Langsamkeit

„Im All muss man schnell denken und sich mit Bedacht bewegen“

Ein Gespräch mit dem früheren Astronauten Reiter über die Arbeitsbedingungen auf Raumstationen

Als Astronaut hatten Sie Außeneinsätze auf der russischen MIR und der internationalen Raumstation ISS. Die ISS umkreist mit ungefähr 28.000 km/h die Erde. Wie fühlt sich diese Geschwindigkeit an?

In 400 km Höhe befindet man sich in einer unwirtlichen Umgebung, aber die Geschwindigkeit nimmt man zunächst nicht unmittelbar wahr. Wenn man bei der Arbeit ein paar Sekunden Verschnaufpause einlegt, sieht man, wie die Kontinente unter einem hinwegziehen, wodurch das Gefühl der Geschwindigkeit vermittelt wird. Ein Außenbordeinsatz, die Arbeit an der Außenwand der Station, stellt einen Höhepunkt dar. Näher kann man dem Weltraum nicht kommen. Man hat im Vergleich zur Arbeit im Innern der Station ein erweitertes Panorama. Man schaut nicht nur durch ein kleines Bullauge auf die Erde.

Wie anstrengend ist die Arbeit außen an der Station?

Um den Raumanzug herum herrscht Vakuum und im Anzug selbst ein hoher Druck. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Inneren eines Autoreifens und wollen diesen von innen verbiegen. Das heißt, wenn Sie außen an der Station mit der Hand irgendetwas greifen oder den Arm oder das Bein bewegen, dann müssen Sie das gegen diesen Widerstand tun. Das ist in den ersten Minuten nicht wild, aber nach sechs Stunden weiß man, was man geschafft hat. In dieser Zeit verliert man bis zu zwei Liter Schweiß.

Beim Außenbordeinsatz wird man also gezwungenermaßen langsam?

Es geschieht alles sehr langsam. Man muss darauf achten, dass man sich richtig positioniert, um die Aufgaben möglichst effizient durchzuführen. Man sagt in der Ausbildung: „schnell denken und sich mit Bedacht bewegen“. Man übt diese Außenbordeinsätze immer wieder, bis jeder Handgriff sitzt. Durch die begrenzte Kapazität der CO2-Filter in den Raumanzügen hat man nur diese sechs Stunden, um die Aufgaben auszuführen. Es gibt natürlich noch eine Reserve, falls ein Einsatz länger dauert, aber man handelt sehr überlegt und nicht überstürzt, um Fehler zu vermeiden und das Arbeitspensum in diesem Zeitraum zu erfüllen.

Wie fühlt sich die Schwerelosigkeit in der Station an?

Es ist ein tolles Gefühl. Sie nehmen Ihr eigenes Gewicht nicht mehr wahr. Sie können mit winzigen Kräften, indem Sie sich ganz leicht mit der Fingerkuppe irgendwo wegdrücken, schwebend durch die Station bewegen. Wenn man das zum ersten Mal erlebt, hat man die Tendenz, beim Abstoßen viel zu viel Kraft zu verwenden. Dann saust man durch die Station und hat das Problem, sich wieder abzubremsen.

Wenn man gerade nicht arbeitet, wird es einem da oben auch mal langweilig?

In den beiden Missionen, die ich durchgeführt habe, gab es keine Sekunde Langeweile. Der Arbeitstag an Bord ist angefüllt mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Aufgaben. Von morgens an, vom Aufwachen über die Morgentoilette bis zum Frühstück und dem ersten Briefing mit der Bodenkontrolle, ist der Tag minütlich ausgeplant. Da hat man kaum Zeit, mal durchzuatmen. Klar gibt es eine Mittagspause und ein Abendessen. Samstag, Sonntag ist auch ein bisschen Freizeit vorgesehen – da ist man wirklich froh, wenn man in Ruhe den wunderschönen Ausblick genießen kann. Oder nachts, bevor man sich zur Ruhe begibt, noch mal den Blick aus einem der Fenster auf unseren Planeten oder in den Sternenhimmel wirft. Das wird nie langweilig.

Nach Ihrer Zeit als Pilot und Astronaut sind Sie jetzt als ESA-Direktor viel unterwegs. Wie schalten Sie ab?

Ich gehe hin und wieder mit der Familie und Freunden ins Kino und schaue auch gerne Science-Fiction-Filme an. Den Film „Jupiter Ascending“ habe ich mit unseren Nachbarn und meinem jüngsten Sohn gesehen. Auch „Interstellar“ habe ich mir angeschaut. Allerdings hat mir diese Weltuntergangsstimmung nicht so gut gefallen: In dem Film suchen die Menschen nach einer zweiten Erde, weil sie es nicht hinbekommen haben, achtsam mit unserem Planeten umzugehen. Ich hoffe, dass wir dies in der Wirklichkeit besser hinbekommen, als in dem Film geschildert.

Das Interview führten Simon Kopp und Fabian Ebeling