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Öffentliche Kanäle, private Interessen

Wie Medienbosse in Indonesien die Berichterstattung prägen

Ich erinnere mich an eine Passage in dem Buch „The Songlines“ von Bruce Chatwin, in der er in der Reise von Nomadenvölkern die Erfüllung eines Grundbedürfnisses sieht: des Strebens nach neuen Erlebnissen und der Ablenkung vom Alltag. Was er vor dreißig Jahren schrieb, half mir, zu einem tieferen Verständnis über das Wesen und die Bedeutung von Nachrichten zu kommen. Aus nichts anderem bestehen die Medien ja. Die Medienindustrie stillt das menschliche Verlangen nach Neuem auf verschiedene Weisen. Die Hollywood-Filme der Nachkriegszeit beispielsweise ließen das Publikum große Abenteuer erleben und boten Ablenkung vom eher tristen Alltag. Für eine gewisse Zeit ist die alltägliche Routine jenseits der Leinwand ausgeblendet und man begibt sich an fremde Orte, ohne sich physisch einen Millimeter bewegt zu haben. Heute sind es die Abokanäle wie Netflix oder das Kabelfernsehen, die uns Abenteuer und neue Informationen auf Abruf liefern.

Nach der Ära von Präsident Suharto 1998 stieg die Zahl der Medien in Indonesien enorm an und erweckte den Anschein eines größeren Pluralismus. Bis 2012 kamen nach einer Studie der indonesischen Kommunikationswissenschaftlerin Merlyna Lim 1.200 neue Printmedien auf den Markt, 900 kommerzielle Radiosender und vier Fernsehkanäle. Nun tat sich die Frage auf, wer hinter diesen neuen Medienplattformen steckt. Es sind gerade einmal zwölf Medienkonglomerate, die im Besitz von genau zwölf Personen sind. Davon ausgenommen sind lediglich die staatlichen Sender Televisi Republik Indonesia (TVRI) und Radio Republik Indonesia.

Als ich 2012 für ein Jahr den Arbeitsalltag der Journalistin Luviana Ariyanti bei dem Nachrichtensender Metro TV in Jakarta begleitete, wurde ich Zeugin, wie die Sendeinhalte von den Standpunkten des Besitzers des Medienunternehmens gefärbt wurden. Obwohl ich selbst schon als Journalistin gearbeitet hatte, wurde mir bei den Dreharbeiten erst richtig klar, mit welcher fast göttlichen Hand Medienbosse sich in die Berichterstattung einbringen. Nachrichteninhalte werden nach bestimmten Intentionen ausgewählt und der Informationsfluss wird in eine Richtung gelenkt, die sehr wenig mit dem öffentlichen Interesse gemein hat. So missbrauchen die Konzernchefs Kanäle, die auch als Privatsender im Dienste des Volkes stehen sollten, wie das Presserecht es vorsieht. Sich ihnen als Journalistin zu widersetzen, ist beinahe unmöglich. Man riskiert, versetzt und kaltgestellt zu werden. Viele Fälle in Indonesien enden vor dem Arbeitsgericht mit dem Ergebnis, dass einen auch die anderen Firmen nicht mehr einstellen, weil man als rebellisch verschrien ist.

Hary Tanoesoedibjo, der die Partei Perindo gegründet hat, gehört beispielsweise die Media Nusantara Citra (MNC) Gruppe, zu der drei Fernsehsender, ein Kabelfensehen, drei Radiosender, eine Tageszeitung, eine Zeitschrift, ein Online-Medienportal sowie ein riesiges IT-Unternehmen gehören. Einige weitere Konglomerate sind etwa die Mahaka Media Group von Erick Thohir, die Jawa Pos Group von Dahlan Iskan und Chairul Tanjungs Trans­ Corporation.

Aus finanzieller Sicht ist Nachrichtenfernsehen in Indonesien bei Weitem weniger rentabel als Unterhaltungsfernsehen. Bis 2016 gab es lediglich zwei Nachrichtenkanäle: Metro TV als Teil der Media Group von Surya Paloh, Vorsitzender der Partei Nasional Demokrat, und TV One. Letzteres gehört der Viva Group von Abu Rizal Bakrie an, dem Hauptvorsitzenden der Partei Golongan Karya. Letztes Jahr entstand KompasTV der Mediengroup Kelompok Kompas Gramedia (KKG) als weiterer Nachrichtenkanal, dessen Berichterstattung gleichermaßen stark von politischen Interessen gelenkt wird.

Man kann sich also vorstellen, wie öffentliche Kanäle für persönliche Interessen genutzt werden. Das jeweilige Parteiprogramm und wichtige Besuche von Parteivorsitzenden in bestimmten Regionen erfahren durch Live-Übertragungen und Präsenz in Talkshows hohe mediale Aufmerksamkeit. Das Lied der Partei Perindo beispielsweise wird so häufig im Fernsehen gespielt, dass es sich auch bei einem Dorfkind in der hintersten Ecke Indonesiens eingeprägt hat. Als 2014 nationale Wahlen stattfanden, hatten die Themenschwerpunkte der Fernsehkanäle und Tageszeitungen, die einen bestimmten Präsidenten favorisierten, sicherlich Einfluss auf die Wählerschaft.

Genauso wie in vielen anderen Teilen der Welt wird der aktuelle Diskurs über Medien in Indonesien vor allem von der Problematik Geschwindigkeit versus Genauigkeit bei der Berichterstattung dominiert. Besonders Online-Nachrichtenplattformen geraten dabei in den Fokus, da sie durch gehäufte Falschmeldungen eine gewisse Skepsis bei den Nutzern hervorrufen.

Besonders während der Wahlen wie etwa der  Gouverneurswahl in Jakarta im Februar 2017 oder anderer politisch bedeutenden Momenten sprießen solche Online-Nachrichtenportale wie Pilze aus dem Boden und entwickeln sich zu einer Herausforderung für den kritischen Konsumenten. Vor allem wenn es darum geht, der Erste zu sein, geht schnell Präzision und Gewissenhaftigkeit verloren. Die Information wird schon publiziert, wenn sie sich eigentlich gerade erst im Reifungsprozess befindet. Leider sind es genau solche Darstellungen, die dann in sozialen Medien viral verbreitet und reproduziert  werden.

In Indonesien unterscheiden wir zwischen drei verschiedenen Arten von Medien: professionelle, parteinahe und eben die sogenannten falschen Medien, die gezielt dazu genutzt werden, Hass zu schüren und bestimmte Informationen zu verbreiten. Der Presserat (Dewan Pers), eine unabhängige Institution, verkündete im Januar 2017, dass den Nutzern mithilfe eines Barcodes die Einordnung verschiedener Medien erleichtert werden soll. Presseunternehmen, die bestimmte Richtlinien erfüllen, sich etwa dem ethischen Kodex für Journalisten verpflichtet haben und sich durch eine gewisse Professionalität auszeichnen, sind beim Presserat aufgelistet.

Alle bei ihm eingetragenen Medieneinrichtungen sollen nun diesen Barcode erhalten und somit für den Nutzer sofort erkennbar machen, dass es sich um ein seriöses Presseunternehmen handelt. Der Barcode soll mit dem Handy gescannt werden können und ist mit den Daten des Presserates verlinkt. Darin sind die Identität, die Adresse des Medienunternehmens und die redaktionelle Verantwortung ersichtlich. Während kritische Stimmen laut werden und dieses Vorgehen als moderne Art der Internetzensur brandmarken, besteht der Presserat energisch darauf, dass so die Medien leichter eingeordnet werden können. Ist ein Internetnachrichtendienst etwa mit dem Barcode versehen, kann er außerdem nicht so einfach vom Ministerium für Kommunikation und Informatik geblockt werden, da dieses hierfür vorher die Erlaubnis des Presserates einholen muss.

Um es in der Rhetorik Bruce Chatwins auszudrücken: Ernstzunehmende Medien sind jene, die den Weg des Fortschritts gehen. Auch sie streben nach neuen Erkenntnissen, Erlebnissen und Gefühlen. Dabei möchten sie aber nicht im Irrgarten der Inhalte verloren gehen und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. In einer Zeit, in der wir mit unseriösen Nachrichten überhäuft werden, kann sich schnell Verwirrung und Hilflosigkeit breitmachen und der Medienkonsum schließlich zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit werden.

Aus dem Indonesischen von Mirjam Karrer