Was uns der Staat erzählt
Das ist doch Musik in den Ohren der deutschen Außenpolitiker und Außenkulturpolitiker: Deutschland steht nicht nur für ein Wirtschaftswunder, sondern ebenso für ein „Kulturwunder“. So jedenfalls sieht es der britische Journalist Robert Winder in seinem neuen Buch „Soft Power. The New Great Game“: 1945 moralisch und materiell am Boden zerstört, baute die Bundesrepublik ihr internationales Ansehen durch eine rigorose Geschichtsaufarbeitung und umfassende Kultur-, Bildungs- und Informationsangebote „almost entirely by soft means“ wieder so erfolgreich auf, dass sie bei allen Länder-Rankings der vergangenen zehn Jahre auf die vordersten Plätze gelangte.
Auch die Wiedervereinigung und die Aufnahme von einer Million Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 hätten viel dafür getan, die dunklen Erinnerungen der Welt an die Nazizeit zu überwinden und Vertrauen aufzubauen.
„Soft Power“ ist Robert Winders fünftes Buch. Er war in den 1990er-Jahren fünf Jahre lang Feuilletonchef der linksliberalen Tageszeitung „Independent“. In seinem neuesten Werk möchte er nun zeigen, wie Staaten heute mit ihrer Außenpolitik punkten, indem sie „weiche“ Themen wie Sprache, Kultur, Sport, Bildung, Wissenschaft, Kunst und Musik, aber auch Migration, Globalisierung, Kommunikation und Technologie in den Vordergrund stellen, statt militärische oder wirtschaftliche Macht („Hard Power“) einzusetzen. Auch die Vergangenheit eines Landes ist für „Soft Power“ von größter Bedeutung, ein „überquellender Brunnen“, um im internationalen Wettbewerb des „Storytelling“ bestehen zu können.
Dabei ist Winder skeptisch, ob die gängigen Länder-Rankings realistisch sind. Er geht pragmatischer vor und untersucht weltweit für mehr als dreißig Staaten, wie sie ihre „Story“ erzählen. Die Trump-Jahre der USA bezeichnet er als „creative destruction“, sie haben den früher großen Soft-Power-Vorrat fast aufgebraucht.
Seine Heimat, Großbritannien, sieht Winder als mit einem enormen Fundus an Soft Power „gesegnet“, fürchtet aber, dass Fremdenfeindlichkeit und Fehler beim Brexit vieles überdecken. Bei Frankreich nennt Winder als erfolgreiche Quellen der nationalen Soft Power sowohl Küche, Wein und Essen als auch Mode, Malerei und Tourismus.
„Softpower ist das neue große Spiel in den internationalen Beziehungen“
Ein Schwerpunkt des Buches ist Russland. Hier folgt Winder nicht der Systematik der großen Ranking-Studien, sondern analysiert, in welcher Weise die Soft Power von Russland als Waffe benutzt wird, um das gewünschte nationale Narrativ durchzusetzen und die Glaubwürdigkeit anderer Länder zu erschüttern. 2005 hatte Putin den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
Putins „Antwort“ war eine Mischung aus Hard Power (Krim, Ostukraine, Syrien) und vielen Soft-Power-Ansätzen: internationale Sportereignisse, Kulturinstitute im Ausland, Förderung des Stolzes auf die russische Geschichte und Erneuerung religiöser Werte. Putin nutzt zudem Auslandsfernsehsender und soziale Medien, um durch Desinformation, Troll-Armeen und Cyber-Viren die eigene Deutungshoheit zu internationalen Fakten zu fördern und Unzufriedenheit in anderen Ländern zu säen.
Winder nennt dies einen „Medienkrieg“. Soft Power ist auch fester Bestandteil der chinesischen Außenpolitik. Sorgfältig durchdacht, dient sie China dazu, in vielen Ländern die Zweifel daran zu befördern, ob das Modell einer liberalen Demokratie wirklich der beste und einzige Weg sei, eine moderne Gesellschaft zu führen. Winder nennt das den „Krieg der Ideen“.
„Auch die Vergangenheit eines Landes ist für ,Soft Power‘ von Bedeutung, ein Brunnen, um im internationalen Wettbewerb des ,Storytelling‘ zu bestehen“
Hier fließen seit 2007 jährlich umgerechnet mehr als zehn Milliarden US-Dollar in Studentenaustausch, Konfuzius-Institute, Auslandsfernsehsender und vor allem auch die „Belt and Road Initiative“, die neue Seidenstraße, ein zugleich wirtschaftliches und geopolitisches „Jahrhundertprojekt“. Die in diesem Umfang von keinem anderen Land umgesetzte Soft-Power-Strategie hat nach Ansicht von Winder aber einen großen Gegner: China selbst. Zensur, Desinformation, Unterdrückung bis hin zu Totalüberwachung überdecken Chinas Soft Power, ja, führen zu verstärktem Misstrauen.
Soft Power, so resümiert Winder seine analysierende „Reise um die Welt“, ist „a means to an end“ und ein neues großes Spiel in den internationalen Beziehungen. Winder schreibt außerordentlich spannend, extrem faktenreich und gut recherchiert. Es ist ein kritisches und kluges Buch, das zu vielen überraschenden Erkenntnissen führt, für Politiker und Praktiker der Außenkulturpolitik ein Muss, eine Mischung aus Best Practices und vielen Ideen und Analyseansätzen.
Soft power. The New Great Game. Von Robert Winder. Little, Brown and Company, New York, 2020.