„Brandstifter“
Die neue polnische Regierung lähmt das Verfassungsgericht und bringt die staatlichen Medien auf Linie. Ein Gespräch mit dem Solidarność-Mitbegründer Bogdan Borusewicz über den wachsenden Widerstand gegen die Regierung
Herr Borusewicz, Sie gehörten 1980 zu den Organisatoren der Streiks auf der Danziger Lenin-Werft und waren einer der Mitbegründer der Gewerkschaftsbewegung Solidarność. Was halten Sie von der aktuellen Regierung Polens?
Was ich über diese Regierung denke? Dass sie allen Werten widerspricht, für die wir im August 1980 und später gekämpft haben.
Es war also kein normaler Regierungswechsel?
Nein, die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist alles andere als normal. Eine der ersten Maßnahmen der PiS lag darin, die Arbeit des Verfassungsgerichts zu lähmen, sodass das Parlament demnächst Gesetze verabschieden kann, ohne befürchten zu müssen, dass diese auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden. Ich habe so etwas noch nicht erlebt: Das neue Gesetz über das Verfassungsgericht landete nach nur einer Stunde „Beratung“ im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, schon bei uns im Senat zur Abstimmung. Jetzt gerade hat das Verfassungsgericht dieses Gesetz für verfassungswidrig erklärt.
Wie arbeitet der Sejm derzeit?
Es geht Schlag auf Schlag. Häufig werden Gesetze in Nachtsitzungen verabschiedet. Das waren in den letzten Wochen: ein neues Gesetz über die erweiterten Befugnisse der Geheimdienste, über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in den öffentlich-rechtlichen Medien, über das fast uneingeschränkte Recht des Staates, seine Bürger geheim belauschen und beobachten zu lassen, sowie eine Neuregelung, die es erlaubt, Beamte im Öffentlichen Dienst leichter als bisher zu entlassen.
Alle 24 bis 36 Stunden haben wir in Polen ein neues Gesetz. Unser Land erinnert immer weniger an einen Rechtsstaat. Auch die Gewaltenteilung ist weitgehend aufgehoben: Da die PiS im Parlament die absolute Mehrheit hat und die Staatsanwaltschaft mit einem Schnellgesetz „reformiert“ wurde, sind inzwischen Exekutive, Legislative – Sejm und Senat – wie auch die Staatsanwaltschaft in den Händen einer Partei. Polens Präsident weigert sich darüber hinaus, drei rechtmäßig noch vom alten Sejm bestellte Verfassungsrichter zu vereidigen. Mit der Behauptung, als Präsident selbst darüber entscheiden zu können, ob er die Richter vereidige, stellt er sich über die Verfassung und maßt sich auch einen Teil der Judikative an. Und genau darum geht es: Das Verfassungsgericht soll gelähmt werden, sodass es seine Aufgabe als letzte Kontrollinstanz im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr wahrnehmen kann. Die Opposition in Sejm und Senat wird damit der Möglichkeit beraubt, Verfassungsbeschwerde gegen Gesetzesprojekte einzulegen.
Das „kleine Mediengesetz“ ermöglicht es der Regierung, Führungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien direkt zu besetzen. Warum protestieren so wenige Polen dagegen?
Wieso wenige? Es protestieren unglaublich viele Leute gegen das Mediengesetz. Allein in meiner Heimatstadt Danzig gingen 8.000 bis 12.000 Demonstranten auf die Straße. Das sind große Demonstrationen. Zudem protestieren die Menschen nicht nur in Warschau, sondern im ganzen Land. Zusammen sind das sicher schon über 100.000 Demonstranten. Auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag: Die Polen sind nicht demokratiemüde! Sie verteidigen die Demokratie.
Polen galt bislang als Musterbeispiel für die gelungene Systemtransformation: Das demokratische System schien gefestigt, wirtschaftlich ging es bergauf. Warum stimmte die Mehrheit der polnischen Wähler dennoch für eine Partei, die das alles infrage stellt?
Die Wahlversprechen „500 Złoty pro Kind“ und „Herabsetzen des Renteneintrittsalters“ brachten der PiS viele Stimmen ein. Dann spielte auch die Flüchtlingsfrage eine große Rolle. Die PiS schürte nach Kräften Ängste in der Bevölkerung, obwohl es in Polen gar kein Flüchtlingsproblem gibt. Plötzlich standen die damalige Regierung und die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) schlecht da, da sie dem EU-Verteilungsplan zugestimmt hatten. Polen soll in den nächsten Jahren 7.000 Flüchtlinge aufnehmen. Die PiS war bereit, die Rolle des Brandstifters im Wahlkampf zu übernehmen. Und jetzt nimmt die Anti-EU-Stimmung jeden Tag zu. So verschwanden die blauen EU-Fahnen erst aus dem Regierungssitz und nun auch aus beiden Kammern des Parlaments.
Ausländische Politiker beurteilen die Situation in Polen zunehmend kritisch. PiS-Politiker hingegen verbitten sich jede „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens“.
Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir kritisieren dürfen, was in der Welt geschieht, darf umgekehrt auch die Welt kritisieren, was bei uns geschieht. Wir sind ein EU-Mitglied und haben Einfluss darauf, was in der EU geschieht. Die Europäische Kommission muss sich häufig harsche Kritik anhören. Daher haben auch EU-Politiker das Recht, uns zu bewerten. Die Außensicht hilft uns Polen in unserer eigenen Debatte. Dass Kritik aus der EU die Regierenden stört, wundert mich nicht. Das ist in anderen Ländern auch nicht anders.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich sagte unlängst: „Wir sollten anerkennen, dass im Baltikum, in Polen, Tschechien oder in der Slowakei eigene Wege zum gesellschaftlichen Miteinander gegangen werden.“ Gibt es in Polen einen anderen Weg zur Demokratie, der nicht der Kritik unterliegt?
Ich kenne und schätze Herrn Tillich, aber hier bin ich vollkommen anderer Meinung. Jeder kann uns kritisieren und sich mit uns streiten. Eine Demokratie ist eine Demokratie. Wenn die PiS-Regierung das Prinzip der Gewaltenteilung aufhebt, die Rechtsstaatlichkeit einschränkt und damit der Demokratie in Polen Schaden zufügt, dürfen Ausländer natürlich nachfragen, was denn da bei uns in Polen gerade passiert. Von einem „eigenen Weg“ würde ich hier nicht sprechen. Da könnte man ja auch Russland einen „eigenen Weg zur Demokratie“ zugestehen, der dann nicht mehr zu kritisieren wäre. Dort wurde sogar der Begriff „souveräne Demokratie“ geschaffen, wir hingegen hatten mal die „sozialistische Demokratie“. Ich erinnere mich gut an diese Zeit.
Mit dem „Komitee für die Verteidigung der Demokratie“, kurz „KOD“, ist eine neue Oppositionsbewegung entstanden. Sehen Sie Chancen, dass das KOD auf den Regierungskurs Einfluss nehmen kann?
Das wird von der PiS abhängen. Sollte sie auf den Pfad der Rechtsstaatlichkeit zurückkehren, wird es für das KOD keinen Grund mehr zu weiteren Demonstrationen geben. Das KOD ist nach dem Vorbild des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) entstanden, dessen Mitglied ich war. Die PiS wird das Öl liefern, um den Oppositionsmotor am Laufen zu halten. So wie ich die PiS-Politiker kenne, werden sie das bis zum Ende ihrer Regierungszeit tun.
Wie stehen die „alten“ Solidarność-Kämpfer zur heutigen Opposition? Kann man das KOD mit der Solidarno?? vergleichen?
Wir sind historisch in einer ganz anderen Situation. Dennoch lassen sich Solidarno?? und das KOD miteinander vergleichen, da die Atmosphäre ähnlich ist und beide Oppositionsbewegungen spontan entstanden sind. Ich treffe bei den KOD-Demonstrationen viele Bekannte aus alten Solidarno??-Tagen. Das sind meist Leute, die später nicht oder nur kurz in die Politik gegangen sind. Aber jetzt spüren sie, dass sie erneut für die Demokratie in Polen kämpfen müssen.
Inwieweit können die Freunde und Partner in der EU Polen dabei helfen, im Land wieder volle Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herzustellen?
Letztlich müssen wir Polen das allein schaffen. Aber das Interesse Europas hilft uns schon sehr. Wir Polen sind sehr EU-freundlich eingestellt. Aus diesem Grund exponiert die PiS ihre antieuropäische Politik nicht besonders. Und wir bauen darauf, dass unsere Freunde in der EU treu zu uns halten.
Das Interview führte Gabriele Lesser