Tā Moko - Ahnen auf der Haut

Seit Jahrhunderten praktizieren die Māori in Neuseeland die Kunst des Tā-Moko, einer indigenen Form des Tätowierens. Sie ist weit mehr als bloßer Hautschmuck

Viele Māori sagen, man müsse ein klares Ziel haben, bevor man sein Tā Moko bekomme. Obwohl alle Māori das Recht haben, Tā Moko zu tragen, kommt die richtige Verbindung erst dann zustande, wenn sich der Träger und seine Familie für das Ziel – das so genannte Kaupapa – und den Zeitpunkt des Tätowierens entschieden haben.

Einige nehmen persönliche Meilensteine in ihrem Leben zum Anlass für Tā Moko – einen Hochschulabschluss oder eine neue Führungsposition in einem Bereich, der wahrscheinlich für den Iwi, ihren Stamm, von Nutzen sein wird. Andere versuchen, ihre Familien wieder mit ihren Iwi und ihren Tūpuna, den Vorfahren, in Kontakt zu bringen. Als Te Ariki Dame Te Atairangikaahu, die ehemalige Königin der Māori, 2006 verstarb, beschlossen dreißig Frauen aus ihrer Stammesregion, sich mit den Moko Kauae zu schmücken. Sie wollten so ihre Liebe und Wertschätzung für die geliebte Königin, die ins Jenseits übergegangen war, zum Ausdruck bringen. Ein Moko Kauae ist eine Gesichtstätowierung am Kieferknochen, die überwiegend von Frauen getragen wird. Im pazifischen Raum verwenden nur Māori diese Art der Tätowierung.

Handelt es noch um tā moko,
wenn der Träger kein Māori ist?

In Tā Moko eingebettet ist eine Fülle von kulturellem Wissen, das sich über Generationen angesammelt hat und auf dem fortwährend aufgebaut wird; es verbindet die Empfänger mit ihrer Genealogie, der so genannten Whakapapa. Die Motive verlaufen in Bogenlinien und konturieren den Körper. Ein verbreitetes Motiv ist die Spiralform, Koru. Einigen Quellen zufolge geht Koru auf den Farnwedel zurück – eine perfekte Spirale, aus der sich Knospen zu neuem Leben entfalten. Der Pūhoro hingegen verweist auf einen Sturm und wird auf das Gesäß und die Oberschenkel von Männern tätowiert. Selbst die Innenräume der Māori-Versammlungshäuser sind oft mit Gemälden, Schnitzereien und verzierten Figuren geschmückt, die auf die Natur Bezug nehmen. Man nehme nur das Haus Rauru, das im Museum am Rothenbaum in Hamburg zu sehen ist. Die Schnitzereien in dem Versammlungshaus ähneln den Tā Moko-Motiven.

Heute sieht man häufig Māori-Tätowierungen, die keine genealogischen Wurzeln vermitteln. Diese Träger identifizieren sich meist nicht als Māori, was einige Fragen aufwirft: Was bedeutet es, wenn diese Motive nicht die Herkunft widerspiegeln? Handelt es noch um Tā Moko, wenn der Träger kein Māori ist? In diesen Fällen werden die Tätowierungen als Kiri Tuhi bezeichnet, was übersetzt "Hautzeichnungen" bedeutet.

Mein Vater, ein Kaumatua, ein Ältester unseres Iwi, hat einmal gesagt: "Tā Moko ist eines der vielen Attribute der Māori-Kultur. Es ist ein physisches Symbol der Tūhonohono (Verbindungen) zwischen dem Taha Whānau des Trägers, Taha Tinana, Taha Hinengaro und Taha Wairua." Diese vier Komponenten beschreiben in Kurzform das menschliche Wohlbefinden aus Sicht der Māori und stehen für familiäre Bindungen, körperliche, geistige und spirituelle Gesundheit.

Es gibt viele Motive, die mit minimalen Änderungen über Generationen weitergegeben wurden. Jedes Motiv geht mit verschiedenen Symboliken einher, die für spirituellen Schutz, Geschichte, Astronomie und mehr stehen können. In ganz Neuseeland haben Kolonialisierung und Moderne die Praxis des Tā Moko mit einem Stigma belegt. Wer sich für die Prozedur entscheidet, sieht sich noch immer Vorurteilen und sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung ausgesetzt. Von den 1940er Jahren bis in die 1980er Jahre waren immer weniger Tā Moko zu sehen, was vor allem an Diskriminierung und der irrigen Annahme lag, Tā Moko seien ein Zeichen von Bandenzugehörigkeit.

Mit jeder Generation von Māori erhält das Gefüge
des Tā Moko einen neuen Strang

In Wahrheit ist das Tragen von Tā Moko ein Zeichen von Würde und kultureller Identität; angesichts der sozialen Stigmatisierung war es jedoch über Jahrzehnte nur selten zu sehen. Der matriarchalische Hapū, der Unterstamm Ngāti Hinemata von Aotearoa, der Nordinsel Neuseelands, war eine von vielen Gemeinschaften, die die volle Wucht des Rassismus zu spüren bekamen. Viele der Ngāti Hinemata-Frauen trugen traditionell Moko Kauae, doch erst in den letzten zehn Jahren haben die Ngāti Hinemata-Frauen diese Praxis wieder aufgenommen. Sie sind nach wie vor sozialem Druck ausgesetzt, doch angesichts ihres entschlossenen Bekenntnisses zu ihrer Kultur und ihrem Erbe können sie sich über diese Widrigkeiten hinwegsetzen. Öffentliche Aufklärung über die Māori Kultur und den Vertrag von Waitangi wird diesen ungerechtfertigten sozialen Druck hoffentlich in Zukunft mindern.

In der Vergangenheit erhielten viele Māori ihr Tā Moko in ihrem Papa Kāinga, dem Dorf ihrer Vorfahren, um die Verbindung zu ihren Vorfahren zu erneuern und zu bekräftigen. Heute können sie das Tā Moko an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Anlässen erhalten, so etwa beim Te Matatini, einem alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb für darstellende Künste. Potentielle Träger bestimmen die Orte, zu denen sie eine starke Verbindung haben, um diesen Bezug zu bekräftigen. Mit jeder Generation von Māori erhält das Gefüge des Tā Moko einen neuen Strang und verbindet so das Alte mit dem Neuen. Die Interpretationen und der Stil der Motive haben sich im Laufe der Zeit verändert, doch diese Veränderungen haben keinen Einfluss auf die eigentliche Bedeutung des Tā Moko und seine Rolle bei der Bewahrung des Erbes und der Kultur der Māori.

Aus dem Englischen von Claudia Kotte

Dieser Beitrag wurde im Juli 2020 überarbeitet