Die Musen von New Orleans

Foto: Erika Goldring/Getty Images
Die Sonne glitzert auf dem polierten Messing der Saxofone. Der April in Louisiana ist heiß und mit jedem Cocktail fließt auch der Schweiß beim Jazz & Heritage Festival auf der Pferderennbahn im Norden von New Orleans. Während aus den großen Zelten der Sound von Brassbands, Afrobeat-Performern und Gospelchören dröhnt, herrscht in der Mitte des Festivalgeländes eine fast beschauliche Atmosphäre. Hier befindet sich das Folklife Village, in deren Holzhäuschen die Besucher durch die bunte Kultur von New Orleans geführt werden.
Einer der Stände leuchtet in allen Farben. Dutzende von Pumps türmen sich hier, als hätte Alice im Wunderland Drag für sich entdeckt: Aus einem Schuh aus blauem Glitzerstoff quellen pflaumengroße rosa Perlen, auf einen anderen sind grüne Dollarscheine und Spielwürfel genäht. Wieder andere zeigen gestickte Porträts afroamerikanischer Frauenrechtlerinnen. „Honey, willst du deinen eigenen Schuh entwerfen?“, ruft eine Frau hinter dem Berg aus Modellen. Sie ist Teil einer der „krewes“, die auf dem berühmtesten Karneval Nordamerikas Bälle und Paraden organisieren: dem Mardi Gras.
„Ein Amerikaner hat die Vereinigten Staaten nicht gesehen, bis er nicht Mardi Gras in New Orleans gesehen hat.“ Das schrieb Mark Twain 1859 in einem Brief an seine Schwester Pamela, nachdem er als Lehrling von einem Mississippi-Dampfer von Bord gegangen und sich mitten in dem Umzug wieder-fand.
Die französischen Kolonialherren brachten die katholische Tradition des Karnevals im 17. Jahrhundert in den Süden der USA mit, als Louisiana noch zu Frankreich gehörte. Die europäische Kultur vermischte sich in New Orleans mit den afrikanischen, karibischen und indigenen Bräuchen der kreolischen Bevölkerung. Viele der Tänze und Traditionen, die den brutal unterdrückten Schwarzen Sklaven und Sklavinnen sonst untersagt wurden, überlebten durch Mardi Gras. Während sich People of Color nach Jahrhunderten der Segregation nach und nach ihren gebührenden Platz in den Paraden erkämpften, blieb eine Gruppe auf der Strecke: die Frauen.
„Frauen wurden bei Mardi Gras lange belächelt“
„Obwohl Frauen schon seit achtzig Jahren bei Mardi Gras mitmachen, wurden sie immer nur belächelt“, erzählt Kathy Conklin, eine Frau mit braunem Long Bob und einer großen Schildpattbrille. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch in der Kanzlei, in der sie als Anwältin für Arbeitsrecht tätig ist. Die Krewes, die Karnevalsgruppen, waren jahrhundertelang als exklusive Bünde organisiert und lange Zeit nur Männern vorbehalten. Als 1941 die erste Organisation von Frauen, die „Krewe of Venus“, an einem Umzug teilnahm, wurde sie von Männern ausgebuht und mit faulen Tomaten beworfen.
Auch wenn immer mehr Frauen beim Mardi Gras mitmachten, wurden ihre Umzüge und Wagen lange Zeit als Kinderei abgetan. Sie fanden nur tagsüber statt. „Aber die großen Mardi-Gras-Umzüge sind abends“, sagt Conklin.
Im Jahr 2000 rief ihre Freundin Stacy Rosenberg sie an und sagte: „Ich gründe eine Krewe nur für Frauen. Und wir werden abends losziehen! Bist du dabei?“
Rosenberg hatte einen guten Draht zum damaligen Bürgermeister der Stadt. Der machte den Weg frei. „Wir wollten genauso selbstbewusst feiern wie die Männer“, sagt Conklin, „aber wir hätten nie gedacht, dass das Ganze so explodieren würde.“ Sie nannten ihren Verein „The Krewe of Muses“, nach den griechischen Schutzgöttinnen der Künste und Wissenschaften. Empowerment war die Devise.
Die erste Parade war ein so riesiger Erfolg in New Orleans, dass mehr und mehr Frauen ihre eigenen Vereine gründeten und ihre Umzüge ebenfalls am Abend machen konnten. Einen großen „Hunger auf Gleichberechtigung“ im Karneval beobachte Conklin damals bei vielen Frauen. Das Markenzeichen der Musen wurden die fantasievollen High Heels, die jedes Mitglied zu Dutzenden selbst herstellt. Für Conklin sind die Pumps ein Symbol der Hyperweiblichkeit, das jede Frau in ihrem eigenen Stil gestaltet. Hunderte von Schuhen werden jeden Karneval von den Wagen der Muses geworfen. Der erste in der Reihe ist selbst stets als ein riesiger Stöckelschuh gestaltet. Auf ihm fährt traditionell eine Ehrenmuse, darunter Stars wie Solange Knowles.
„Nach dem Hurrikan Katrina 2005 war der Andrang besonders groß“
Die funkelnden Schuhe der Musen sind zu einer der begehrtesten Trophäen des Mardi Gras geworden. Die Glücklichen, die einen ergattert haben, stellen ihn an prominenter Stelle in ihren Häusern und Büros aus. Auch in vielen Restaurants von New Orleans gehören sie zum Dekor. Man sieht Conklin an, wie stolz sie ist, wenn sie davon erzählt. Mittlerweile sind die Musen zu einem sogenannten Super-Krewe gewachsen, sie haben über 1.500 Mitglieder, die Warteliste ist lang.
„Nach dem Hurrikan Katrina 2005 war der Andrang besonders groß“, sagt Conklin. „Die Leute spürten die Vergänglichkeit von allem und wollten Teil der Stadt und ihrer Kultur sein und damit auch Teil von Mardi Gras.“
Wie andere Krewes arbeiten auch die Musen das ganze Jahr über an ihren Choreografien, Schuhen, Kostümen und Wagen. Häufig greifen sie auf satirische Weise politische Themen auf, etwa die konservativen Verbote bestimmter Bücher an Schulen. Darüber hinaus sind die Krewes auch Vereine, die Geld für soziale Zwecke sammeln: in diesem Jahr etwa für die Opfer des Attentäters, der in der Silvesternacht in der Altstadt von New Orleans 15 Menschen tötete.
„Es entstanden Tanzgruppen, die einen besonderen Wert auf Diversität und Body Positivity legen“
Doch wie inklusiv ist die Krewe of Muses wirklich? Die hohen Gebühren, die man zahlen muss, um Mitglied zu werden, schließen viele ärmere, und das heißt besonders nichtweiße, Frauen aus. „Deshalb haben wir vielleicht die wichtigste Änderung vorgenommen“, sagt Conklin. „Nicht nur Mitglieder der Krewes und Schulorchester dürfen bei unseren Paraden auftreten, sondern auch kleinere, weniger formelle Gruppen, die nichts bezahlen müssen, um dabei zu sein.“
So entstanden Tanzgruppen wie die Bearded Oysters, die einen besonderen Wert auf Diversität und Body Positivity legen. Andere Vereine wie The Mystic Krewe of Femme Fatale, der ursprünglich afroamerikanischen Frauen vorbehalten war, bauten dieses System noch aus und führten eine Ratenzahlung für ihre Mitglieder ein, um auch den ärmeren eine Teilhabe zu ermöglichen. Diese neuen Strukturen machen es seitdem gerade für junge Frauen wesentlich einfacher, Teil der Paraden zu sein.
Beim nächsten Jazzfestival werden auch die Musen im Folklife Village wieder dabei sein. „Dort machen sie sich immer noch über mich lustig“, lacht Conklin. Einmal half sie beim Aufbau des Standes und wollte zeigen, wie man einen Schuh herstellt. Doch der Wind blies an diesem Tag so stark, dass ihr der Glitzer aus der Hand wehte und sie von Kopf bis Fuß einhüllte.