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„Falsche Nachrichten appellieren oft an niedere Instinkte“

David Schraven will mit seinem Recherchezentrum „correctiv“ künftig Fake News auf Facebook identifizieren

Herr Schraven, sind Sie heute schon einer Nachricht begegnet, die falsch war?

Eine Nachricht, deren Wahrheitsgehalt ich gerne prüfen würde, ist die, dass Asylbewerber den Führerschein umsonst bekommen sollen. Ich denke, das stimmt nicht.

Worin besteht die Gefahr solcher Nachrichten?

Nachrichten, die falsche Informationen beinhalten, appellieren oft an niedere Instinkte, bedienen Hass und Neid. Und das zersetzt eine Gesellschaft, bringt Menschen gegeneinander auf.

Sind Menschen heute nicht mehr kompetent genug, Falschmeldungen zu erkennen?

Ich glaube, es hat weniger damit zu tun, ob Menschen medienkompetent sind, sondern eher damit, dass sich die Wege, auf denen uns solche Meldungen erreichen, verändert haben. Du bekommst Nachrichten dadurch, dass ein Freund sie mit dir teilt. Und einem Freund glaubst du erst einmal. Und der Freund hat einen Freund, und der hat den nächsten Freund. So entstehen Vertrauensketten, in denen sich Leute untereinander im Glauben bestärken, dass etwas wahr ist. Und durch diese Wahrnehmung seitens so vieler Menschen kann so etwas dann zu einer Mehrheitsvermutung werden.

Kann es sein, dass Fake News gern geteilt werden, weil sie oft unterhaltsam sind?

Das Problem ist, dass man durch Fake News in seiner Wahrnehmung bestätigt wird, dass man Dinge, die man vorher nur vermutet hat, nun als Fakt präsentiert bekommt. Und wenn dabei noch an niedere Instinkte appelliert wird, werden sie zum Riesenproblem.

Appellieren denn nicht auch andere Nachrichten oft an die Gefühle ihrer Leser?

Ich finde es wichtig, dass wir auch Gefühle einbeziehen. Wir sind Menschen mit Gefühlen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir Journalisten uns unserer Rolle bewusst sind. Es ist wichtig, Quellen transparent zu machen, zu zeigen, wo wir unsere Informationen her haben – kein Geraune. Diese Herausforderung an den Journalismus ist groß, aber notwendig.

Was ist Ihrer Meinung nach dran an den Behauptungen, Fake News hätten die US-Präsidentschaftswahlen beeinflusst?

Ob Fake News einen konkreten Einfluss auf eine einzelne Wählerstimme hatten, das kann sein oder auch nicht, ich weiß es nicht. Was bei der Debatte aber vergessen wird: Du brauchst für solche Nachrichten immer ein Publikum. Und das sind die Leute, die vom Establishment abgehängt sind oder die nicht mehr glauben, was ihnen erzählt wird, weil es nicht mehr transparent, nicht mehr nachvollziehbar ist. Daran zu arbeiten, ist aber nicht allein Aufgabe der Journalisten, sondern auch die anderer gesellschaftlicher Akteure. Als Journalist kann man sich der Aufklärung verschreiben und falsche Informationen als solche entlarven. Wenn Leute eine Wahlentscheidung treffen, sollen sie diese auf der Basis von verlässlichen Informationen treffen, nicht auf der Basis von Lügen.

Auf Facebook, dem größten sozialen Netzwerk weltweit, werden oft Fake News geteilt. Für eine Testphase wird Ihr Recherchebüro diese nun kennzeichnen. Was genau machen Sie?

Leute können bei einer Facebook-Nachricht, die sie für falsch halten, auf einen Button klicken. Wir checken die Nachricht dann. Wenn sie nicht wahr ist, machen wir eine Recherche und stellen das Ergebnis mit Quellen auf Facebook. Jeder, der die Nachricht sieht, bekommt eingeblendet: „Diese Nachricht ist falsch.“

Facebook setzt darauf, dass die User aktiv werden. Müsste die Plattform nicht selbst publizistisch Verantwortung übernehmen?

Wenn Facebook sagen würde, wir sind eine Publikation, bräuchte Facebook einen Chefredakteur und dieser wäre für die ganzen Inhalte verantwortlich. Das führte dazu, dass jeder Inhalt vor der Veröffentlichung gecheckt werden würde – will man das? Will man ein Netzwerk haben, in dem eine Redaktion darüber wacht, was man veröffentlichen darf, statt einer Plattform, auf der man kommunizieren kann?

Besteht für Ihr Recherchebüro durch die Zusammenarbeit mit Facebook nicht die Gefahr, die Unabhängigkeit zu verlieren?

Wir nehmen kein Geld von denen, das ist das Erste. Und wenn sie uns übel mitspielen wollen, dann sind wir halt schnell wieder weg. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir unsere Unabhängigkeit verlieren.

Wie bewerten Sie den Aufwand für das Fakten-Checken?

Das ist noch sehr schwer zu sagen. Das, was ich so in der Testphase sehe, sind Recherchen von wenigen Stunden bis zu mehreren Tagen ...

Ist das nicht schon sehr viel Zeit, in der falsche Nachrichten munter geteilt werden können?

Das ist ein Problem – allerdings wird die Warnung quasi in die Vergangenheit gesendet, weil sie mit dem Link der Fake News verknüpft wird. Und der Faktencheck wird oben in der Timeline eingeblendet. Während man etwas kommentiert, sieht man: Aha, es wird angezweifelt. Auch wenn man etwas verschickt, wird man gefragt, willst du das verschicken? Da die meisten Leute keine Lügen verbreiten wollen, schränkt man so die Weitergabe solcher Nachrichten ein.

Nicht immer lassen sich Fakten – gerade in aktuellen Konflikten – eindeutig identifizieren. Was machen Sie dann?

Man muss immer deutlich machen, ob eine Situation noch in der Entwicklung ist und es noch gar keine Fakten gibt – ich sehe da aber kein großes Problem. Man bricht sich auch keinen Zacken aus der Krone, wenn man einen Fehler macht und ihn hinterher eingesteht. Von dem Allwissenden müssen wir uns verabschieden. Es gibt Ereignisse, von denen wir nur eine Momenentaufnahme machen und sagen können: Das haben wir herausgefunden, das sind die Belege dafür, bilde dir eine eigene Meinung.

Wie schätzen Sie Twitter ein?

Twitter ist so problematisch wie Facebook. Ich sehe auch die Notwendigkeit, dort zu arbeiten, und auf Instagram, weil die jungen Leute alle Instagram nutzen.

Wie können Medien das bei manchen Teilen der Bevölkerung verlorene Vertrauen zurückgewinnen?

Einfach weitermachen, nicht irritieren lassen. Gleichzeitig aber so flexibel sein, zu schauen, in welchem Medium Quatsch erzählt wird, und dort dagegen ankämpfen. Andererseits muss man überlegen, wie man eine Gesellschaft langfristig gegen Falschmeldungen immunisieren kann. Das kann man nur, wenn man möglichst vielen Leuten erklärt, wie Nachrichten funktionieren.

Was sollten Journalisten dafür tun?

Unsere Art der Kommunikation hat sich verändert. Es sprechen nicht mehr wenige zu vielen, sondern viele zu vielen. Es gibt also andere Vertriebswege von Nachrichten. Damit können wir nur umgehen, indem wir die Methoden und Techniken derer, die früher als wenige zu vielen kommuniziert hatten, auf jeden übertragen. Wir müssen die journalistischen Werkzeuge demokratisieren. Dadurch bekommen wir eine Masse an Leuten, die sich dann untereinander kontrollieren können, die aufpassen, dass die Meldungen, die verbreitet werden, richtig sind.

Das Interview führte Timo Berger