Standpunkt | Kultur

Ich bin dafür, dass wir Kultur in Kreisläufen denken

Die Komponistin Juliana Hodkinson

Die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit sind eng miteinander verflochten und erfordern ganzheitliche Lösungen. Für die Kulturfinanzierung heißt das: Wir müssen den kulturellen „Wert“ breiter fassen und ihn neu in kulturellen Kreislaufökonomien verorten. Die strategischen Wirtschaftsmodelle, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, um im Sinn einer Kreislaufökonomie für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen, können auch auf das Ökosystem Kultur angewendet werden.

Dieses Kreislaufdenken nutzbar zu machen, heißt auch, sich von Gegensätzen zu trennen, die unsere kulturellen Strukturen geprägt haben. Das 20. Jahrhundert hat die Trennung von Hochkultur und Populärkultur geschaffen und dann wieder aufgehoben. Heute können andere Gegensätze – etwa analog und digital, profitorientiert und gemeinnützig, privat und öffentlich finanziert – so gestaltet werden, dass sie einem Kreislaufdenken entsprechen.

„Das Geld häuft sich oft in den falschen Händen“

Viele behaupten, Kultur sei weniger dringlich als anderes. Aber gerade in schwierigen Zeiten wächst das Bedürfnis nach künstlerischen Darstellungen und Erzählungen, die unsere Gegenwart reflektieren und neue kollektive Impulse für die Menschheit schaffen.

Auch ist es ein Mythos, dass wir uns in schwierigen Zeiten keine Kultur leisten können. Nur das Geld häuft sich oft in den falschen Händen und muss umverteilt werden – zum Beispiel durch die Regulierung von Big Tech, Steuererleichterungen für Künstlerinnen und Künstler und eine andere Kulturförderung.

Im Zuge der globalen Aufrüstung schichten viele Länder in Windeseile riesige Summen an öffentlichen Ausgaben um. Dies führt nicht nur zu Budgetkürzungen, sondern auch zu einer stärkeren Politisierung der Kulturförderung durch konservative Regierungen, deren kulturelle Werte nach rechts driften. Während die öffentliche Kulturförderung in der Vergangenheit vorwiegend eine Vorstellung von „freier“ Kunst unterstützte, die von profitorientierten Kulturprodukten getrennt war, vermengen sich die beiden Bereiche inzwischen immer stärker. 

Wir brauchen deshalb mehr produktive Mischformen der Kulturfinanzierung, auch im internationalen Austausch. Trotz der Budgetkürzungen gibt es dabei immer mehr Möglichkeiten den grünen Wandel umzusetzen. Dies alles kann gelingen, indem man Wissen über Kreislaufwirtschaft aus anderen Branchen für kulturelle Geldströme nutzbar macht. Kreislaufwirtschaftliches Denken bedeutet nicht nur, auf Wachstum zu verzichten. Es geht darum, mehr positive Impulse zu setzen, die Entkopplung und Wachstum zugleich ermöglichen.

„In Zeiten geopolitischer Spannungen können Nischen kultureller Vielfalt Gemeinschaft stärken“

Ein Beispiel ist die Musikindustrie: Musikstreaming wächst rasant und generiert enorme Einnahmen, etwa aus Urheberrechten. Dennoch nagen immer mehr Künstlerinnen und Künstler am Hungertuch. Große Unternehmen verfolgen Geschäftsstrategien, die faire Vertriebsmodelle blockieren und musikalische Vielfalt und „Kulturförderung“ reduzieren. 

Intelligente Alternativen wie die grönländische Streaming-App Tusass Music sind jedoch möglich. Die App macht den Underground Grönlands einem breiteren Publikum zugänglich, unterstützt Musikerinnen und Musiker der Insel und insbesondere die Musikkultur der Inuit. Sie bedient einen Nischenmarkt, der durch kleine, oft geografisch weit voneinander entfernte Gemeinschaften gekennzeichnet ist. Die App ist in Grönland, auf den Färöer-Inseln, in Kanada und Dänemark verfügbar und verbindet Menschen, die trotz komplizierter administrativer Trennlinien viele Gemeinsamkeiten haben. In Zeiten geopolitischer Spannungen können solche Nischen kultureller Vielfalt Resilienz und Gemeinschaft stärken. Und damit im Rahmen eines kreislauforientierten Ansatzes der Kulturwirtschaft wertvolle Impulse geben.

Aus dem Englischen von Claudia Kotte

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