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Die schlechte Nachricht zuerst

Warum Hassbotschaften und Katastrophenmeldungen das Rennen um unsere Aufmerksamkeit gewinnen

Im Zeitalter der Globalisierung verbreiten sich schlechte Nachrichten sehr viel schneller als gute Nachrichten und sie wirken stärker auf uns. Meldungen über Todesfälle, Gewalt, Katastrophen und Hass haben es leichter, Leser und Zuschauer zu erreichen, als Nachrichten über fortschrittliche Ideen, Bewegungen für Gerechtigkeit, lokale Projekte für Toleranz und Inklusion oder gutes Handeln von Regierungen oder Bürgern. Warum ist das so?

Ein wichtiger Grund liegt im weltweiten Vertrauensverlust gegenüber den Massenmedien und der damit zusammenhängenden Ausbreitung der sozialen Medien. Den offiziellen Massenmedien wird im gleichen Maße misstraut wie Politikern: Sie gelten als korrupt, voreingenommen und von eigenen Interessen gesteuert. Das wirkt sich nicht so sehr auf die Berichterstattung über Negatives aus, wohl aber auf die Zirkulation und Wirkung von guten Nachrichten. Teilweise liegt das daran, dass schlechte Nachrichten, besonders solche über Gewalt, Todesfälle und Katastrophen, für viele Leser und Zuschauer glaubwürdiger erscheinen als positive Meldungen, weil sie uns wie die natürlichen Konsequenzen unseres Leben und unserer Welt vorkommen.

Gute Nachrichten wirken dagegen irgendwie naiv, idealistisch, wie Wunschvorstellungen – und somit nicht hinreichend realistisch.Was die sozialen Medien angeht, so sind sie ein Tummelplatz für Hacker, Internet-Trolle und selbst ernannte Gurus, die keine Skrupel haben, alle Grenzen des Geschmacks, der Vernunft und Ethik zu überschreiten. Folglich zählen schlechte Nachrichten dort auch zu den großen Gewinnern, beispielsweise auf Facebook, Twitter und Instagram. Selbstverständlich sind sie auch für aufklärerische Kräfte, Aktivisten, Künstler, Organisatoren und alle, die sich für Wahrheit, Gerechtigkeit und Hoffnung stark machen, ein wichtiges Instrument. Doch Horrornachrichten verbreiten sich auch in den sozialen Netzwerken schneller und weiträumiger als positive Meldungen.

Gemeinhin wird angenommen, dass negative Meldungen sich deshalb so schnell verbreiten, weil es eine allgemeine Vorliebe für Katastrophenmeldungen, Hassbotschaften und Geschichten über Leid und Traumata gäbe. Doch das ist vielleicht nicht die eigentliche Ursache. Ich denke, dieses Phänomen hat eine noch beunruhigendere Erklärung. Die Bereitschaft, schlechte Nachrichten direkt zu konsumieren und zirkulieren zu lassen, könnte etwas mit unserem neuen postfaktischen Zeitalter zu tun haben, in dem Fake News und „alternative Fakten“ die Runde machen.

Diese Phänomene haben dazu geführt, dass Rezipienten generell Nachrichten mit Skepsis begegnen, doch schlechte Nachrichten scheinen realistischer zu sein und haben es deshalb leichter, für bare Münze genommen zu werden. Gute Nachrichten wirken hingegen wie parteiische Falschmeldungen oder Wunschdenken. Eigenartigerweise vermitteln negative Nachrichten den Eindruck, überzeugend, unmittelbar und plausibel zu sein. Das mag daran liegen, dass diese Meldungen starke Gefühle auslösen – Angst, Wut, Schadenfreude oder Ekel –, sie versetzen uns in tiefste Erregung und berühren unsere Vorurteile.

Folglich erscheint als wahr, was uns emotional packt. Dagegen benötigen wir bei der Konfrontation mit guten Nachrichten, für ihre Weitergabe und die Freude darüber eher die reflexive Seite unserer Persönlichkeit, die Hoffnung, Sympathie und Mitgefühl empfinden kann. Diese Gefühle brauchen Zeit und erfordern Nachdenken und auch Geduld. Wir laufen folglich Gefahr, sie in unseren Köpfen einfach wegzupacken oder an die Ränder unseres Bewusstseins zu verbannen.

Dass unsere Gefühle so unterschiedlich sind und dass wir auf schlechte Nachrichten besser ansprechen als auf gute, ist Teil eines größeren Problems. Dieses könnte auch den weltweit zu beobachtenden Erfolg von autoritären rechtsgerichteten Populisten wie Donald Trump in den Vereinigten Staaten, Marine Le Pen in Frankreich, Narendra Modi in Indien oder Recep Erdo?an in der Türkei erklären. Die Hinwendung zu solchen Politikern hat meiner Ansicht nach mit Demokratiemüdigkeit zu tun, mit Frust, Ungeduld und Wut angesichts der Langsamkeit der freiheitlichen Demokratie mit ihren langwierigen rechtsstaatlichen Verfahren, öffentlichen Debatten und dem nur schleppenden sozialen Wandel. In vielen Ländern kann man die letzten Wahlen als ein lauter werdendes „Nein“ zur freiheitlichen Demokratie verstehen. Auf genau diese Unzufriedenheit setzen autoritäre Populisten.

Das weit verbreitete Gefühl des Überdrusses angesichts der Demokratie an sich wird auf der Basis von drei verschiedenen Faktoren verständlich und nachvollziehbar. Zum einen bieten die sozialen Medien immer größeren Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit der Mobilisierung, Identitätsfindung und Verbrüderung via Internet. Dadurch entsteht eine gefährliche Illusion: Jeder kann, egal wer man ist und was man will, überall Gleichgesinnte, Verbündete, Freunde, Kooperationspartner, Bekehrte oder Kollegen finden. Zweitens muss man feststellen, dass alle Staaten ihren Bürgern immer weniger weismachen können, ökonomisch unabhängig zu sein. Und drittens profitieren Fremde, Ausländer und Migranten in praktisch jedem Land, selbst dort, wo sie wenig willkommen sind und schlechte Bedingungen vorfinden, von der weltweiten Anerkennung der Idee universeller Menschenrechte.

Diese drei Faktoren zusammengenommen haben die globale Intoleranz gegenüber dem Kern demokratischer Systeme – rechtsstaatliche Verfahren, deliberative Vernunft und politische Ausdauer – geschürt. Die Unzufriedenheit mit den langsamen Mühlen der Demokratie wird außerdem von einem Klima ständiger wirtschaftlicher Panik verstärkt. Verantwortlich dafür sind ein weltweit immer größer werdendes wirtschaftliches Gefälle, die Erosion der sozialen Fürsorgesysteme und die penetrante Propaganda der globalen Finanzindustrie, die uns weismachen will, wir stünden alle vor dem finanziellen Abgrund. Populistische Politiker befeuern diese Panik bewusst und versprechen dann Wohlstand für alle.

Welche Chancen haben aufklärerische oder positive Nachrichten unter diesen Bedingungen, seien sie von den Massenmedien oder sozialen Medien verbreitet? Wie können Meldungen, die Werte wie Toleranz, Liberalismus und Internationalismus vermitteln, mit Nachrichten mithalten, die bewusst gestreut werden, um Hass, Wut und Angst zu schüren? Es gibt keine schnellen und einfachen Antworten auf diese Fragen, aber einige vielversprechende Ansätze. Zum einen sollte die produktive Zusammenarbeit zwischen großen Medienunternehmen und Journalisten, Bloggern und Reportern bürgernaher Bewegungen gefördert werden, um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass die großen Nachrichtenmedien nur Erfüllungsgehilfen spezieller Interessengruppen und Eliten wären.

Eine anderer Ansatz ist, weltweit stärker in die demokratische Ausbildung von Reportern, Redakteuren, Fotojournalisten und anderen Medienberufen zu investieren. So ließe sich die Qualität der Berichterstattung über lokale Ereignisse, Meinungen und Bewegungen verbessern, die für aufklärerische und globale Werte stehen. Ein dritter Ansatz ist, Ideen zu entwickeln, wie sich „langsame Nachrichten“ transportieren lassen, also solche, die nicht in den 24-Stunden-Rhythmus der Nachrichtenwelt passen, sondern sich auch längerfristig wichtigen Themen von allgemeinem Interesse widmen, ohne auf Sensation, Prominenz oder Katastrophe zu bauen. Sicher gibt es noch weitere kreative Strategien, um dem Reiz schlechter Nachrichten entgegenzuwirken. Freiheitliche Demokratie braucht Geduld und Ausdauer. Wir müssen diese Tugenden bei den Produzenten wie den Konsumenten von Nachrichten entwickeln. Beharrlichkeit ist die stärkste Waffe gegen Demokratiemüdigkeit.

Aus dem Englischen von Karola Klatt