Verschleiert gegen Bösewichte
Die pakistanische Comicfigur »Burka Avenger« kämpft für die Rechte von Mädchen
Kennen Sie eine Kindersendung oder Zeichentrickserie, die sich in nur einer Staffel mit Rassismus, Kinderarbeit, religiösem Extremismus, Terrorismus, Naturschutz und Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt? Eine Serie mit eingängigen Songs, lustigen Dialogen, gekonnten Actionszenen und farbenprächtigen Animationen? Eine Serie, die nicht nur informativ ist, sondern auch unglaublich unterhaltsam? Und der es trotz aller schwierigen Themen irgendwie gelingt, vom linken wie rechten politischen Spektrum positiv aufgenommen zu werden?
Ich kenne in der Tat eine Zeichentrickserie, die all das auf großartige Weise vereint! »Burka Avenger« wurde von dem britisch-pakistanischen Musiker Aaron Haroon Rashid erschaffen und vollständig in Pakistan entwickelt und produziert. Während sich die Erwachsenen in Pakistan ständig über Heilige und Sünder, über Helden und Schurken in die Haare kriegen, haben die Kinder mit der Zeichentrickfigur Jiya eine Heldin gefunden, die wirklich als Vorbild taugt. Die junge Lehrerin legt eine traditionelle Burka als Maskierung an, wenn sie gegen Übeltäter zu Felde zieht. Bewaffnet mit Stiften und Schulbüchern, wendet die Heldin einen lokalen Kampfstil namens »Takht Kabaddi« an, um ihre Heimat, die fiktive Stadt Halwapur, zu retten.
Im pakistanischen Alltag ist es schwieriger, sich auf Heldenfiguren zu einigen. Täglich wird in den Medien über die Konflikte und nicht enden wollenden gesellschaftlichen Spannungen berichtet. Ein Beispiel dafür, wie kontrovers herausragende Personen in Pakistan bewertet werden, ist der Humanist und Philanthrop Abdul Sattar Edhi. Er gründete zahlreiche Schulen, Krankenhäuser und Zufluchtsstätten für Waisenkinder, Suchtkranke und Schwererziehbare. Er wurde weltweit als der »Vater Teresa« Pakistans berühmt. Trotzdem gibt es immer noch genug Menschen, die seine Leistungen herabwürdigen, weil er nicht betet und niemanden wegen seiner Religion oder ethnischen Herkunft zurückweist. Verschwörungstheoretiker bezeichnen ihn darum als »westlichen Agenten«.
Für Menschen, die Edhi aus solchen Gründen ablehnen, gelten andere als Helden, Märtyrer oder »Shaheed«: Menschen wie Mumtaz Quadri. Qadri erlangte nationale Berühmtheit, als er seinen Arbeitgeber, den Politiker und Geschäftsmann Salman Taseer, erschoss. Taseer hatte es gewagt, die pakistanischen Blasphemiegesetze öffentlich zu kritisieren, und wollte die Begnadigung einer Christin erreichen, die seiner Meinung nach zu Unrecht mithilfe eben dieser Gesetze der Blasphemie beschuldigt worden war. Qadri, der als Bodyguard für Taseer arbeitete, fühlte sich berufen, die vermeintliche Verteidigung der Religion in die eigenen Hände zu nehmen, und durchsiebte den Körper seines Arbeitgebers mit Kugeln.
In einem Land, in dem Mitgefühl und Toleranz langsam vor die Hunde gehen, braucht es dringend positive Identifikationsfiguren. Das gilt ganz besonders für weibliche Vorbilder. Das Ausmaß der Geschlechterungleichheit in Pakistan sorgt weltweit für Besorgnis. Im Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums rangiert Pakistan auf Platz 143 von 144 Ländern. Was muss getan werden, um diese Situation zu verbessern? Wie können wir Kindern von klein auf eine alternative Sichtweise vermitteln? Wie verhindern wir, dass kleine Jungen von Kindesbeinen an von patriarchalen Männlichkeitsbildern und religiösem Extremismus beeinflusst werden? Wie können wir pakistanische Mädchen und Frauen dazu bringen, gegen Zwangsbekehrungen, häusliche Gewalt, Säureanschläge, Ehrenmorde, finanzielle Ausgrenzungen und die mangelnde Anerkennung häuslichen Arbeit aufzubegehren?
Die Serie »Burka Avenger« versucht es mit kreativen Mitteln. Im Mittelpunkt steht Jiya nicht nur als liebevolle und gebildete Lehrerin, die ihren Schützlingen das Handwerkszeug für eine bessere Zukunft mit auf den Weg gibt. In ihrer Maskerade als burkaverhüllte Superheldin jagt sie die Bösewichte in die Flucht, wenn diese zum Beispiel die einzige Mädchenschule der Stadt schließen wollen. Die vier Staffeln der animierten Serie waren nicht nur auf Urdu im beliebten Fernsehsender Nickelodeon Pakistan zu sehen, sondern wurden für andere Kinder der Welt in viele Sprachen übersetzt. So warten nicht nur in Pakistan kleine Mädchen und Jungs gebannt auf die nächsten Folgen der Abenteuer, sondern zum Beispiel auch in großer Zahl in Kanada. Es gibt einige wenige Kritiker, die der Serie vorwerfen, sie glorifiziere die Burka. Die Mehrheit der Kritiken lobt allerdings, wie einfühlsam die Macher auf die Kultur und Politik Bezug nehmen.
Offenbar wurde »Burka Avenger« deutlich von der pakistanischen Aktivistin Malala Yousafzai inspiriert. Die Friedensnobelpreisträgerin, die 2012 angeschossen wurde, weil sie sich im Nordwesten Pakistans für die schulische Bildung von Mädchen eingesetzt hatte, gilt weltweit als eine Art reale Superheldin. Doch ausgerechnet in Pakistan ist sie für die Mehrheit der Menschen eine umstrittene Persönlichkeit, der viel Abneigung entgegengebracht wird. Gleiches gilt für die Oscar-Preisträgerin und Dokumentarfilmerin Sharmeen Obaid Chinoy sowie die Menschenrechtsaktivistin Asma Jehangir: Während die Welt ihnen Auszeichnungen verleiht und sie verehrt, werden sie in ihrem Heimatland weiterhin verachtet.
Für mich persönlich, als Journalistin, war »Burka Avenger« eine große Inspiration. Auch ich habe eine Comicserie erfunden, um den gesellschaftlichen Wandel durch ein fiktives Vorbild voranzubringen: Meine Hauptfigur heißt Raaji und hat einen versuchten Ehrenmord überlebt. Mithilfe dieser Figur möchte ich Mädchen in Pakistan mit Informationen über tabuisierte Themen wie Missbrauch, Kinderehen, Monatshygiene und Radfahren versorgen. Noch reicht unser Budget nicht für kunstvolle Animationen, tolle Actionszenen oder die Ausstrahlung auf Nickelodeon. Aber immerhin erreichen wir, ausgestattet mit tragbaren Abspielgeräten, Kinder bis in die ländlichen Ecken von Bezirken wie Tharparker, wo viele ethnische Spannungen und Geschlechterungerechtigkeit herrschen.
Um weitere Ideen für die Handlungen und Charaktere meiner Serie zu finden, muss ich nicht weit suchen. Überall in meinem Umfeld kämpfen Helden des echten Lebens, Freunde wie Fremde, gegen Ungerechtigkeiten. Da ist zum Beispiel der Rechtsanwalt Nighat Daad, der Mädchen hilft, sich gegen Onlinebelästigungen zur Wehr zu setzen. Oder die Aktivistin Sheema Kirmani, die an Orten tanzt, an denen Sprengstoffattentate verübt wurden, um den Terroristen zu zeigen, dass sie Kunst und Kultur nicht vernichten können. Da ist die linksorientierte Musicalgruppe Laal, die Schulen in abgelegenen Gebieten besucht und den Kindern Hymnen gegen den Terrorismus vorsingt. Oder die Transgender-Aktivistin Kami Sid, die sich für die Rechte von LGBTQ einsetzt. Zu meinem großen Glück kenne ich diese Helden des echten Lebens. Nach ihrem Vorbild versuche ich, animierte Charaktere zu schaffen, die wiederum Kindern Vorbild sein können. Mit Blick auf fiktive und reale Helden wie diese kann ich gar nicht anders, als optimistisch auf die Zukunft meines Landes zu blicken.
Aus dem Englischen von Karola Klatt