Habe ich dafür gekämpft?
Wie wir im kommunistischen Jugoslawien die Pressefreiheit verteidigt haben
Am Sonntag, dem 5. Juni 1988, saß ich im Studio des Senders Radio Student in Ljubljana und rief meine Mitarbeiter über das Radio dazu auf, sich möglichst schnell in der Redaktion einzufinden. Einige Minuten zuvor hatte ich erfahren, dass mein Freund David Tasić, Journalist bei der Wochenzeitung Mladina, vom Staatssicherheitsdienst festgenommen worden war. Schon am 31. Mai war Janez Janša verhaftet worden, Kommentator bei Mladina. Sobald sich die Kollegen versammelt hatten, trat ich als verantwortlicher Redakteur des Senders, dem vom Regime „anarchisch-liberalistische“ Einstellungen vorgeworfen worden waren, mit einer „autoritären“ Anweisung auf. Ich forderte alle auf, ihre Tische aufzuräumen. Sollten sie in den Schubladen vertrauliche Dokumente aufbewahren, müssten diese an einen sichereren Ort gebracht werden. Tasić und Janša waren nämlich wegen Verrats von Militärgeheimnissen verhaftet worden. Ein Briefumschlag mit einem vertraulichen Dokument gelangte in jenen Tagen auch zu mir. In der Akte, die ich mit meinen Mitarbeitern heimlich gelesen hatte, ging es um die Möglichkeit eines Militärputsches in Jugoslawien.
Während wir die Schubladen aufräumten, beschlossen wir noch eine weitere Maßnahme. Jede Nacht sollten zwei Mitarbeiter des Radios Nachtdienst halten. In jenen Monaten kopierten wir geheime Akten und befürchteten auch, der Geheimdienst würde bei uns einbrechen und uns vertrauliche Dokumente absichtlich unterschieben. Durch solche gefälschten Beweise hätte man Anlass zur Verstärkung repressiver Maßnahmen gehabt. Aus Angst, die Machthaber könnten versuchen, Radio Student krimineller Machenschaften zu bezichtigen, hatte ich einige Wochen zuvor bereits eine klare Ansage gemacht, indem ich meine Mitarbeiter darum bat, in den Räumen des Senders kein Marihuana mehr zu rauchen. Die Warnung vor einer Hausdurchsuchung war zu uns gedrungen.
Die Wirkung meiner in einer leicht paranoiden Atmosphäre ausgesprochenen Anordnung war phantastisch. Im Laufe eines Tages sank der Konsum von Cannabis auf null – und das Programm des Senders verbesserte sich. Wir taten alles, um dem Vorwurf einer Kriminalisierung des Senders zu entgehen. Es wäre zu dumm gewesen, wäre der Sender vom Regime unter dem Vorwand der Verfolgung von Drogenmissbrauch abgeschaltet worden. In einer Zeit, in der die reale Möglichkeit eines Militärputsches bestand, war die Existenz von Radio Student, einem Medium, das Punk und Jazz spielte, live politische Ereignisse kommentierte und mit der dramaturgischen Bearbeitung von theoretischen Texten des in der Welt noch unbekannten Slavoj Žižek experimentierte, von strategischer Bedeutung.
Warum Radio? In der zweiten Hälfte der 1980erJahre gab es in Slowenien schon eine starke unabhängige Zivilgesellschaft. Diese forderte von den Machthabern, die Gesetzgebung, welche die Rede- und Versammlungsfreiheit einschränkte, zu ändern. Es gab unabhängige Zeitungen, wie eben die Wochenzeitung Mladina, die Studentenpresse und Zeitschriften, die einmal monatlich erschienen. Radio Student war jedoch das einzige Medium, das auf die Ereignisse in Echtzeit reagieren konnte.
Zugleich hatte der Rundfunk in der Zeit des demokratischen Umbruchs einen weiteren Vorteil: Die Staatsanwaltschaft intervenierte in den 1980er-Jahren häufig und verhinderte die Verbreitung von Zeitungen, indem sie sie beschlagnahmte. Rundfunkwellen jedoch ließen sich nicht aufhalten. 1980, als der jugoslawische Präsident Tito starb, hatte das Regime zwar für einige Tage unseren Sender einfach abgeschaltet. 1988 jedoch war das nicht mehr möglich. Unabhängige Initiativen waren zu der Zeit bereits in einem Ausschuss für den Schutz der Menschenrechte organisiert. Als 23-jähriger Rundfunkredakteur war ich Mitglied dieses Ausschusses.
Mit den ersten freien Wahlen im Jahr 1990 schien die Schlacht um die Pressefreiheit gewonnen. Heute muss ich mich von Journalistenkollegen verabschieden, die aus wirtschaftlichen Gründen entlassen werden. Damals dachte ich, wenn wir Pressefreiheit haben, sind alle Probleme gelöst. Aber jetzt sind es ökonomische Bedingungen, die unsere Pressefreiheit bedrohen. Habe ich dafür gekämpft?
Aus dem Slowenischen von Boris Dvorak