Die Gerbereien von Marrakesch
Der Gestank gegerbter Lederwaren macht keinen Halt vor Klassengrenzen

Blick auf Gerberbecken im Osten der Altstadt von Marrakesch, Marokko
Foto: Ali Ghandtschi
Wer sich in den Osten der Altstadt von Marrakesch verläuft, findet sich im Viertel der Gerber wieder. Zwar fühlt man sich als Besucher in der Stadt sicher, doch hier werden die Angebote zu einer Führung oder die Einladung in einen Lederwarenladen deutlich aggressiver. In einer Gerberei gehe ich eine Treppe hoch. Von einem kleinen, verdreckten Balkon aus bietet sich ein chaotisches Bild: Felle liegen zur Trocknung aus und Männer stehen knietief und ohne Handschuhe in Becken mit ungesund aussehenden Flüssigkeiten, um die Felle zu bearbeiten. Je fünf dieser Becken gehören einer Familie. Arabische Familien arbeiten fünf Tage in der Woche, Berberfamilien nur drei, da sie den Rest der Zeit in den Bergen verbringen.
In der Hierarchie der Handwerker stehen die Gerber ganz unten. Eine Legende besagt, dass sie von Dämonen abstammen. Ihr König verurteilte sie zu diesem Beruf, weil sie sich seinen Regeln widersetzten. Die Gerbereien, die wegen des Gestanks traditionell am Rande der Städte lagen, sind mittlerweile von Häusern umstellt. Auf dem Bild sieht man hinter der Stadtmauer eine ärmliche Siedlung mit unverputzten Häusern und ungeteerten Straßen. Nur ein Stück weiter nördlich befinden sich Gated Communities mit teuren Wohnungen, Moscheen, Palmen, Pools und Cafés. Unbefugte Personen werden in diese Viertel nicht hineingelassen. Der Gestank der Gerbereien lässt sich aber durch Schranken nicht aufhalten.