Opferbereit und tatendurstig
Welche Eigenschaften machen einen Helden aus? Eine Charakterisierung
Von Helden muss erzählt werden. Keine Tat und kein Tod sind heldenhaft, wenn nicht jemand sie so nennt. Das Attribut »heroisch« mag den Charakter einer Person, die moralische Qualität einer Handlung oder die mit ihrer Ausführung verbundenen Mühen und Gefahren bezeichnen, aber immer sind es Zuschreibungen, und stets braucht es eine Gemeinschaft, die sie teilt. Oder darüber streitet. Denn dass Helden narrativ erzeugt werden, bedeutet auch, dass es kontrovers ist, wer als Held gelten soll. Des einen Held ist des anderen Schurke. Oft verwischen die Grenzen zu Figuren wie dem Genie, Star, Abenteurer, Führer, Herrscher, Heiligen oder Märtyrer. Protagonisten auf der Bühne und im Film oder literarische Hauptfiguren heißen Helden, man spricht metaphorisch von heroischen Landschaften der Malerie und von Sinfonien (Beethovens »Eroica «), und im alltäglichen Sprachgebrauch signalisiert das Attribut »heroisch« häufig kaum mehr als ein anerkennendes Schulterklopfen. Vollends entleert wird der Begriff in der Sprache des Marketings, wo die Ware ihren Käufer zum Helden adeln soll oder gleich selbst heroisiert wird. Was also ist ein Held?
Abgehoben von der Masse
Heroische Erzählungen kreisen um reale oder fiktive Gestalten, die ihre Umgebung in irgendeiner Weise überragen. Als Ausnahmen qua Leistung, Geburt, höherem Auftrag oder Kairos (der günstige Augenblick) heben sie sich ab von der Masse. Deshalb sind sie selten. Es kann zwar mehr als nur einen geben, aber wollte man alle zu Helden erheben, verlöre die Auszeichnung ihre Kraft. Das Gebot der Außerordentlichkeit gilt für die welthistorischen Individuen vom Schlage eines Cäsar oder Napoleon, aber auch für die kleinen Helden des Alltags. Auch sie sind zumindest in einem Punkt und für einen Moment ein wenig größer als der Rest. Weil Größe relativ ist, benötigen sie Kontrastfiguren: Heroische Narrationen erzeugen deshalb zugleich Nichthelden, die zum Helden aufschauen. Heldengeschichten lehren den demütigen Blick nach oben. Dieses Oben ist allerdings der menschlichen Sphäre nicht gänzlich entrückt: Helden mögen über übermenschliche Kräfte verfügen, aber sie sind keine Götter. Anders als diese müssen Helden sterben, ihr Tod ist oftmals geradezu Voraussetzung der Heroisierung. Aus der Exzeptionalität der Heroen leitet sich ihr Machtanspruch ab. Heldenlegenden und -attribute gehören zum festen Bestand von Herrscherinszenierungen und installieren einen Selbstbestätigungszirkel: Wo heldenhafte Führer beschworen werden, soll die Menge ihnen folgen. Umgekehrt gilt: Wer gehorchen will, wird nach Gründen dafür suchen und denjenigen, dem er nachläuft, zum Heros küren. Heroische Narrative sind antiegalitär. Sie verhandeln Rangordnungen und teilen die Welt auf in die Wenigen und die Vielen. An Helden muss geglaubt werden, und dieser Glaube lässt sich nicht verordnen.
Mit allen Regeln brechen
Außerordentlich sind Helden auch darin, dass sie die Grenzen der sozialen Ordnung überschreiten. In jedem von ihnen steckt ein schwer zu kontrollierender Störenfried. Auf der einen Seite stabilisieren sie das gesellschaftliche Gefüge, indem sie seine Regeln vorbildhaft verkörpern und bis zum Selbstopfer für sie eintreten – das Modell des Tugendhelden. Auf der anderen Seite destabilisieren sie es, wenn sie sich selbst nicht an jene Regeln halten, die für die übrigen gelten sollen – der Held als Outlaw. Sie bewähren sich entweder durch rückhaltlose Treue gegenüber dem Gesetz oder aber dadurch, dass sie keinem Gesetz außer ihrem eigenen gehorchen.
Geschichte schreiben
Helden brauchen Taten. Die Größe, die man an ihnen rühmt, beruht nicht zuletzt auf der Suggestion, dass sie dem Lauf der Dinge die entscheidende Wendung geben. Etwas vom Mythos der großen Männer, die Geschichte machen, haftet jeder Heldenerzählung an. Historie erscheint in dieser Perspektive als planvolles Wirken souverä- ner Akteure, nicht als chaotische Abfolge zufälliger Ereignisse. Um die Handlungsmacht beim Helden zu bündeln, müssen die Anteile anderer Akteure und nichtmenschliche Einflussfaktoren unsichtbar gemacht, zumindest verkleinert werden. Gesteigert wird sie noch durch die Steine, die man den Helden in den Weg legt. Heroische Handlungsmacht braucht Widerstände. Deshalb dürfen auch die Gegenspieler nicht schwächeln. Andere Figuren im heroischen Ensemble – Gefährten, Mentoren oder Geliebte – spielen nur Nebenrollen.
Den Tod in Kauf nehmen
Die Bedeutung heroischer Handlungsmacht zeigt sich dort, wo sie in ihr Gegenteil umschlägt: Heldentat und Heldentod beglaubigen sich wechselseitig. Nur tote Helden haben bewiesen, dass sie wirklich alles zu geben bereit waren. Die existenzielle Wucht ihres Vorbilds soll bewerkstelligen, was Appelle an das Interesse, die gute Sache oder die Vernunft allein nicht vermögen: Sie soll die Nachgeborenen dazu bewegen, den eigenen Überlebenswillen ebenfalls hintanzustellen und sich genauso rückhaltlos einzusetzen.
Bewährung im Kampf
Was immer Helden tun – Länder erobern, Abenteuer bestehen, Leben retten, sportliche Siege erringen, Gedichte schreiben, wissenschaftliche Entdeckungen machen –, es gerät ihnen zum Kampf. Stets müssen äußere und innere Feinde niedergerungen und übermenschliche Kräfte mobilisiert werden. Heldengeschichten handeln von Mut und Opferbereitschaft – und vom siegreichen Kampf gegen sich selbst. Darin liegt ihre handlungsorientierende Macht. Heldengeschichten zeichnen sich durch eine agonale Welt aus, sie bauen auf einem Verständnis des Sozialen als Wettkampf auf. Für Kooperation und Konsens bleibt wenig Raum. Bevorzugtes Bewährungsfeld für Heldenfiguren und Hauptschauplatz von Heldenerzählungen ist der Krieg. Die Geschichte des Heroischen lässt sich in weiten Teilen als Militärgeschichte schreiben.
Mythos großer Mann
Weil von Homers Zeiten bis heute vor allem Männer Kriege geführt haben und auch darüber hinaus die Tätigkeit des Kämpfens mit Maskulinität assoziiert wird, erscheint das Heroische als eine primär männliche Domäne. Männer sind demnach tatendurstig, kompetitiv, gewaltaffin, risikobereit, abenteuerlustig und schlagen gelegentlich über die Stränge – samt und sonders heldenkompatible Eigenschaften. Frauen gelten dagegen als schutzbedürftig, sorgend, einfühlsam, aber auch als verführerisch. Sie sind eher Siegestrophäen und Spiegel des männlichen Narzissmus als autonome Handlungsträgerinnen. Nur selten berichten heroische Geschichten von Kämpferinnen, umso häufiger aber von Frauen, um die gekämpft wird und an deren Errettung beziehungsweise Eroberung sich männliches Heroentum beweisen soll. Die heroische Geschlechterordnung ist binär und lässt kaum Raum für Zwischentöne. Einen Platz im traditionellen Kanon heroischer Vorbilder finden Frauen allenfalls als aufopferungsvolle Tugendheldinnen. Im Konzept der Ehre gipfelt die Geschlechterungleichheit: Während die Ehre der Frauen darin besteht, ihre Keuschheit zu wahren und sich dazu der Kontrolle durch Vater, Brüder oder Ehemann zu unterwerfen, müssen Männer die Ehre der Frauen im Kampf gegen andere Männer verteidigen – und können sich dabei als Helden qualifizieren. Die weibliche Ehre ist ein passives Schutzgut, die männliche fordert aktive Bewährung. Mit der Erosion traditioneller Geschlechterbilder treten inzwischen zwar vermehrt auch Heldinnen auf den Plan. Aber die Gestalten der zeitgenössischen Populärkultur wie Wonder-, Spider-, Batwoman und Co. sind selten Modelle weiblicher Selbstermächtigung. Meistens bleiben diese Heldinnen eine Männerphantasie.
Widersprüchliche Gefühle
Heldengeschichten wecken Leidenschaften und fordern zum Urteil heraus. Psychologisch gesehen verkörpern Heldenfiguren ein widersprüchliches Ideal-Ich. Einerseits ziehen Helden Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich, andererseits dienen sie als kompensatorische Projektionen. So wie sie wäre man vielleicht selbst gern und ist doch auch erleichtert, es nicht zu sein. Wenn ihre Abenteuer besungen werden, soll das immer auch die Bedrohung bannen, die von den Grenzen verletzenden, oftmals gewalttätigen, in jedem Fall aber das Normalmaß übersteigenden Gestalten ausgeht. Ein mächtiger Affekt ist das Ressentiment: Dauerndes Aufschauen erzeugt Nackenstarre. Mag sein, dass die Kleinen im bewundernden Blick auf die Großen selbst ein wenig größer zu werden hoffen, aber genauso stark ist ihr Impuls, die Helden vom Sockel zu stoßen und sich an ihrem Fall zu ergötzen.
Kindern ein Vorbild
Die Kinder- und Jugendliteratur ist voll von Helden. Ihre Protagonisten liefern Modelle sozial erwünschten Handelns und fesseln durch ihre Abenteuer. Mit ihrem ungestü- men Tatendrang und klaren Normen weisen sie einen Weg aus Ambivalenzkonflikten. Ihr Mut hilft Ängste zu besiegen, ihre Ungebundenheit nährt das Autonomiestreben, ihr Rebellentum ermutigt zum Aufbegehren gegen Autoritäten, ihr kämpferischer Habitus und ihre Stärke kompensieren Ohnmachtserfahrungen. Folgt man der psychoanalytischen Entwicklungstheorie, so trägt die Identifikation mit den Heldenfiguren maßgeblich zur psychischen Reifung bei. Das externe Ideal-Ich befördert den Aufbau eines internen Ich-Ideals. Aber Heldengeschichten lehren auch, die Welt in Gut und Böse aufzuteilen, Konflikte gewaltsam zu lösen, Opfer zu bringen und den bedingungslosen Einsatz für ein vermeintlich höheres Ziel dem guten Leben vorzuziehen. Zur Mündigkeit erzieht man so nicht. Als Identifikationsobjekte müssen Helden entweder enttäuschen, weil ihre Geschichten Glaubwürdigkeitsprobleme aufwerfen, oder überfordern, weil niemand ihrem Vorbild entsprechen kann. Bestenfalls ähneln sie Übergangsobjekten, an denen man sich eine Zeit lang festklammert, die dann ihre emotionale Bedeutung einbüßen und schließlich wie andere Kindheitsschätze in einer Erinnerungskiste verstaut werden.
Haben Helden ausgedient?
In Deutschland, aber auch in anderen westlichen Gesellschaften, ist es nach 1945 problematisch geworden, an heroische Tugenden zu appellieren oder sich auf Heldengestalten zu berufen. Vor allem das kriegerische Heldenmodell hat seine Legitimität verloren. Der Eintritt in eine postheroische Ära wurde zuerst in politischen Abhandlungen über die Zukunft des Krieges diagnostiziert. Westliche Gesellschaften seien nicht länger in der Lage, so die These, massenhaft Opferbereitschaft zu mobilisieren und längerfristig hohe Verluste unter den eigenen Truppen in Kauf zu nehmen. Deshalb führten sie asymmetrische Kriege mit hochtechnisierten Waffensystemen, machten sich allerdings auch verwundbar durch Gegner, die technologische Unterlegenheit durch heroische Todesverachtung kompensieren. In zeitgenössischen Memorialdiskursen ist die Position der Helden problematisch geworden, weil sich ihre Triumphe oft bei genauerem Hinsehen als Untaten entpuppt haben. Gleichzeitig rücken die in ihrem Leiden jeglicher Schuld und Mittäterschaft unverdächtigen Opfer ins Zentrum kollektiver Erinnerung. Gedenkstätten ersetzen Heldendenkmäler. Organisationstheoretiker sprechen von den Vorteilen partizipativer Führung. Probleme sollen kleingearbeitet und Kompromisse ausgehandelt werden, statt tollkühn das Ganze aufs Spiel zu setzen. Nicht brachiales Durchschlagen gordischer Knoten, sondern kunstvolles Knüpfen von Netzwerken ist gefragt. Psychologische Studien identifizieren den zeitgenössischen Sozialcharakter der »postheroischen Persönlichkeit«, die ihre Flexibilität mit dem Zwang zu fortwährender Selbstformung erkauft. Die beiden elementaren Formen der Heldenselektion, Auserwähltsein und Selbst ermächtigung, geraten in Verruf. Demokratische Führer werden gewählt, nicht auserwählt; sie reißen die Herrschaft nicht an sich, sie wird ihnen auf Zeit übertragen. Unter dem Ideal der Gleichheit verliert das Außergewöhnliche seine Legitimität und Vorbildfunktion. An die Stelle des Ruhms als Goldstandard gesellschaftlicher Anerkennung treten die weit unbeständigeren Währungen des Prestiges und der Prominenz.
Heroismen erzeugen ein Kraftfeld, das alle, die in seinen Einflussbereich gelangen, auf den Heldenpol ausrichtet. Die vielen Befunde postheroischer Zeiten dagegen erzeugen keine Gegenkraft, sondern zeigen lediglich an, was das heroische Kraftfeld schwächt. Helden mögen als Relikte vergangener Zeiten in die Gegenwart hineinragen, aber das Heldenschema hat sich bis jetzt als flexibel genug erwiesen, um nicht ganz von der Bildfläche zu verschwinden. Die Figuren wandeln sich, doch für Nachschub ist weiter gesorgt. Was wir als nachahmungswürdiges Vorbild nicht mehr ertragen, genießen wir umso mehr in den Welten der Imagination. Wiederbelebte und neu kreierte Heldenfiguren bevölkern Comics, Filme und Computerspiele, auch der Leistungssport liefert reichlich heroisierbares Personal. Retterfiguren bei Katastrophen werden ebenso zu Helden erklärt wie Bürgerrechtler und Whistleblower, die sich durch Zivilcourage hervorgetan haben. Popheroismus und Postheroismus finden in friedlicher Koexistenz zusammen.
Die pauschale Diagnose eines heldenlosen Zeitalters überzeugt darum nicht. Man kann eher von einer entgegengesetzten Gleichzeitigkeit von Heldenbeschwörungen und -demontagen ausgehen. Der Fragwürdigkeit von Heldenfiguren in der Gegenwart steht ein fortdauernder Heldenhunger gegenüber. Solange politische oder religiöse Mächte auf Opferbereitschaft angewiesen sind, solange der verallgemeinerte Wettbewerb die Einzelnen zu fortwährender Selbstüberbietung nötigt und sie in den Kampf gegen die Konkurrenz treibt, solange Ohnmachtserfahrungen Phantasmen der Größe hervortreiben und die Reglementierungen des Alltags die Sehnsucht nach Grenzverletzungen befeuern – so lange wird man Helden suchen und finden. Wo immer sie auftauchen, wird man sie als Problemanzeiger verstehen müssen. Ob wir auf Opferkulte und moralische Aufrüstung verzichten können, ist ungewiss. Wir sind nicht postheroisch, aber es zu werden, wäre vielleicht eine gute Idee.