Von Pornos und Protesten
Kann man arabische Pornos mit der arabischen Revolution vergleichen? Eine essayistische Erkundungstour durchs Netz
Die arabischen Revolutionen von 2010 bis 2011 und arabische Pornografie in ein und demselben Text analysieren zu wollen, ist ein kühnes Vorhaben. Genau das aber versucht Youssef Rakha in seinem Essay »Arab Porn«. Am deutlichsten verbindet das Internet die beiden Phänomene. Die arabischen Revolutionen begannen im Netz. Auf gleiche Weise finden arabischsprachige Amateurpornofilme im virtuellen Raum ihr Publikum. Dort kann, entkoppelt vom »echten Leben«, in die Welt der Fantasien und Träume eingetaucht werden – ob dies der Traum von frei gelebter Sexualität oder vom politischen Aufstand ist.
Für Rakha waren die arabischen Revolutionen eine Enttäuschung, weil sie eine Illusion schufen, der jeder reale Bezug zur Gesellschaft fehlte. Diese These untermauert er mit der detaillierten Analyse von Amateurpornos: Auch deren Welt ist irreal, sie zeigen aber typisch »arabische« Perversionen. Rakha beschreibt, wie das Patriarchat sich sogar in den Bereichen vermeintlicher sexueller Freiheit behauptet. Er nennt Beispiele sexueller Heuchelei, worin sich verschleierte Mädchen den Avancen offensichtlich religiöser Männer hingeben.
Das sieht er als Symptome einer Entfremdung in der arabischen Welt. Rakha untersucht aber auch revolutionärere Versuche im Bereich der Pornografie, Beispiele »erotischer Demokratie«, wie er sie nennt. Er beschreibt erotische Beziehungen zum Körper und weibliche Körper, die er als politisch versteht: Sie schauen direkt in die Kamera und zwingen dem Zuschauer förmlich ihre Lust auf, die in manchen Fällen selbst erzeugt ist. Das erinnert an Aliaa Magda Elmahdy, die durch den politisch-künstlerischen Einsatz ihres nackten Körpers kontroverse Berühmtheit erlangte. Doch so selten solche Beispiele »erotischer Demokratie « in der Masse der Mainstream- Pornografie sind, so klein ist die Zahl wirklich emanzipatorisch-revolutionärer Ansätze neben der heuchlerischen Moral der Regime.
Rakhas Idee erscheint zunächst originell, doch beim Lesen macht der Essay stutzig: Wenn die Revolution für die wahre, »demokratische« Erotik steht und ihr Sturz damit einer Umkehr der Sehnsüchte gleichkommt, ist es dann sinnvoll, eine Gesellschaft aus dem Blickwinkel ihrer käuflichen, sichtbaren Sexualität zu analysieren? Und gibt es das überhaupt, eine rein arabische Pornografie? Sicherlich gibt es Pornografie, die für ein Publikum aus arabischen Männern bestimmt ist und in der die pornografischen Themen einer arabischen Realität angepasst werden. Aber was an dieser Form der Pornografie arabisch ist, sind die Darsteller, die Kostüme und vielleicht die Kulissen. Sie bedienen sexuelle Klischees, von der unterwürfigen Frau bis zur Krankenschwester, sie scheinen sich nicht von dem zu unterscheiden, was man in anderssprachigen Pornos gemeinhin sehen kann.
Youssef Rakha lässt sich nicht lang und breit über die immerwährende Frustration der Araber aus, wie das etwa Kamel Daoud in seinen Romanen macht. Aber er verknüpft auf eine problematische Weise den Diskurs um Gewalt und Sexualität mit dem Diskurs um die Araber. Die Unterwerfung der arabischen Frau beschreibt er als quasi natürlichen Zustand beim Sex. Damit benennt Rakha die Gewalt als spezifische Eigenschaft der arabischen Pornografie. Dabei könnte man argumentieren, dass diese Muster innerhalb der gesamten weltweiten Mainstream-Pornografie typisch sind, ein Zeichen ihres phallozentrischen reaktionären Charakters.
Ich teile Rakhas Suche nach einer wahrhaft emanzipatorischen Revolution durchaus. Aber ich bezweifle, dass die arabischsprachige Pornografie als Indikator dafür dienen kann. Eine Emanzipation des Begehrens liegt in den Händen einer feministischen Revolution, ob diese nun arabisch ist, oder nicht.
Arab Porn. Von Youssef Rakha. Matthes & Seitz, Berlin, 2017.
Aus dem Französischen von Carolin Härdter.