Langsamkeit

Die Grünkohlhölle

Warum das Leben auf dem Land ein Alptraum sein kann. Ein Aussteiger erzählt

Mit Mitte zwanzig habe ich ein Magazin herausgebracht, mit dem Titel The Idler (auf Deutsch: „Der Müßiggänger“). Es richtete sich an Menschen, die nicht gerne arbeiten. Das Projekt war geboren aus meinem glühenden Hass gegen einen langweiligen Job, in dem ich mich gefangen fühlte, und aus dem Wunsch, einfach ein Nickerchen machen zu können, wenn mir danach war. Ich hasste schon meinen Weg zur Arbeit: Zweimal täglich saß ich in einer Untergrundbahn und schäumte vor Wut. Ich hasste die Hektik im Büro und die Sinnlosigkeit meiner Tätigkeit. Am Ende hasste ich die ganze Stadt.

London, das mir in meiner Jugend so befreiend vorgekommen war, erschien mir plötzlich als Falle. Ich war in den Dreißigern, hatte zwei kleine Kinder und sehnte mich danach zu fliehen. Bis ich es schließlich tat. Ich zog in ein altes Bauernhaus auf dem Land und widmete mein Leben in den nächsten zwölf Jahren dem Bücherschreiben, Biertrinken und dem Versuch, ein leidlicher Selbstversorger zu werden. Meine Partnerin Victoria und ich hielten Hühner, pflanzten Gemüse, backten Brot und gingen auf Feldwegen spazieren. Einmal zogen wir sogar Schweine groß.

Man könnte es „Entschleunigung“ nennen, was meine Partnerin Victoria und ich erreichten. Aber, glauben Sie mir, nach zwölf Jahren im Exil begann ich mich ein bisschen nach dem hektischen Stadtleben zurückzusehnen.

Das Erste, was man lernt, wenn man ein Leben in Einfachheit führen will, ist, dass es ziemlich kompliziert ist. Es stimmt, dass wir auf dem Land viel mehr Zeit und Platz hatten. Wir liefen jeden Tag eine Stunde an der Steilküste in der Nähe unseres Hauses entlang. In dieser Landschaft waren im späten 18.?Jahrhundert schon die Romantiker William Wordsworth und Taylor Coleridge gewandelt.

Doch man tauscht nur den einen Sack voller Sorgen gegen einen anderen. Das Bier, das ich braute, schmeckte scheußlich. Die Schnecken fraßen meinen ganzen Salat. Die Grünkohlkulturen gediehen nicht. Meine Brote waren hart wie Ziegelsteine. Unsere Küche stand unter Wasser und mitten im Winter froren die Leitungen ein und wir mussten mit Eimern Wasser aus dem Fluss holen.

Es gibt einige Menschen, die für das Landleben geschaffen sind: Bauern. Sie sind schon so aufgewachsen. Sie können aus Feldsteinen Mauern errichten, Traktoren reparieren, Häuser anstreichen und Klempnerarbeiten ausführen. Doch für einen Fatzke aus der Stadt ist es gar nicht so einfach, sich über Nacht in einen erfolgreichen Kleinbauern zu verwandeln. Da helfen auch die vielen Ratgeber für angehende Selbstversorger nichts.

Und nicht jedem gefiel meine Entschleunigung. „Das ist ganz toll für dich, Schreiberling“, schrie Victoria mich an. „Ich muss mich um die Kinder und die Wäsche kümmern. Ich kann nicht langsamer machen.“ Ging ich sonntags in den Gemüsegarten, ärgerte sie sich, weil ich den Boden nicht kehrte. Es war entschieden besser, nicht träge und entschleunigt herumzusitzen, wenn sie den Raum betrat, sondern immer den Anschein zu erwecken, sehr emsig einer nützlichen Tätigkeit nachzugehen.

Meine Mutter hasste es, uns zu besuchen. „Warum lebt ihr in diesem Zigeunerlager inmitten von Dreck und diesen ganzen Tieren?“, fragte sie immer wieder.

Man verdient auch nicht viel, wenn man entschleunigt lebt. Das kann Probleme bereiten. Wir kauften alte Autos für 300 Pfund, die man mit Gaffaband zusammenhalten musste und die nach den Zigaretten des Vorbesitzers stanken. Meinen Kindern war es richtig peinlich, wenn wir sie mit diesen alten Klapperkisten von der Schule abholten.

Meine Kinder bekamen auch keinen Orangensaft mehr und auch nicht ihre Frühstücks-Smacks. Für mich war das eigentlich in Ordnung so, für sie aber nicht.

Ein treuer Freund der entschleunigten Lebensweise ist meine Ukulele. Ich liebe es, auf ihr zu spielen. Es hebt meine Stimmung und bringt mich der Musik näher. Aber es war das alte Problem: Das Ukulelenspiel klingt einfach nicht nach Arbeit. Ich legte sie schnell aus der Hand, wenn Victoria oder die Kinder den Raum betraten.

Das Leben in einem alten Bauernhaus macht viel Mühe, obwohl ich zugeben muss, dass ich es auch mochte. Ich las und schrieb am Morgen, am Nachmittag hackte ich Holz und am Abend las ich wieder und trank Bier dazu. Aber manchmal wollten die Holzscheite im Kamin nicht brennen und ich musste feststellen, dass der Holzhändler mir frisch geschlagenes Holz angedreht hatte, das innen noch völlig nass war.

Victoria wurde Imkerin. Das passt gut in ein entschleunigtes Leben. Versenke dich in deine Bienen und sie werden es dir mit Honig danken. Doch Bienenhaltung ist nicht so leicht. Im ersten Winter starben sie ab. Und einmal jagten sie Victoria über eine Meile weit und stachen sie dabei.

Urlaube oder Wochenendausflüge sind auch schwierig, wenn man entschleunigt lebt. Man muss einen Nachbarn bitten, die Tiere zu füttern und die Hühner jeden Abend einzusperren. Oder man muss jemanden dafür bezahlen.

Etwa acht Jahre lang boykottierte ich alle Supermärkte. Wir bestellten unsere Lebensmittel bei Biolieferanten und in Reformhäusern. In einem Jahr habe ich sämtliches Gemüse, das wir verbrauchten, selbst gezogen. Doch als wir eine neue Tätigkeit aufnahmen, die uns zwang, regelmäßig nach London zu fahren, hatten wir nicht mehr genug Zeit, unsere Lebensmittel selbst anzubauen und bewusst einzukaufen. Stattdessen entdeckten wir die Vorzüge von Lidl. Und ich muss sagen: Die Entschleunigung aufzugeben, hat sehr angenehme Seiten. Sie ist schlicht Plackerei!

Ein entschleunigtes Leben auf dem Land kann auch ein langweiliges Leben sein. Die Landschaft mag wunderschön sein, aber es gibt kaum Kultur. Die Menschen ähneln sich alle sehr und es gibt keine guten Galerien oder Museen.

Und ich muss noch etwas beichten: Ich liebe Auto fahren! Manchmal fahre ich sogar auf der Autobahn so schnell, wie ich kann.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Meine zwölf entschleunigten Jahre waren wunderbar. Aber jetzt sind meine Kinder Teenager und ich möchte nicht, dass sie auf dem Land hocken. Sie wollen mitten im Trubel der aufregenden Stadt sein und fürs Erste freue ich mich, sie zu begleiten.

Aus dem Englischen von Karola Klatt