Im Takt der Klicks
Wie sich Medien im Kampf um Aufmerksamkeit kaputtmachen
Bisher war die geringe Wertschätzung von Medien, Journalisten und Nachrichten stets ein Problem diktatorisch geführter Staaten und im Zerfall begriffener Demokratien. Doch nun vernimmt man selbst in Ländern, die eine lange Tradition der freien Presse und der freien Meinungsäußerung nachweisen können, alarmierende Misstöne. Von Trumps Amerika bis zu Mays Großbritannien: Das Verhältnis zwischen Medienmachern und Medienkonsumenten scheint mittlerweile auch im angloamerikanischen Raum – und, wenn man den großen Leitartikeln der letzten Wochen und Monate glauben schenkt, sogar über ihn hinaus – dahinzubröckeln.
Doch das ist aus wissenschaftlicher Sicht gesehen nur die halbe Wahrheit, denn derart fatalistische und gleichsam generalisierende Bestandsaufnahmen ignorieren größere Zusammenhänge. Fakt ist, dass die Welt nicht als Ganze unter dem Joch der „Lügenpresse“-Vorwürfe ächzt, sondern vor allem bestimmte Länder betroffen sind. Während es stimmt, dass in den USA und Großbritannien immer mehr Menschen an der Berichterstattung traditioneller Medien zweifeln, genießen Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender anderswo weiterhin großes Vertrauen – in den nordischen Ländern und in Japan etwa.
Das liegt vor allem daran, dass die Regierungen letzterer Staaten viel darauf gesetzt haben, der Kommerzialisierung der Medienwelt mittels klarer journalistischer Statuten und politischer Maßnahmen entgegenzuwirken. In den Vereinigten Staaten und Großbritannien wiederum, wo das Vertrauen in die Medien im europäischen Vergleich laut aktueller Umfragen einen Tiefstand erreicht hat, ist in den vergangenen Jahrzehnten das Gegenteil passiert: Aufgrund fehlender staatlicher Aufsicht, eines Mangels an starken öffentlich-rechtlichen Medien und einer Vorliebe für die komplette Deregulierung veränderten sich die Medien und ihre Arbeitsweise zusehends. Und in diesem Trend liegt das eigentliche Problem.
In der kommerzialisierten Medienwelt und insbesondere, aber nicht ausschließlich in den Online-Medien geht es mittlerweile primär um Verkaufszahlen und Werbeeinahmen. Es ist nicht mehr die Qualität der Artikel, die zählt, sondern ihre „Klickbarkeit“. In völlig deregulierten Medienmärkten, in denen große Konzerne um die Aufmerksamkeit von Lesern und Zuhörern kämpfen, bedeutet das vor allem eines: Medienkonsumenten werden mit einer regelrechten Flut von Kurzartikeln, Bilder-Slideshows und Infografiken bombardiert. Ginge man nach der Quantität der Meldungen und Nachrichten, die sekündlich veröffentlicht werden, dann könnte man tatsächlich meinen, wir lebten im Goldenen Zeitalter des Journalismus.
Doch das Gegenteil ist der Fall. In Online-Redaktionen mögen in der Ära des Nachrichtenüberflusses zwar die Kassen klingeln, für Leser und Zuschauer verheißt der moderne Imperativ „höher, schneller, weiter, mehr!“ hingegen nichts Gutes. Studien belegen nämlich bereits heute, dass der Überschuss an Nachrichten keinen Überschuss an Informationen nach sich zieht. Die kritische und fundiert recherchierte Berichterstattung befindet sich auf dem Rückzug, während die große Bühne von Kurzvideos und Eilmeldungen besetzt wird. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine neue „breaking news“ auf der Startseite der großen Online-Nachrichtenseiten prangt. Dabei sind die Medienkonsumenten mit der Frequenz der Nachrichten, die im Sekundentakt auf sie einprasseln, längst überfordert.
Das „Sich-Informieren“, das seit jeher auch immer eine bewusste Handlung gewesen ist, verkommt infolgedessen Schritt für Schritt zu einer passiven Angelegenheit. Wir haben aufgehört, aktiv Nachrichten zu lesen, und angefangen, über sie zu stolpern. In einer Welt, in der Medienmacher mit allen Mitteln um die Gunst der Konsumenten buhlen, wird diesen unvermeidbar das Gefühl vermittelt, im Zentrum des Nachrichtenuniversums zu stehen. Leser, Hörer und Zuschauer können davon ausgehen, dass Neuigkeiten über kurz oder lang bei ihnen ankommen werden – sei es über die Facebook-Pinnwand, das Smartphone oder einen anderen Kanal. Informationen werden geliefert, sie müssen nicht mehr besorgt werden. Ein gefährlicher Trend, wo man doch weiß, dass die Überbringer dieser Informationen mittlerweile immer öfter Freunde und Bekannte sind, statt qualifizierte Journalisten. Fake News und „alternative Fakten“ entfalten gerade deshalb eine so starke Wirkung, weil sie oftmals Menschen erreichen, die nicht mehr über die Motivation verfügen, sich aktiv nach gegenläufigen Informationen zu erkundigen.
Gibt es also keine Rettung mehr für die Medien, wie wir sie kennen? Untergräbt die voranschreitende Kommerzialisierung des Mediensektors am Ende den letzten Rest Glaubwürdigkeit, den sich die etablierten Redaktionen noch erhalten haben? Nicht, wenn man etwas dagegen unternimmt.
Gerade in Zeiten, in denen die Presse droht, zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen zerrieben zu werden, gilt es umso stärker für sie einzutreten. Klar ist, dass es verheerend wäre, würde der Rest der Welt in die Fußstapfen der Vereinigten Staaten treten, wo Medienkonzerne seit dem Ende der 1980er-Jahre auf dem Nachrichtenmarkt schalten und walten dürfen, wie sie wollen. Um das zu vermeiden, würde es sich etwa anbieten, den öffentlich-rechtlichen Medien den Rücken zu stärken. Für sie gilt es zu kämpfen – und zu zahlen –, denn sie sind es, die in dem endlosen Rauschen der modernen Medienwelt einen Ruhepol bieten können. Sie sind es, die es sich leisten können, im Kampf um die Aufmerksamkeit nicht am lautesten zu schreien, sondern am bedächtigsten zu berichten.
Aus dem Englischen von Kai Schnier