Kindersprechstunde in der Botschaft
Wie ich in Sambia die Heilkraft der Natur schätzen lernte, mit Schewardnadse in Georgien feierte und meine Praxis in Berlin fand
In Sambia habe ich die ersten neun Jahre meines Lebens verbracht. Deutschland kannte ich nur aus Märchen, als Land der dunklen Wälder, in denen man Angst hat. In Lusaka, wo wir wohnten, gab es kaum Deutsche, die meisten Ausländer waren Briten. Mein Bruder und ich spielten viel im Garten mit den Kindern unserer Angestellten. Die Naturerfahrungen in Afrika, neben der sozial-fürsorgenden Einstellung meiner Eltern, haben mich zum Beruf der Ärztin geführt. Als ich einmal die Geschichte eines Pferdes las, das gesund wurde, weil es eine Heilpflanze aß, dachte ich, das ist ja toll, und beschloss, Tierärztin zu werden.
Mich interessierte, wie Leben und Heilung zusammenhängen. Als ich zehn war, wollte meine Mutter zurück nach Deutschland. Wir zogen nach Siegen, das lag günstig für den Beruf meines Vaters. Er war ursprünglich Landwirt, aber nach dem Krieg waren die Güter der Familie enteignet worden, und er musste zum Außenhandelskaufmann umschulen. In Siegen trugen Mädchen lange Haare und Röcke, Mütter blieben zu Hause. Wir waren wie ein Gegenentwurf: Meine Mutter arbeitete als Medizinisch-technische Assistentin und führte eine Wochenendehe. Nach dem Abitur verwarf ich den Wunsch, Tierärztin zu werden, da man dafür ein Praktikum in einer Schlachterei machen musste – das wollte ich nicht. Für ein Studium der Humanmedizin nahm ich am Losverfahren teil und hatte Glück. Während meines Studiums in Berlin machte ich auch eine Kräuterlehre, ich war offen für alle Blickwinkel, die homöopathische wie die klassische Medizin.
Gegen Ende des Studiums lernte ich meinen Mann, einen Diplomaten, kennen und folgte ihm nach Moskau. Ich verließ mein Studentenleben, saß neben Vertretern des russischen Außenministeriums, und ich verstand, wieviel es an einem selbst liegt, ob ein Gespräch gelingt oder nicht. Man prägt es durch die eigene Persönlichkeit. In Moskau lernte ich russisch und bekam meine erste Tochter. Für die Verleihung der Doktorwürde musste ich mit ihr nach Berlin und wurde, mangels Babysitter, mit ihr auf dem Arm promoviert – was für ein Raunen im Publikum sorgte. Von den Frauen meiner Familie habe ich gelernt, dass man immer auf eigenen Beinen stehen muss. Von Moskau zogen wir ins vom Bürgerkrieg geschüttelte, aber wunderschöne Georgien. Hier arbeitete ich für die Caritas.
Die medizinische Versorgung 1995 war völlig unzureichend, die Armut der Menschen entsetzlich. Ich führte ein Leben im sozialen Spagat, war auf Empfängen, die Präsident Schewardnadse gab, und behandelte die Großmutter, die ihre Möhrensuppe verlängern musste. In Berlin machte ich sechs Jahre später an der Charité meinen Facharzt in Kinderheilkunde. In Südkorea und Indonesien, den nächsten Stationen meines Mannes, habe ich in den Botschaften Kindersprechstunden angeboten und in sozialen Projekten mitgearbeitet. Oft habe ich mich gefragt, wie Hilfe am besten umzusetzen ist. In Südkorea erlebte ich eine sehr leistungsstarke Gesellschaft. Im islamisch geprägten Indonesien war ich beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander, dort habe ich mich verschiedenen Ärzteinitiativen angeschlossen. Zurück in Berlin suchte ich eine Praxis und fand sie im Stadtteil Wedding. Viele sagten: Da wohnen fast nur Ausländer, und nachts ist es dunkel. Aber die Arbeit mit all den unterschiedlichen Nationalitäten habe ich von Anfang an geliebt. Durch meine Erfahrungen im Ausland verstehe ich meine Patienten und die unterschiedlichen Tonlagen besser. Hier kann ich auch mein Wissen über naturheilkundliche Verfahren einsetzen. Ich bin froh, in Berlin zu sein. Hier spüre ich wieder die reiche Vielfalt Europas, ein Juwel, den wir uns erhalten müssen.
Protokolliert von Stephanie von Hayek