiten in unserer Gesellschaft, aber auch in unserem Unbewussten existieren. Die Ausstellung ist zugleich ein Protest gegen das Vergessen jener verborgenen Welten, die durch Tiefseebergbau, Überfischung und Klimawandel bedroht sind. Villegas versteht die Korallenriffe – besonders jene der Tiefe – als Archive eines planetaren Gedächtnisses, in dem Spuren geologischer, biologischer und auch menschlicher Geschichte gespeichert sind.