Musik | Mayotte

„Frauen sind Göttinnen“

Die Sängerin Zily aus dem Inselstaat Mayotte will keine Feministin sein, aber ihre ostafrikanische Fusionmusik feiert starke Frauen und den politischen Kampf

Musikerin Zily macht sich für die Jugend von Mayotte stark

Das Interview führte Cécile Calla

Sie verbinden in Ihrer Musik traditionelle Klänge aus Madagaskar und Mayotte mit Afrobeat und Pop. Kommen diese Einflüsse aus Ihrer Kindheit?

Ich bin mit diesen Sounds aufgewachsen. Meine Mutter hörte Reggae, Jazz und Pop. Als Kind lernte ich außerdem den Debaa, einen traditionellen arabischen Gesang, zu dem nur Frauen tanzen. Das sind feminine und elegante Gesten, vieles wird über die Hände ausgedrückt. Diese Komplexität an Stilen ist Ausdruck unserer multikulturellen Gesellschaft.

Wer hat Ihnen den Debaa beigebracht?

Das waren meine Großmutter und eine Lehrerin in der Koranschule, in die wir immer nachmittags nach der staatlichen Schule gegangen sind. Da war ich sieben Jahre alt. Mayotte befindet sich in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, trotzdem gibt es noch immer viele Debaa-Gruppen. Sie sind Teil unserer Identität – und bald wahrscheinlich auch als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.

„Frauen arbeiten hart, gebären Kinder, bringen sie zur Schule, machen den Haushalt, kümmern sich um ihre Männer – und dennoch sind sie andauernd von Gewalt bedroht.“

In Ihren Texten geht es viel um selbstbewusste Frauen, etwa im Lied Amani ou Zaina, in dem Sie Ihre Mutter ehren. Bezeichnen Sie sich als Feministin?

Ich benutze das Wort „feministisch“ ungern. Aber natürlich will ich mit meinen Liedern zum Ausdruck bringen, dass Frauen in unserer Kultur nicht wert­geschätzt und beachtet werden. Für mich sind Frauen Göttinnen, sie verdienen Respekt. Frauen arbeiten hart, gebären Kinder, bringen sie zur Schule, machen den Haushalt, kümmern sich um ihre Männer – und dennoch sind sie andauernd von Gewalt bedroht.

Die Gesellschaft in Mayotte wird als matriarchalische Gesellschaft beschrieben, aber das ist Quatsch. Zwar waren es immer wieder Frauen, die unsere politischen Kämpfe angeführt haben. Die sogenannten Chatouilleuses („Kitzlerinnen“) etwa kämpften in den 1960er- und 1970er-Jahren dafür, dass Mayotte französisch blieb. Respekt bekommen sie dafür kaum, junge Menschen wissen heute nicht einmal mehr von ihnen. Sie sind völlig unsichtbar.

In Ihrer Musik wenden Sie sich explizit an jüngere Menschen, etwa in Ihrem aktuellen Song „Bazuka“. 

Viele Jugendliche in Mayotte sind auf sich allein gestellt. In „Bazuka“ – auf Mahorisch der Name eines grünen Bambusstocks – singe ich über Kinderspiele im Wald, bei denen man im Rahmen einer Art Performance miteinander kämpft. Ich sage jungen Menschen, dass sie von Königen und Königinnen abstammen, dass sie für ihre Zukunft kämpfen müssen.

Wie sehr inspiriert Sie die Natur Ihrer Heimat?

Sehr! Mayotte ist ein wunderschöner Ort, ich heile mich mit Pflanzen und habe meinen eigenen Gemüsegarten angelegt. Ich möchte Menschen dazu ermutigen, diese Schönheit wirklich wertzuschätzen und nicht einfach als gegeben hinzunehmen.

Wie hat sich die Musikindustrie auf Mayotte in den letzten Jahren entwickelt?

Wir haben ein riesiges Problem mit der Professionalisierung. Es gibt keine Konzertsäle, kaum technische Hilfsmittel. Zwar wurden sogenannte Maisons des jeunes et de la culture eingerichtet, Kulturhäuser für junge Menschen. Aber diese sind sehr rudimentär. Die meisten Kids hängen dort einfach nur ab.

Ende letzten Jahres hat der Zyklon Chido“ Mayotte verwüstet. Wie hat sich das auf das Inselleben ausgewirkt?

Es war eine Katastrophe. Wir wurden völlig im Stich gelassen. Ich hatte zwei Wochen lang schlaflose Nächte und verbrachte die Tage damit, nach Essen zu suchen und Wasser aus einem Fluss tief im Wald zu holen. Mein Haus ist aus Beton und steht noch, aber die Türen und Fenster wurden zerstört. Wir waren völlig von der Welt abgeschnitten – es gab kein Telefon, keinen Strom. Man konnte nicht einmal fischen gehen, überall an der Küste lag Müll herum, darunter Autowracks und Dachteile. Das war ein traumatisches Erlebnis. Noch immer ist die Lage sehr angespannt.

Wie wird Mayotte im Ausland wahrgenommen?

Sehr stereotyp, als arm und vernachlässigt. Aber Mayotte hat wahnsinnig schöne Seiten: Menschen, die Großartiges auf die Beine gestellt haben, eine aktive Zivilgesellschaft, eine außergewöhnliche Artenvielfalt und spektakuläre Natur. Ziel meiner Musik ist es auch, diese Dinge in den Vordergrund zu stellen. Mein nächstes Album, das Ende dieses Jahres erscheint, wird viel von Hoffnung und Wiederaufbau erzählen und musikalisch vielfältig sein.

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