Auf Augenhöhe mit Donald Trump

Wladimir Putin und Donald Trump bei ihrem ersten offiziellen Treffen in Helsinki
Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire
Die Ziele von Wladimir Putins „militärischer Spezialoperation" wurden kurz nach deren Beginn öffentlich gemacht und seither vielfach wiederholt, aber über die nichtssagende Formel „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ kann man nur traurig lachen. Mit diesem vorgeblichen Ziel wurde der Krieg angezettelt, aber was diese Begriffe in Bezug auf die Ukraine bedeuten sollen, konnte noch niemand so richtig erklären. Als die russische Regierung aus ihrer Sicht einige militärische Misserfolge zu verbuchen hatte und es im Frühjahr 2022 in Istanbul zu Verhandlungen kam, sollte das Ganze zumindest ein bisschen klarer werden: Die russische Seite forderte, die ukrainischen Streitkräfte sollten auf ein Minimum reduziert und von Moskau gesteuerte russlandfreundliche Parteien sollten zu den Wahlen zugelassen werden. All das lehnte die Ukraine ab, wofür Wolodymyr Selenskyj später zum Teil kritisiert wurde. Heute sieht es so aus, als hätten die Istanbuler Vorschläge für die Ukraine immerhin vorteilhafter sein können als das, womit sie jetzt rechnen muss, nachdem Donald Trump sich als Vermittler eingeschaltet hat. Dass die Forderung, sie solle de facto auf eine eigene Armee verzichten und sich politisch der Kontrolle durch Russland unterwerfen, für Kiew nicht akzeptabel war, ist nachvollziehbar. Eine Ukraine, die sich darauf einließe, hätte nichts mehr mit dem Staat gemein, der gegenwärtig gegen die russische Aggression kämpft, sondern wäre ein Satellit Moskaus, ein Land mit eingeschränkter Souveränität.
Zur Eroberung der gesamten Ukraine ist Wladimir Putin offenkundig nicht in der Lage. Daher versucht er, durch militärischen Druck vor allem auf den Osten des Landes die ganze Ukraine politisch unter seine Kontrolle zu bringen. Doch so logisch diese Strategie aus Putins Sicht sein mag – sie ist auch nach drei Jahren Krieg nicht aufgegangen.
Russland will eroberte Regionen der Ukraine seinem Staatsgebiet einverleiben und alle Spuren der ukrainischen Vergangenheit tilgen. Mit von Moskau kontrollierten politischen ukrainischen Kräften, die auf irgendetwas in der Ukraine Anspruch erhoben hätten, war und ist es nicht sehr weit her. Der einflussreichste ukrainische Politiker mit russlandfreundlicher Einstellung, Wiktor Medwedtschuk, der seit Putin Taufpate seiner Tochter wurde, beinahe mit ihm verwandt ist, wurde zu Beginn des Krieges von den ukrainischen Behörden verhaftet und später gegen ukrainische Gefangene ausgetauscht. Heute lebt er in Russland, schreibt Kolumnen für ein kleines kremlfreundliches Medium. Ukrainische Politiker, die gegen Wolodymyr Selenskyj opponieren, wollen entweder so wie Ex-Präsident Petro Poroschenko und die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nicht wieder in den Verdacht der Moskautreue geraten. Oder sie probieren es so wie Oleksij Arestowytsch mit mehr oder weniger prorussischer Rhetorik, stoßen aber in Moskau auf kein Interesse. Es gibt auch keine Truppen, die unter ukrainischer Flagge für die russische Seite kämpfen und sich über ihre Zukunftspläne für eine besiegte Ukraine äußern.
Wenn Putin die Ukraine wirklich braucht – mit welchem Instrumentarium will er dort eigentlich ein prorussisches Regime errichten? Die entsprechenden Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die russische Regierung spricht gerne von der „Situation vor Ort“ – und nach dieser Situation zu urteilen, braucht Putin keine loyale Ukraine, sondern das, was die Ukraine durch sein Handeln gerade wird: ein zerstörtes und wirtschaftlich ruiniertes Land voller Gräber und ohne Infrastruktur. Der russische Präsident braucht keinen Satellitenstaat, sondern Ruinen. Wenige Tage vor Kriegsbeginn zitierte Wladimir Putin, an die Adresse der Ukraine gerichtet, den in Russland berüchtigten Vergewaltigerspruch: „Ob es dir gefällt oder nicht – lass es über dich ergeben, meine Schöne.“
Als Nächstes soll es ein neues Jalta geben, in dem ein kleiner Kreis von Staatenlenkern über die Aufteilung Europas entscheidet
Man mag das für Sadismus halten oder kaltblütige Rache dahinter vermuten; erstens dafür, dass die Ukraine kein russischer Satellitenstaat sein will, zweitens für ihren erbitterten Widerstand im Krieg, und drittens für die Beleidigungen, die Putin aus seiner Sicht von Ukrainerinnen und Ukrainern unablässig zu hören bekam. Doch auch wenn Putins Verhältnis zur Ukraine irrational anmutet, gibt es in seinem Verhalten etwas kühl Berechnendes. Dabei ist die Ukraine gar nicht das, worauf er letztlich primär abzielt. Dass er das Recht hat, mit ihr zu machen, was er will, demonstriert er nicht der Ukraine, sondern demjenigen, den er für deren eigentlichen Herren hält: dem Westen. Im Grunde kann schon der direkte Kontakt zum Präsidenten der USA als Sieg für Putin gelten. Schon das ist für ihn eine Art Trophäe. Er hat Hunderttausende Menschen umgebracht und Städte zerstört, nur damit er auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten sprechen darf. Selbst die Zeiten, als Russland kein Paria war und zum Kreis der G8 gehörte, sind Putin als kränkende Erfahrung in Erinnerung geblieben. Denn dort trafen sich zwar acht Staats- und Regierungschefs, aber die anderen sieben blieben unter sich. Die Staaten, die man aus Putins Sicht auf der Weltkarte mit der Lupe suchen muss, trauten Russland nie ganz über den Weg.
Die Grundlage für Putins Vorstellungen davon, welche Rolle Russland in der heutigen Welt spielen soll, ist seine pathologische Fixierung auf das Jahr 1945 und auf die Tatsache, dass die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit den westlichen Siegermächten Europa aufteilte. Der Kult um den sowjetischen Sieg ist in Putins Staat zu einem Faktor der nationalen Identitätsstiftung geworden und an die Stelle der Religion getreten. (Die dürftigen Besucherzahlen der orthodoxen Kirchen widerlegen den Mythos von der großen Frömmigkeit der Russinnen und Russen.) Außenstehende könnten den Eindruck haben, dieser Kult sei genauso alt wie der Sieg selbst, aber das stimmt nicht. Dieser Kult wurde von Putin von Grund auf neu geschaffen und unterscheidet sich fundamental von der politischen Erinnerungskultur der Sowjetunion, deren Verhältnis zum Zweiten Weltkrieg von der Trauer um die Getöteten und vom Widerwillen gegen neuerliche Kriege bestimmt war. Inzwischen ist die Hochachtung der Bevölkerung für die kämpfenden Großväter von damals, die Putin für sich instrumentalisiert, jedoch die Grundlage dafür geworden, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihm und seiner Politik die Treue hält. Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass der 1945 errungene Sieg etwas Heiliges ist, und aus Gewohnheit stimmt die Bevölkerung allem zu, womit Putin diesen Sieg sonst noch befrachtet.
Unter Putin fand die Parole „Wir können es nochmal machen“ Verbreitung. Das soll heißen: Wir können einen neuen Krieg führen, mit dem Russland seinen Weltmachtanspruch erhebt, und den werden wir in der Ukraine untermauern, es dem Westen beweisen und vor allem Amerika. Im nächsten Schritt soll es dann wie 1945 ein neues Jalta geben, bei dem sich ein kleiner Kreis von Weltenlenkern über die Aufteilung Europas verständigt. Das klingt utopisch, aber diese Vorstellung stützt sich mittlerweile auf Hunderte populäre Bücher und Filme sowie auf neue staatsbürgerliche Rituale wie das Tragen des „Sankt-Georgs-Bandes“ und den jährlichen Gedenkmarsch „Unsterbliches Regiment“ am Tag des Sieges über Hitler-Deutschland. Damit verleiht man dem Missverständnis von 1991 eine beinahe mystisch-historische Bedeutung. Damals wurde Russland als eine von 15 Republiken der UdSSR zur Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion, aus der es wie die Ukraine als souveräner Staat hervorging. Inzwischen glaubt Wladimir Putin selbst, die anderen postsowjetischen Länder seien abtrünnige Provinzen seines Staates und er habe das Recht zu bestimmen, wie dort gelebt wird.
Für russische Global-Player-Ambitionen gibt es keinerlei materielle Grundlagen
Nach dem Machtwechsel in den USA ist nun damit zu rechnen, dass sich im Ukrainekrieg etwas ändert. Präsident Donald Trump hat mehrfach erklärt, er wolle diesen Krieg beenden. Nach dreijähriger Funkstille hat er wieder das direkte Gespräch mit Wladimir Putin gesucht – wobei die Atmosphäre so freundlich war, dass die Trump-Kritiker hinter Washingtons Kurswechsel eine ungute Loyalität gegenüber Moskau wittern. Doch selbst wenn sie richtigliegen, stehen die Chancen für eine Freundschaft nicht besonders gut. Trump versteht Putins historische Illusionen nicht; in seiner Wahrnehmung kämpfen in diesem Krieg zwei eher periphere osteuropäische Staaten gegeneinander. Wladimir Putin, für den die Ukraine nur ein Stellvertreter der USA ist, sieht dagegen im Dialog mit Washington die Chance auf eine Rückkehr in jene Zeiten, als die UdSSR sich mit den USA die Einflusssphären auf der ganzen Welt aufteilen konnte.
Welches Interesse sollte Trump daran haben? Russland wird ihm weder im Konflikt mit Kanada noch im Streit um Grönland helfen. Für russische Global-Player-Ambitionen gibt es keinerlei materielle Grundlagen. Russland ist trotz allem nichts weiter als eine Provinz der ehemaligen Sowjetunion – wenn auch die größte. Sie hat diese Union irgendwann zusammen mit der Ukraine verlassen, hat sich aber das Selbstverständnis eines großen Imperiums bewahrt. Dieser Widerspruch ist die Grundlage für die wahre Tragödie des postsowjetischen Russlands, die nicht an bestimmte Personen gebunden ist. Das Ganze wirft die eigentlich entscheidende Frage nach Russlands Zukunft auf – nämlich: Welche kalte Dusche wird Russland dazu bringen, sich von den Illusionen von 1991 notgedrungen zu verabschieden und zu einem postimperialen Nationalstaat zu werden wie einst jene RSFSR, die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik, die damals die Erklärung über die Auflösung der UdSSR unterzeichnete? Ein erster großer Rückschlag waren bereits die Niederlagen, die Russland von der ukrainischen Armee beigebracht wurden – aber der Rest kommt noch.
Aus dem Russischen von Andreas Bredenfeld