„Die Menschen wollen schnellere Lösungen“

Der Anthropologe Arjun Appadurai
Foto: Lars Hübner
Das Interview führte Julia Stanton
In Ihrem Buch „Versagen“, das 2019 im englischen Original erschienen ist, erklären Sie, dass das Scheitern integraler Bestandteil westlicher kapitalistischer Systeme ist. Sie beleuchten, wie damit umgegangen wird, etwa indem Krisen und Unsicherheiten immer wieder verdrängt werden oder davon abgelenkt wird. Als Ihr Buch erschien, waren bestimmte Trends wie Rechtsruck und zunehmender Protektionismus im Westen noch nicht so ausgeprägt wie heute. Wie denken Sie über das Scheitern im Jahr 2025?
Wenn ich heute über die Frage des Scheiterns nachdenke, dann meist in Bezug auf das Scheitern der Demokratie. Es scheint eine Entwicklung zu geben, die man mit „Demokratiemüdigkeit“ umreißen kann. Ich glaube, dass viele Menschen, vor allem in den liberalen Demokratien des Westens, das Warten satthaben. Sie wollen schnellere Lösungen. Die neuen Populisten geben vor, diese zu bieten, ob sie nun liefern können oder nicht. Trumps Flut von Dekreten („executive orders“) signalisiert genau das: kein Warten. Wir übernehmen Grönland, den Panamakanal, wir schmeißen illegale Einwanderer raus, wir steigen aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Doch liberale Demokratie erfordert Geduld. Viele Prozesse brauchen Jahre, um zu wirken, und funktionieren dann nicht immer.
Viele von Trumps Dekreten scheinen den Interessen seiner eigenen Wählerinnen und Wähler zu widersprechen. Dennoch ist deren Unterstützung ungebrochen. Warum?
Während seines Wahlkampfs hat Trump viel Wert auf die Wirtschaft gelegt, jetzt ist das schon nicht mehr der Schwerpunkt. Er ist zwar besessen von Zöllen und globalem Handel, doch das ist alles. Was Trump jetzt an der Macht hält, ist ein Kulturkampf. Die Leute lieben seine Anti-Haltung wenn es um Diversität geht. Er hat rassifizierte Identitäten und fremde Nationen zum Feind gemacht. China, Migranten, internationale Organisationen werden als Bedrohung für die amerikanische Stärke dargestellt. Das ist eine klassische Sündenbockstrategie: Man schafft ein externes „sie“, um von internen Ungleichheiten abzulenken. Die wahre Kluft besteht natürlich zwischen einer Handvoll ultrareicher Eliten und allen anderen. Um das zu verschleiern, inszeniert Trump einen anderen Konflikt. Daher wird die Wahl seines Kabinetts und seiner Berater, von denen ein Großteil Milliardäre sind, die andere Interessen als die der Arbeiterklasse haben, nicht als Problem angesehen. Dazu kommt der Glaube, dass dies die Leute sind, die etwas bewirken. Sie sind Kämpfer, Helden und so weiter. Dass sie so wahrgenommen werden, liegt am amerikanischen Kapitalismus, in dem Menschen mit viel Geld geradezu angebetet werden.
„Ich glaube, dass viele Menschen, vor allem in den liberalen Demokratien des Westens, das Warten satthaben“
Die Globalisierung garantiert den Menschen in den USA immer noch eine Menge Wohlstand. Wie ist sie zum Hauptfeind geworden?
Das zeigt sich am Beispiel von USAID, der US-Behörde für internationale Entwicklung: Die meisten Menschen wussten überhaupt nicht, was USAID ist, aber plötzlich bringt Trump die Leute dazu, darüber nachzudenken, und stellt es so dar, als handle es sich um eine Wohltätigkeitsorganisation, die Geld an die Armen der Welt verschenkt. Für ihn ist das Verschwendung. Interessant ist, dass Trump gleichzeitig ein Mann von globalem Einfluss sein möchte. Allerdings zu seinen Bedingungen. Mit seiner Idee, den Gazastreifen in einen Urlaubsort zu verwandeln, hat er eine außergewöhnliche Stufe des Casino-Kapitalismus erreicht. Trump will, dass die Welt sein Sandkasten ist.
Eine ähnliche Anti-Globalisierungsstimmung macht sich gerade in Europa breit, vor allem mit dem wachsenden Euroskeptizismus. Was ist die Ursache dafür?
In den USA konzentriert sich die Angst auf die Einwanderung aus Lateinamerika. In Europa geht es vor allem um den Islam. Überall auf dem Kontinent, von Norwegen bis Italien, ist die Angst vor der Migration eng mit der historischen Wahrnehmung verbunden, dass die europäische Kultur im krassen Gegensatz zu der des Islam stehe. Dazu kommt eine wirtschaftliche Dimension. Das postkommunistische Versprechen lautete, dass der Kapitalismus Wohlstand für alle bringen würde. Das hat sich nicht bewahrheitet. Viele europäische Volkswirtschaften stagnieren und haben Mühe, Wohlstand zu schaffen. Gleichzeitig hat man global an Wettbewerbsfähigkeit verloren, vor allem im Bereich der Technologie. Die Frage ist gerade nicht mehr, welche Länder sich nach rechts bewegen, sondern welche die Ausnahmen sind.
„Trump will, dass die Welt sein Sandkasten ist“
Was sind also die Ausnahmen?
Deutschland sticht hervor, vor allem wegen seiner relativen wirtschaftlichen Stabilität. Ich denke, dass es da immer noch ein hohes Maß an Entwicklungspotenzial gibt. Die Menschen sind hier offener für Veränderungen als in den USA. Wenn man dort beispielsweise ankündigen würde, alte Heizkörper auszutauschen, würde vermutlich eine Revolution losbrechen. Aber in Deutschland sind die Menschen grundsätzlich bereit, sich auf solche Dinge einzulassen. Das macht mir Hoffnung. Ich sehe da doch noch ein Streben nach sozialen und wirtschaftlichen Zielen, nach Nachhaltigkeit, die wir alle teilen und die mit Lebensqualität zu tun haben. Dennoch muss ich gestehen, dass dies dünne Hoffnungsstränge sind.
Im Vergleich zu 2016, als Trump zum ersten Mal gewählt wurde, scheint der Widerstand gegen diesen Rechtsruck in den USA und Europa schwächer geworden zu sein. Was ist geschehen?
In den USA soll der Kongress unabhängig von der Regierung sein, aber er hat sich weitgehend untergeordnet. Die Gerichte versuchen, sich zu wehren, aber Trumps Einfluss auf den Obersten Gerichtshof ist immens. Auch auf internationaler Ebene funktioniert die alte Strategie, sich über ihn lustig zu machen, nicht mehr. Er hat zu viel Macht. Zudem hat Trump in ganz Europa viele ideologische Verbündete, von Orban bis Meloni. Viele Menschen, die ich kenne, ringen gerade mit der Frage, woher eine Alternative kommen kann, die von den Rechten wegführt. Es herrscht ein Gefühl der Frustration über das Fehlen von wirklich inspirierenden Ideen.
Zukunftskonzepte spielen in Ihrer Arbeit eine wichtige Rolle. Was müsste sich ändern, um eine bessere Zukunft zu garantieren?
Man könnte hier vieles anführen, aber ich werde mich auf Bildung konzentrieren und auf Deutschland, weil ich jetzt hier lebe: In Deutschland befinden sich die neuen Technologien in einer anderen Welt als in jener, mit der man sich im Bildungssystem im Allgemeinen befasst. In New York zum Beispiel investiert jede zweite Universität massiv in Game Design. Aber wenn man nach Berlin schaut, wer lehrt dort Game Design? Ich will damit nicht sagen, dass der gesamte deutsche Haushalt in die Entwicklung von Spielen fließen sollte. Aber es scheint mir wichtig, das deutsche Bildungssystem von der frühen Kindheit bis zur Hochschulbildung besser an unsere heutige Welt anzupassen. Kinder unter 15 Jahren sind bereits Teil dieser neuen Welt, aber das System, das sie umgibt, ist Teil der alten Welt. Wenn ich an meinen eigenen Sohn denke, der jetzt zehn Jahre alt ist und sich sehr für sein iPad, Spiele und deren Design begeistert, dann scheint es, als gäbe es keinen Platz für seine Interessen. Es scheint die Meinung vorzuherrschen, dass das alles nur kommerziell ist, dass alle nur YouTuber werden wollen. Sicher, vielleicht wollen viele YouTuber werden, aber dafür braucht man enorme Fähigkeiten: Dafür muss man zum Beispiel programmieren lernen und sich mit Robotik auskennen. Ich will nicht sagen, dass jeder diese Dinge tun sollte, aber ich denke, es sollte ein gewisser Mentalitätswandel in Bezug auf die Zukunft stattfinden. Wir sollten anerkennen, dass die Generation, die heute unter 15 ist, hoffentlich dazu beitragen wird, eine ganz andere Welt zu gestalten als jene des 19. und 20. Jahrhunderts. Und das geschieht gerade ja auch. Die Frage ist, wo wird Deutschland dabei stehen?