Neuland

Es kann nicht jeder Petra heißen

Rassimus im Alltag: Wie Kinder lernen können sich zu wehren

Kinder und Jugendliche, die eine Migrationsgeschichte haben, sind oft mit Vorurteilen und Rassismen konfrontiert. Kinderpsychologen wissen, dass rassistische Beschimpfungen, vor allem wenn sie regelmäßig vorkommen, keine Kleinigkeiten, sondern seelische Verletzungen sind. Kinder denken dann schnell: „Mit mir kann man das machen.“ Es entwickeln sich Minderwertigkeitsgefühle, die die künftige Beziehungsfähigkeit des Kindes und den Glauben an das eigene Können beeinträchtigen. Es ist ein Grundbedürfnis für jeden Menschen, sich angenommen und sozial akzeptiert zu fühlen. Das Konzept des „Empowerment“ ermöglicht Eltern, ihren Kindern dabei Unterstützung zu bieten.

Empowerment kann über Liebe, vorurteilsbewusste Erziehung, sozialen Rückhalt, aktive verbale Gegenwehr und durch Schutzräume erreicht werden. Kinder brauchen Schutzräume, die ihnen die Möglichkeit geben, ein gutes Selbstwertgefühl mit ihrem „Anderssein“ aufzubauen. Die Familie bietet einen inneren Schutzraum, wenn sie Liebe und uneingeschränkte Akzeptanz gibt. Das soziale Umfeld kann der äußere Schutzraum sein, wenn Kinder geschätzt und ihnen wegen ihrer Hautfarbe oder Migrationsgeschichte keine Attribute angehängt werden. Diese Erfahrungen sind essenziell für das Selbstwertgefühl.

Es ist für Kinder wichtig zu verstehen, dass es bei rassistischen Beschimpfungen nicht um sie „als Personen“ geht, sondern dass Vorurteile als Projektionen unabhängig von ihnen existieren. Diese Haltung ermöglicht es, sich nicht angesprochen zu fühlen, sich von Klischees und Beleidigungen zu distanzieren und sich weniger verletzt zu fühlen. Ein wesentliches Element des Empowermentprozesses ist es,  sich von den Vorurteilen anderer zu befreien. Hat man es geschafft, sich von Projektionen zu distanzieren, kann im zweiten Schritt die eigene Selbstfindung passieren. Gespräche mit Gleichgesinnten können den Jugendlichen dabei helfen, sich selbst zu definieren.

Für Kinder ist es sehr wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, wenn ihnen etwas zu Herzen geht. So sollten Eltern nichts unter den Teppich kehren, sondern ihre Kinder im Falle einer Verletzung aktiv unterstützen. Es sollte immer vermittelt werden, dass es besser ist, sich aktiv zu wehren, als den Schmerz auszuhalten. Kinder können lernen, sich mit Sätzen wie „du hast doofe Spaghetti-Haare“ oder „es kann nicht jeder Petra heißen“ selbst aktiv zu wehren. Gemeinsam kann man Antworten auf diskriminierende Sprüche vorbereiten. Für Eltern bietet die Strategie der Konfrontation mit dem Verursacher viele Chancen. Vielleicht zeigt dieser nach einem klärenden Gespräch Einsicht, erkennt die Respektlosigkeit und entschuldigt sich. Man kann ihn dazu auffordern, ein solches Verhalten in Zukunft zu unterlassen. Im optimalen Fall geht das Kind gestärkt aus einer solchen Situation hervor.

Die Strategie birgt aber auch Gefahren, etwa die, dass das Kind ein solches Gespräch als Gegenüberstellung empfindet, sich rechtfertigen muss und sich deshalb schämt. Eventuell ist es besser, ohne das Beisein des Kindes mit der Person zu sprechen oder einen Brief zu schreiben. Hier sind die Sensibilität der Eltern und ein ehrlicher Austausch mit dem Kind gefragt, bei dem die Wünsche oder Ängste des Kindes im Vordergrund stehen. Alternativ können Kinder auch selbst Gegenstrategien und Ausdrucksformen finden. Das kann ein Theaterstück oder ein Song sein, ein Bild, eine Schulaktion oder Ähnliches. Wichtig ist, dass das Kind seine Gefühle nach außen trägt. Interkulturell sensible Bücher und Geschichten bieten die Möglichkeit, Gedankenprozesse zu begleiten. Die Erfahrung, wegen einer Eigenschaft oder eines Merkmals anders behandelt zu werden, kann im Kindergartenalter am besten über Bilder- und Alltagsgeschichten thematisiert werden, in denen Protagonisten vorkommen, mit denen sich das Kind identifizieren kann.

Im Kindergarten- und Grundschulalter ist es zudem besonders wichtig, dass Eltern darauf achten, wie das pädagogische Personal mit den Kindern umgeht, ob sie verallgemeinernd über Kinder mit einer Migrationsgeschichte sprechen und ob sie ihnen Eigenschaften oder Fähigkeiten zu- oder absprechen. Ein Wechsel der Schule oder des Kindergartens ist ebenfalls ein gangbarer Weg, der bei uneinsichtigen Mitarbeitern manchmal unvermeidlich ist. Laut Gesetz steht Kindern ein diskriminierungsfreies Umfeld zu.