Starruhm für Staatsbeamte
Wer vom Schreibtisch aus gegen Korruption kämpft, wird selten berühmt. Eine Reality-TV-Show soll das ändern: Lehrer, Ärzte und Beamte werden auf dem Bildschirm zu nationalen Idolen gekürte
Igbolo Magdalene, eine Dozentin für Soziologie an der Universität von Abuja in Nigeria, fand nie, dass sie das Zeug zur Heldin habe – und noch viel weniger zum Reality-TV-Star. »Eigentlich bin ich kamerascheu«, gesteht sie. »Bei meiner Arbeit töne ich nicht groß rum. Ich erledige einfach meinen Job. Doch jetzt bin ich an der Universität zum ›Idol‹ geworden und die Leute rufen mir von der anderen Straßenseite zu, dass sie mich im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört hätten.«
Der Wendepunkt in ihrem Leben war die Nominierung als »Integrity Idol« (deutsch: »Held der Redlichkeit«) in der gleichnamigen Fernsehsendung. In Ländern wie Mali, Nepal, Liberia, Nigeria und Pakistan, in denen Korruption weit verbreitet ist, kürt dieses Reality-TV-Format ehrliche Staatsbedienstete zu nationalen Vorbildern und verschafft ihnen somit plötzlichen Starruhm.
Magdalenes Haltung erfordert tatsächlich Mut, denn sie stellt sich gegen eine Universitätskultur, die geprägt ist von Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft. In Nigeria ist es nicht ungewöhnlich, dass Studenten ihre Professoren für gute Noten oder sogar Zeugnisse bezahlen – entweder cash oder mit Sex. »Ich fand mich selbst nicht vorbildlich oder heldenhaft, ich habe mich einfach behauptet«, sagt sie. Aufgrund ihrer Ehrlichkeit geriet Magdalene immer wieder auch mit den eigenen Kollegen aneinander, die sie davon überzeugen wollten, manchen Studenten bessere Noten zu geben. »Es ist nicht leicht, fair zu bleiben. Widersetzt man sich, wird man als scheinheilig angesehen und es wird einem vorgeworfen, man verstehe das System nicht.«
Normalerweise versuchen Reality-TV-Formate mit exotischen Drehorten, B-Prominenten oder starken Stimmen Quote zu machen. »Integrity Idol« dagegen setzt auf die Helden des Alltags: Ärzte, Staatsbeamte oder Lehrer. Das Alltägliche ins Visier zu nehmen, hat sich für die Show ausgezahlt. Nach Angaben von Accountability Lab, der gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Washington, die hinter den Sendungen steckt, erreicht sie ein Publikum von zehn bis 15 Millionen Zuschauern.
Vor vier Jahren fand in Nepal die erste »Integrity- Idol«-Show statt. Nationale Ableger der Show wurden später in Pakistan, Mali, Liberia und Nigeria lanciert. Gegenwärtig sammelt ein Team Nominierungen für einen südafrikanischen Wettbewerb, der später im Jahr ausgestrahlt werden soll. Dort trifft die Show wegen Jakob Zumas zögerlichem Rücktritt vom Präsidentenamt, trotz der jahrelangen Korruptionsvorwürfe, einen Nerv.
Wer Alltagsheld werden will, muss zunächst von Kollegen vorgeschlagen werden. Nach eingehender Prüfung der Nominierten wählt eine Jury fünf Kandidaten aus, die filmisch in einem Clip porträtiert werden und die über ihre Arbeit und ihre Haltung berichten. Die nepalesische Staatssekretärin Srijana Tiwari sprach in ihrem Clip aus der 2017er-Staffel ganz offen darüber, dass ihr großes Arbeitsengagement für sie eine Möglichkeit darstelle, die Gesellschaft grundlegend zu reformieren: »Wenn ich nur einfach meinen Job machen würde, wer würde dann dafür sorgen, dass sich etwas verändert?« Tiwari hatte jahrelang gegen die Misshandlung nepalesischer Arbeitsmigranten im Ausland gekämpft und besonders die Ausbeutung nepalesischer Dienstmädchen in den Golfstaaten angeprangert. Ihre Hartnäckigkeit schlug Wellen und trug dazu bei, dass ein landesweites Verbot erlassen wurde: Heute emigrieren nepalesische Frauen nicht mehr als Hausangestellte in die Golfregion.
Das ist nur eine der zahlreichen Geschichten des alltäglichen Heldentums, die durch die Sendung ans Tageslicht kamen. Da gab es zum Beispiel noch die liberianische Krankenschwester, die während der Ebola-Krise Patienten versorgte und an ihren Prinzipien festhielt, obwohl andere um sie herum Bestechungsgelder für Medikamente und Betten kassierten. Oder den pakistanischen Bildungsbeauftragten eines Bezirks, der jeden Tag zwanzig Meilen zu Fuß lief, um sicherzustellen, dass die Lehrer in den ländlichen Gegenden auch wirklich in den Schulen erschienen und die Kinder unterrichteten – obwohl er seit sieben Jahren kein Gehalt bekommen hatte.
»Wir wollten einfache Menschen berühmt machen, die Außergewöhnliches leisten«, sagt der Direktor des Accountability Lab, Blair Glencorse. »Es geht darum, aus den Helden des Alltags nationale oder sogar internationale Helden zu machen.« Mit diesen Vorbildern will er den Menschen angesichts einer zutiefst korrupten Gesellschaft wieder Hoffnung schenken. So soll auch das vorherrschende Gefühl der Ohnmacht zurückgedrängt werden. Glencorse hat viele Jahre lang für zivilgesellschaftliche Organisationen und die Weltbank gearbeitet. In zahlreichen Gesprächen mit jungen Menschen überall auf der Welt hörte er immer wieder denselben Wunsch: die Korruption inmitten der eigenen Gesellschaft loszuwerden. Um diesem Missstand zu begegnen, gründete er 2012 das Accountability Lab.
Die Idee für die Sendung »Integrity Idol« entstand, als Glencorse in Nepal mit Kollegen »Nepali Idol« sah, eine lokale Version der britischen Castingshow »Pop Idol«. Zuerst war es nur eine Witzelei, eine Anti-Korruptions-Version dieser Reality-TV-Show ins Leben zu rufen. Aber je länger sie darüber nachdachten, um so mehr erkannten sie, dass das eine gute Möglichkeit sein könnte, um positive Vorbilder hervorzuheben und die Korruptionsdebatte auch auf einer anderen Ebene zu führen als nur im negativ konnotierten Kontext von Skandalaufdeckung und Anschuldigung. »Die Leute zeigen mit dem Finger auf Politiker und glauben, es würde sich nie etwas ändern«, sagt Glencorse und fügt hinzu, dass die Show stattdessen das Positive betont: »Statt schwarze Schafe an den Pranger zu stellen, rücken wir die Hoffnungsträger ins Rampenlicht.«
Saqib Zafar, Staatsbeamter in der Administration von Bahawalpur in der Provinz Punjab, hat den letzten pakistanischen »Integrity-Idol«-Wettbewerb gewonnen. Sein Anliegen geht weiter, als nicht nur nicht korrupt zu sein: »Rechtschaffenheit nimmt viel mehr Raum ein. Wesentlich für die Beurteilung der Rechtschaffenheit von Organisationen oder Individuen sind der umsichtige Gebrauch von Ressourcen, Autorität und Arbeitsmoral«. Zafar staunte über die leidenschaftliche öffentliche Resonanz in den sozialen Medien. Vom Regierungsvertreter bis zum Freizeitkommentator waren alle der Meinung, dass es höchste Zeit sei, korrupte Praktiken endlich auszumerzen. »Die Menschen wollen ehrliche und aufrechte Beamte würdigen«, sagt er. »Tatsache ist, dass jeder es in der Hand hat, für einen anderen zum Helden zu werden.«
Doch können die Geschichten der Alltagshelden mehr sein als Hoffnungsschimmer angesichts der tief verwurzelten Korruption? Schätzungsweise fünf Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (oder umgerechnet rund 2,1 Milliarden Euro) fließen in die Korruption. Bestechung ist nach Odeh Friday, der Leiterin des nigerianischen »Intergrity- Idol«-Ablegers, »systematisch und fast schon die Regel«. Die Zahlung von Schmiergeld sei überall gängige Praxis, sogar bei alltäglichen Behördengängen wie dem Erneuern von Fahrzeugpapieren. Nigeria fiel vergangenes Jahr im weltweiten Korruptions-Ranking von Transparency International auf den 148. Platz von insgesamt 180 Ländern.
Die Show habe in gewisser Weise das Augenmerk auf die Universität Abuja gerichtet, sagt Magdalene hinter ihrem Schreibtisch. »Mein Auftritt bei den Alltagshelden hat bewirkt, dass mein Abteilungsleiter die Kollegen warnte, sie ständen unter Beobachtung, was auch immer sie täten.« Von den Studenten, die am korrupten Status quo verzweifelt seien, habe sie unterdessen viel Anerkennung erfahren. »Sie sind unzufrieden und leiden darunter, dass die ältere Generation sich bereichert. Das Geld, das für den Bau ihrer Bildungseinrichtungen bestimmt ist, für ihre Lehrer und ihre Bücher, verschwindet einfach in irgendwelchen Taschen. Deshalb sagen mir viele Studenten, dass ich tatsächlich ein Vorbild für sie bin.«
Aus dem Englischen von Karola Klatt