Sag nicht, das Ringen sei vergebens

Wer in den 1990er-Jahren in Nigeria gegen die Militärjunta und die Ölindustrie kämpfte, riskierte sein Leben

Ein Porträt des Schriftstellers Helon Habila. Er trägt ein dunkles Sakko über gestreiftem Shirt und blickt in die Kamera.

Schriftsteller Helon Habila

Wenn man zu jenen gehörte, die in Nigeria in den 1980er- und 1990er-Jahren studierten, dann war es beinahe unausweichlich, dass die eigene Weltsicht von den Kämpfen um Demokratie geformt wurde, die damals das Land erschütterten und schließlich zum Zusammenbruch der Militärdiktatur führten. In den Universitäten wurde permanent gestreikt, die Polizei und das Militär schlugen die Proteste nieder, und schließlich wurden die Lehranstalten geschlossen, mitunter sogar für mehrere Monate. Viele von uns brauchten fünf Jahre für ein Studium, das auf vier ausgelegt war – oder machten überhaupt keinen Abschluss.

Die Behörden hatten es vor allem auf die Studentenführer abgesehen. An ihnen sollten Exempel statuiert werden. Manche wurden eine Zeit lang suspendiert, manche ganz von der Universität verwiesen und festgenommen, und manche wurden getötet. Das Militär wollte mit allen Mitteln an der Macht bleiben. Doch als die Kämpfe landauf, landab immer unkontrollierbarer aufflammten, war selbst den Machthabern bewusst, dass das Ende unausweichlich war. In ihrer Verzweiflung kriminalisierten sie jede Unstimmigkeit und führten erbarmungslose Strafen ein. Zeitungsverlage wurden geschlossen, Journalisten festgenommen. Im Oktober 1986 wurde Dele Giwa, ein angesehener Journalist, Gründer des Magazins Newswatch und einer der führenden Köpfe der Demokratiebewegung, von einer Briefbombe getötet. Niemand wusste, wer der Absender des Briefes gewesen war, aber die Vermutung, dass die Drahtzieher hinter dem Anschlag in der Regierung saßen, lag nicht fern.

Wer wusste schon, was der nächste Tag bringen würde, ob wir in Freiheit oder in Ketten aufwachen würden?

Wir schrieben damals alle Gedichte, Prosa und Kurzgeschichten. Warum sich niemand von uns an einen Roman oder an eine längere Erzählung wagte, darüber dachten wir zu jener Zeit nicht nach. Erst in der Rückschau ergibt alles Sinn: Wir wurden von der Dringlichkeit des Augenblicks getrieben, unsere Satiren und Pamphlete und kritischen Randbemerkungen mussten schnell in Umlauf gebracht werden. Denn wer wusste schon, was der nächste Tag bringen würde, ob wir in Freiheit oder in Ketten aufwachen würden? Unser eigener literarischer Stil wurde unweigerlich von der Widerstandsbewegung beeinflusst. Gedichte, mit ihren dunklen Metaphern und geheimen Anspielungen, waren das perfekte Medium, um unbemerkt kryptische Bemerkungen über die Diktatur zu verbreiten. Wenn ich Gedichte aus jener Zeit lese, von Wole Soyinka und Femi Osofisan und Niyi Osundare und all den jungen Dichtern, die nach ihnen kamen, bin ich selbst heute noch überrascht, wie einzigartig dicht und atemlos die Sprache ist. Sie spiegelt das Erstickungsgefühl, das wir damals verspürten. Unsere Prosa war voller Lynchmorde, Demonstrationen, Verhaftungen und Gesetzlosigkeit – sie war geprägt von einer Ästhetik der Gewalt. Das Schreiben bekam in jenen Tagen eine neue Dringlichkeit.

Es war damals wie heute: Die Machtlosen träumen von Macht, davon, dass sie ihrer Wut gegen das System, das sie quält und hilflos macht, freien Lauf lassen. Doch weil sie machtlos sind, bleibt das einzige Ventil für ihre Frustration die Kunst. Die Werke, die sie aus der Unterdrückung heraus erschaffen, haben eine ganz eigene Ästhetik. Es ist eine nigerianische Ästhetik, eine afrikanische Ästhetik, eine indische Ästhetik, eine postkoloniale Ästhetik. Sie beseelt die Lieder von Fela Kuti und die Theaterstücke von Wole Soyinka und die Prosa von Dambudzo Marechera. Kein Wunder, dass ich mich zu den Werken von Schriftstellern wie Roberto Bolaño, Ngũgĩ wa Thiong’o, Mahmud Darwish und Arundhati Roy hingezogen fühle. In ihren Gedanken über das Exil, die Entfremdung und den Tod, in ihren Zeilen über unerfüllte Sehnsüchte und die ewige Suche nach dem Sinn erkenne ich mich wieder, erkenne ich eine Verwandtschaft. Kein Wunder, dass mein erster Roman, »Warten auf einen Engel« voll ist von Verrückten, Prostituierten, Marxisten und Hungergefühlen aller Art: nach Nahrung, nach Gerechtigkeit, nach Liebe. Ich schrieb über Mangel, begrenzte Möglichkeiten und unerfüllte Versprechen.

Das Böse wird dich umbringen, wenn du ihm nicht widerstehst

Während der Unruhen in Nigeria stellte ich mir oft die Frage, was es eigentlich bedeutet, Widerstand zu leisten. Widerstand gegen wen? Gegen was? Was bedeuten die moralischen Grundsätze, die uns dazu auffordern, dem Bösen zu widerstehen? Was will die Bibel von uns, wenn sie von uns verlangt, der Versuchung zu widerstehen? Der Widerstand hat eine existenzielle Dimension. Das Böse wird dich umbringen, wenn du ihm nicht widerstehst. Adam und Eva gaben der Versuchung nach und wurden aus dem Paradies verbannt. König Salomo gab der Versuchung durch Wein und Weib nach, und es ging nicht gut für ihn aus.

Um zu überleben, musst du gegen das kämpfen, was dich zerstören will. Das war auch die Botschaft des Schriftstellers und Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa, den meine Generation als ihr großes Vorbild sah und der 1995 vom Militär hingerichtet wurde – im selben Jahr, in dem ich meinen Universitätsabschluss machte. Saro-Wiwa kämpfte damals genau wie wir gegen das Militärregime, jedoch vor allem für die Rechte der Ogoni, eines indigenen Volkes im Nigerdelta. Er warf der Politik und den großen Ölkonzernen vor, einen Genozid an den Ogoni zu verüben, indem sie das Delta zerstörten und so Bauern, Fischer und Jäger um ihre Lebensgrundlage brachten. Wie weit sollte man gehen, wenn man Widerstand leistet? Kann man sich friedlich gegen Diktaturen und Tyrannen wehren? Das waren einige der Fragen, mit denen sich Saro-Wiwa auseinandersetzte.

Über Jahre widerstand er den Provokationen der Ölfirmen und der Regierung. Er ließ Verhaftungen und andere Schikanen über sich ergehen. Er sah zu, wie die Proteste, die er anführte, brutal niedergeschlagen wurden, und erlebte, wie die Behörden die Massendemonstrationen, die zum Teil Hunderttausende Menschen anzogen, verboten und die Kritik an der Ölindustrie zum Staatsverrat erklärten. Doch dann kam der 21. Mai 1994 – und die Meldung, dass vier abtrünnige Stammesführer der Ogoni, die Partei für die Ölkonzerne ergriffen hatten, tot waren, kaltblütig ermordet, von Anhängern Saro-Wiwas. Ihre Leichen? Verbrannt. Die Regierung beschuldigte Saro-Wiwa, den Mob zum Mord angestiftet zu haben. Einen Tag später wurde er festgenommen – und ein Jahr später verurteilt und erhängt.

Das Jahrzehnt nach Saro-Wiwas Tod war geprägt von einigen der gewaltsamsten Aufstände, die Nigeria bis dahin erlebt hatte. Milizen entführten ausländische und einheimische Angestellte der Ölfirmen und verlangten Lösegeld, sie kaperten Öltanker, setzten Regierungsgebäude in Brand und gruben Pipelines aus.

Die einen sagten, dass der Widerstand das alles nicht wert sei, das Blutvergießen und die Unruhen

Die einen sagten, dass der Widerstand das alles nicht wert sei, das Blutvergießen und die Unruhen. Andere lobten Saro-Wiwas Mut. Dank seines Protests habe man die Regierung und die Ölfirmen damals an den Verhandlungstisch gezwungen. Ich selbst glaube, es ist egal, was man sagt oder wie man urteilt. Denn manchmal ist der Widerstand gar keine Frage des Wollens. Manchen liegt er fern und zu anderen gehört er dazu. Sie können nicht anders, als zu kämpfen. Es nicht zu tun, wäre ihr Untergang.

Und doch haben selbst die nobelsten Taten und die ehrenwertesten Revolten die Tendenz, sich selbst zu fressen, im Chaos zu versinken. So erging es auch uns, jenen, die damals an den Universitäten protestierten. Erst marschierten wir, dann boykottierten wir die Seminare und Vorlesungen, dann verjagten wir die Fakultätsmitglieder und schlussendlich übernahmen wir den ganzen Campus. Wir fuhren die Busse, putzten die Toiletten und sorgten dafür, dass alles funktionierte. Doch dann fingen einige Studenten wie aus heiterem Himmel an, Steine auf die Polizisten zu werfen. Die Staatsgewalt hatte darauf nur gelauert und sie schlug los, mit aller Gewalt, mit Tränengas und Schlagstöcken und Peitschen. Nach ein paar Stunden war es vorbei. Viele Studenten wurden verletzt, Frauen vergewaltigt, Anführer festgenommen. Der Rest von uns bekam eine Frist von 24 Stunden, um die Wohnheime zu räumen. Das war vorerst das Ende unseres Widerstands.

Ich habe bis heute keine Antwort auf die Frage, ob sich der Kampf wirklich lohnt, ob durch Proteste und Ungehorsam irgendetwas zu gewinnen ist. Doch es gibt ein Gedicht, das mich aufbaut, wenn diese Frage mich bedrückt. »Sag nicht, das Ringen sei vergebens« von Arthur Hugh Clough:

Sag nicht, das Ringen sei vergebens,
Sinnlos vergossen Schweiß und Blut,
Die Feinde unbesiegt zeitlebens
Die Dinge schlecht, gleich was man tut.

Wie Hoffnung trügt, so mag Furcht lügen;
Im Rauch, der überm Feld aufstieg
Lag längst der Feind in letzten Zügen
Und du allein fehltest zum Sieg.

Und scheinen auch die matten Wellen
Zu netzen kaum der Küste Sand,
Durch Bucht und Fluss und Stromesschnellen
Gelangt das Meer weit in das Land.

Und nicht allein durchs Fenster fließet
Von Ost der Morgensonne Strahl,
Die Sonne hebt sich und ergießet
Westwärts ihr Licht bis tief ins Tal.

Aus dem Englischen von Caroline Härdter