Lernt, nicht zu ermüden
Ein paar Ratschläge für junge Journalisten
Manchmal rufen mich andere Journalisten an, um mit mir zu plaudern. Manchmal fragen sie mich auch, ob ich nicht einen Rat für Kollegen hätte, die gerade erst angefangen haben. Dann bin ich jedes Mal versucht, die amerikanische Schriftstellerin Lorrie Moore zu zitieren, die ersten Sätze einer Kurzgeschichte mit dem Titel „Wie werde ich Schriftsteller“: „Zunächst versuchst du etwas zu werden, irgendetwas, was anderes. Ein Filmstar/Astronaut. Ein Filmstar/Missionar. Ein Filmstar/Vorschullehrer. Präsident der Welt. Du scheiterst kläglich. Es ist am besten, wenn du in jungen Jahren scheiterst – sagen wir, mit vierzehn.“ Aber ich tue es nicht, weil ich das eigentlich nicht glaube und weil Ratschläge zu erteilen etwas für Besserwisser ist. Deshalb antworte ich, wann immer man mich fragt, nein, keinen Rat, nichts.
Aber heute hatte ich einen guten Tag. Ich habe eine Frau interviewt, die ich in zwei Wochen wiedersehen werde, und mehrere erfolgreiche Telefonate geführt. Ich habe Obst gekauft und ein ausgezeichnetes Currypulver erstanden. In der Küche schmücken wohlriechende weiße Tuberosen meine Vasen. Nachmittags war ich joggen. Ich fühle mich leicht, ein bisschen wild, mutwillig. Und darum würde ich antworten, wenn mich heute jemand fragte: Lauft. Ich würde ihnen sagen: Spürt beim Laufen eure Knochen, wie ihr später fremde Katastrophen spüren werdet: Steckt den Schmerz klaglos weg. Haltet durch, würde ich sagen. Durchlauft die Geschichten, ohne sie zu verletzen (ohne euch zu verletzen). Seid sanft wie eine Vogelschwinge und genauso gefährlich. Und habt Respekt: Denkt immer daran, dass ihr mit menschlichen Leben arbeitet. Respektiert sie.
Hört Pearl Jam, Bach, Calexico. Schmettert aus voller Kehle Lieder, die ihr in der Öffentlichkeit niemals singen würdet: Shakira, Julieta Venegas, Raphael. Besucht Kirchen, wenn andere darin heiraten, betet inbrünstig Ave Marias, die euch nicht interessieren: Taucht ein in den Schwall fremder Emotionen.
Seid unsichtbar: Lauscht dem, was die Leute zu sagen haben, und unterbrecht sie nicht. Sitzt da mit einer Tasse Tee oder einem Glas Wasser und spürt das würgende Unbehagen des Schweigens. Und respektiert es.
Seid neugierig: Seht hin, wo sonst niemand hinsieht, wühlt in dem, für das niemand einen Blick hat. Lasst nicht zu, dass das Elend der Welt eure Herzen mit Biederkeit und Mitleid erfüllt.
Lernt, wie man den eigenen Dreck wegwischt, eine Grube aushebt, mit den Händen arbeitet, etwas baut. Seid schlicht, ohne naiv zu tun. Bewahrt euch einen Ort, den ihr „Zuhause“ nennen könnt.
Habt Geduld, denn es ist alles da: Ihr müsst euch nur die Zeit zum Verbündeten machen.
Lernt, nicht zu ermüden, nicht den Glauben zu verlieren, die Qual der langen Tage zu ertragen, an denen nichts geschieht.
Tötet ein Lebewesen: Übernehmt Verantwortung für den Tod. Reist. Seht Werner-Herzog-Filme. Wünscht, ihr wäret Werner Herzog. Wisst, dass ihr es niemals sein werdet.
Verliert etwas, das euch wichtig ist. Übt euch in der Kunst des Verlusts. Wisst, wer Elizabeth Bishop ist.
Irrt euch. Seid hartnäckig. Haltet euch für genial. Und dann lernt.
Werdet krank. Und wieder gesund. Überlebt.
Bleibt bei Trauerfeiern bis zum Ende. Macht ein Foto von dem Toten. Erinnert euch, bewahrt Dinge auf. Widersteht der Versuchung zu vergessen.
Wenn ihr fragt, interviewt, schreibt: Seid mit ganzem Herzen bei der Sache. Und dann verschwindet.
Nehmt Aufträge an, von denen ihr sicher seid, dass ihr sie nicht schaffen werdet, und erledigt sie gut. Schreibt über das, was euch interessiert, schreibt über das, was ihr nicht wisst, schreibt über das, worüber ihr niemals schreiben würdet. Und jammert nicht.
Betrachtet die Musik der Sterne und der Leuchtreklamen.
Lernt den Vers der Uruguayerin Marosa di Giorgio kennen: „Die Jasminblüten waren groß und leuchtend, wie aus Eiern und Tränen gemacht.“
Lebt in einer riesigen Stadt.
Tut euch nicht weh.
Habt etwas zu sagen.
Habt etwas zu sagen.
Habt etwas zu sagen.
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt