Gezähmte Meute
Lange ließen sich kenianische Medien vor den Karren der Politik spannen. Nun müssen sie ihre Unabhängigkeit zurückerobern
Im Januar 2008 arbeitete ich als Volontär bei Bahasha FM, einem aufstrebenden Radiosender in Nairobi. Die Redaktion sendete täglich Nachrichten in bis zu 43 lokalen Dialekten, über Politik, Musik und alles, was das Publikum aus der Hauptstadt sonst noch interessierte. Ich durfte damals zum ersten Mal selbst Nachrichten einsprechen, bei Bahasha machte ich meine ersten vorsichtigen Schritte als Journalist. Dann brach die Gewalt aus.
Raila Odinga, Sohn des ersten Vizepräsidenten von Kenia, des kultisch verehrten Jaramogi Oginga Odinga, war Ende 2007 als Präsidentschaftskandidat gegen Amtsinhaber Mwai Kibaki angetreten. Letzterer hatte sich nach einer umstrittenen Wahl durchgesetzt und wurde im Amt bestätigt. Doch Odinga zweifelte das Ergebnis an, beanspruchte den Sieg für sich und rief seine Anhänger zu Massenprotesten auf. Das führte zu einem offenen politischen und ethnischen Konflikt. Angehörige der Luo-Ethnie, der auch Odinga angehört, attackierten zuerst die direkten politischen Unterstützer Kibakis und später die Ethnie der Kikuyu im Allgemeinen. Mindestens 1.600 Menschen kamen dabei ums Leben, Tausende weitere mussten fliehen.
Bei Bahasha FM versuchten wir, möglichst objektiv über das zu berichten, was im Land vor sich ging. Manch anderem kenianischen Journalisten fiel das offensichtlich schwerer, denn die ethnischen und politischen Trennlinien, die es in der Gesellschaft gab, durchzogen auch die Medienlandschaft. Reporter wie Joshua Sang, ein damals sehr beliebter und einflussreicher Radiomoderator, heizten den Konflikt im Land weiter an. In seiner Morgenshow auf Kass FM forderte Sang öffentlich die Vertreibung der Kikuyu-Ethnie aus Kenia. Mit Falschmeldungen über angebliche von Kikuyus verübte Massaker wiegelte er die Menschen weiter gegeneinander auf.
Natürlich beteiligten sich nicht alle Redaktionen an dieser Art der Volksaufhetzung. Ein unabhängiges Untersuchungsgremium stellte später fest, dass die meisten großen Medienhäuser nicht direkt für die Gewaltausbrüche im Land mitverantwortlich gemacht werden konnten. Trotzdem kam ein abschließender Bericht zu dem Ergebnis, dass „die führenden Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen“ durchaus „tendenziös über die Kandidaten und deren Wahlprogramme berichtet“ hätten. Der Ruf der Medien nahm daran großen Schaden. Lange bevor „Lügenpresse“-Vorwürfe überhaupt ein Thema wurden, herrschte in Kenia bereits ein öffentliches Klima, in dem die Medien nicht mehr als legitimes Gegengewicht zum politischen Establishment wahrgenommen wurden, sondern vielmehr als Erfüllungsgehilfen der verschiedenen politischen Fraktionen im Land.
Die Vorwürfe der Parteilichkeit und der Unausgewogenheit konnten die Medien auch 2013, im Zuge der nächsten Wahlen, nicht abschließend aus der Welt schaffen. Im Gegenteil: So fahrlässig sie sich 2008 verhalten hatten, so übermäßig zahm – beinahe selbstzensorisch – kamen sie 2013 daher. „Wir bereiten uns auf eine friedliche Wahl vor, nicht auf eine glaubwürdige“, konnte ein Polizeichef live im Fernsehen sagen, ohne dass der Interviewer, ein erfahrener Redakteur, diesen Widerspruch weiterverfolgte. Das größte Eigentor schossen sich die kenianischen Medien allerdings nach den Wahlen, die der Kandidat Uhuru Kenyatta für sich entschieden hatte. Kenyatta lud hochrangige Medienvertreter zu einem Frühstück im Parlamentsgebäude ein – und die nahmen die Einladung begeistert an. Kritiker werteten das Treffen als unangemessen, die betroffenen Medienhäuser mussten sich dem Vorwurf aussetzen, kompromittiert worden zu sein. „Ihr habt im Parlament Tee getrunken und vergessen, dass ihr Wachhunde seid. Jetzt seid ihr Schoßhündchen“, so der Vorwurf, der sich bis heute hartnäckig in der Gesellschaft hält.
Auch ich muss mich heutzutage nahezu täglich mit dieser Kritik auseinandersetzen, denn seit meiner Zeit als Volontär hat sich einiges getan: Mittlerweile bin ich eines der bekanntesten Gesichter im kenianischen Fernsehen, auf Facebook folgen mir mehr als 900.000 Menschen und meine Talkshow „#theTrend“ erreicht Millionen von Zuschauern. Ich bin jetzt Teil der großen Medien, die viele Kenianerinnen und Kenianer für unglaubwürdig halten. Und das lassen mich die Menschen auch spüren. „Wenn Sie die Neun-Uhr-Nachrichten vorlesen, kann man Ihre Voreingenommenheit schon an Ihrem Gesichtsausdruck erkennen“, schrieb mir ein Zuschauer vor einigen Wochen in einem Leserbrief.
Gemessen an den Nachrichten, die ich über soziale Medien erhalte, ist das noch harmlos. Dort wird der Ton oft beleidigend, teils werde ich geradezu angefeindet – hin und wieder sogar so heftig, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als vor Gericht zu ziehen, um mich gegen Vorwürfe der Parteilichkeit zu wehren. „Kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten. Wir kennen Deine politische Einstellung!“, schrieb ein Nutzer kürzlich auf meine Pinnwand. „Wir wissen, dass Du gegen alles bist, was der Präsident tut, und dass Du den Präsidenten sogar für deine stinkenden Schuhe verantwortlich machen würdest“, postete ein vermeintlicher Anhänger Kenyattas.
Ich habe mich an diese Vorwürfe gewöhnt. Über die Jahre hinweg habe ich gelernt, dass die Zweifel an meinen Absichten als Journalist wohl nie versiegen werden. Die Kritik an meiner Arbeit gehört zum Berufsrisiko dazu. Dabei ist es vollkommen egal, ob ich den Präsidenten kritisiere oder seine Gegenkandidaten, und es ist auch nicht relevant, wie objektiv ich diese Kritik äußere. Ein Teil der Zuschauer wird mir schon aus Prinzip vorhalten, dass ich Lobbyarbeit für die politische Gegenseite betreibe. Doch das darf mich nicht entmutigen, denn wer erinnert die Politik am Ende des Tages an ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern, wenn nicht die kritischen Journalisten? Und wer berichtet den Bürgern über die Verfehlungen der Politik, wenn nicht eine unabhängige Presse?
Sowohl die regierende Jubilee-Partei, der Präsident Uhuru Kenyatta angehört, als auch die Oppositionspartei CORD beschäftigen mittlerweile ganze Legionen fanatischer Unterstützer, die versuchen, über die sozialen Medien, Einfluss auf die politische Berichterstattung zu nehmen. In den Online-Kommentarspalten werden negative Presseberichte als „fake news“ kritisiert, Journalisten erhalten Anrufe, in denen sie darum gebeten werden, „vorteilhaftere“ Nachrichten zu verfassen. Und wenn das nicht hilft, dann soll es auch schon Fälle gegeben haben, in denen Reporter mit Luxusautos und sogar Häusern bestochen wurden. Kein Wunder in einem Land, dessen Präsident seine Verachtung für die Medien schon längst öffentlich kundgetan hat. Zeitungen seien nur dazu gut, Fleisch in ihnen einzuwickeln, sagte Uhuru Kenyatta einmal auf die Frage, was er von der Presse halte.
Gerade deshalb ist es heute umso wichtiger, gute journalistische Arbeit zu leisten. Zum einen gilt es, die anhaltende Medienskepsis im Land zu bekämpfen, und zum anderen, die Presse endgültig als Gegengewicht zur politischen Elite des Landes zu etablieren. 2017 scheint dafür ein besonders geeigneter und symbolträchtiger Zeitpunkt zu sein, denn neun Jahre nach den Unruhen von 2008 tritt Raila Odinga im August wieder als Präsidentschaftskandidat an. Wo die kenianischen Medien damals versagten, gilt es nun, ihren guten Ruf wiederherzustellen. „In unserer Berichterstattung über die Wahlen müssen wir professionell und genau vorgehen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen“, fordert Dr. Haron Mwangi, der Vorsitzende des kenianischen Medienausschusses.
Der Ausschuss kündigte erst kürzlich an, dass man sich mit der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral and Boundaries Commission, IEBC) und anderen Entwicklungspartnern zusammentun wolle, um „Journalisten auf Themen mit Wahlbezug vorzubereiten und ihnen die Gesetze, denen Wahlen und politische Parteien unterliegen, näherzubringen“. Die drei größten kenianischen Fernsehsender, NTV, Citizen und KTB haben zudem eine Qualitätsoffensive gestartet: Millionen von Schilling sollen in den nächsten Monaten in den Ausbau ihrer technischen und journalistischen Kapazitäten fließen.
Ohnehin hat sich in Kenia in den vergangenen Jahren – bei aller berechtigten Kritik – bereits viel getan. Schon heute besitzt das Land eine der lebendigsten Medienlandschaften Afrikas; nach Angaben des Ministeriums für Kommunikation gibt es in Kenia mittlerweile 139 UKW-Radiostationen und 63 frei verfügbare lokale Fernsehsender. Allein in Nairobi erscheinen sieben verschiedene Tageszeitungen. Durch die gestiegene Konkurrenz ist die Qualität der Berichterstattung gestiegen. Und auch in Sachen journalistische Ethik gab es dank vieler Wechsel in den Führungsetagen der großen Medienhäuser deutliche Fortschritte – Fortschritte, die es nun unter Beweis zu stellen gilt.
Aus dem Englischen von Caroline Härdter