Grenzenlos funken

Der bulgarische Softwareingenieur - und Liebhaber des Amateurfunks - erzählt aus seinem Leben 

Als Jugendlicher träumte ich davon, die Welt zu bereisen. Doch ich hatte weder das Geld noch die Möglichkeit, einfach in den Westen zu fahren. Ich bin in der bulgarischen Kleinstadt Byala Slatina aufgewachsen. Meine Mutter arbeitete bei der Post. Mein Vater war Busfahrer in Sofia. Am Wochenende wartete ich immer darauf, dass sein Bus um die Ecke bog und ich mit ihm spielen konnte. Eigentlich hatte meine Familie alles, was man brauchte, sogar ein Auto. Doch als ich sieben Jahre alt war, kam ein Brief, der mein Leben veränderte. Mein Vater wollte uns verlassen – eigentlich natürlich meine Mutter, aber damit irgendwie auch meine Schwester und mich.

Mit 14 Jahren entdeckte ich ein neues Hobby, das mir die Tür zur Welt öff nete: den Amateurfunk. Zuerst funkte ich innerhalb Bulgariens, dann nach Westeuropa, nach Spanien, Italien und Deutschland. Als ich das erste Mal mit einem Funkamateur in Indonesien Kontakt hatte, konnte ich vor Aufregung nicht schlafen. Im Amateurfunk gab es keine Grenzen zwischen Kommunismus, Sozialismus und Kapitalismus. Wir waren Funkamateure und hatten alle das gleiche Interesse. Es war der einzige offiziell erlaubte Weg, auch mit dem „bösen" kapitalistischen Ausland zu kommunizieren. Denn ein Kodex besagt, dass Amateurfunk nicht für politische Interessen genutzt werden darf. Ich schloss viele Freundschaften. Wir schickten uns Briefe und Fotos In der Schule erzählten uns die Lehrer, die Westeuropäer seien unsere Feinde. Darüber konnte ich nur lachen. Ich kannte sie schließlich.

1989 wurde das kommunistische Regime in Bulgarien unter Todor Schiwkow gestürzt. Im Jahr darauf lähmte ein Generalstreik das Land. Das Geld, das meine Mutter mühsam für uns zur Seite gelegt hatte, war plötzlich nichts mehr wert. Damals studierte ich in Sofia Radio- und Fernsehtechnik. Gegen Ende meines Studiums ging mein großer Traum in Erfüllung: Ich reiste das erste Mal ins Ausland, zu einem Praktikum bei der Post im bayerischen Weiden. Sechs Wochen Deutschland. Ich wanderte in den Alpen und war fasziniert von dem Gefühl der Freiheit. In Deutschland gab es alles zu kaufen, wovon ich in Bulgarien geträumt hatte – eine eigene Funkstation, eine komplette Bergausrüstung. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich in Deutschland leben wollte. Zunächst studierte ich in Dieburg bei Darmstadt Nachrichtentechnik. Im Anschluss bekam ich einen Job bei der Telekom. Ich dachte, ich hätte es geschafft. Doch die Ausländerbehörde verweigerte mir eine Arbeitsgenehmigung. Ich musste von einem Tag auf den anderen zurück nach Bulgarien. Erst im Sommer 2000 tat sich wieder eine Möglichkeit auf, zurückzukehren. Die damalige Bundesregierung hatte ein Gesetz auf den Weg gebracht, um den Fachkräftemangel in der IT-Branche auszugleichen. Spezialisten aus dem Ausland durften von nun an für fünf Jahre in Deutschland arbeiten. Kurze Zeit später saß ich an meinem neuen Arbeitsplatz im hessischen Dietzenbach und war glücklich.

Mit Anfang dreißig unternahm ich meine erste kleine Funkexpedition. Ich packte meine Funkstation ein und flog zum Klettern nach Teneriffa. Mit Blick aufs Meer funkte ich von den schönsten Plätzen der Insel. Genauso wie ich träumen viele Hobbyfunker davon, einmal in jedes Land der Welt zu funken. Doch nicht überall gibt es eine aktive Amateurfunkgemeinschaft. Deswegen organisiere ich regelmäßig Expeditionen in diese Länder. So reiste ich 2012 gemeinsam mit einer internationalen Amateurfunkgruppe nach Lesotho. Das war meine erste große Expedition. Tausende Funkamateure versuchten Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir waren Tag und Nacht beschäftigt und schliefen kaum. In zehn Tagen machten wir 30.000 Verbindungen. Und wirklich jede davon war etwas ganz Besonderes.

Meine Frau Verginia und meine Tochter Laura teilen meine Leidenschaft zum Amateurfunk. In den Urlaub nehmen wir immer eine Antenne und das Funkgerät mit. Laura machte im Herbst 2017 ihre große Amateurfunkprüfung. Mit ihren elf Jahren ist sie heute die jüngste Hobbyfunkerin Deutschlands. Gemeinsam mit meiner Familie meine Jugendträume zu leben, macht mich sehr glücklich. 

Protokolliert von Siri Gögelmann

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