Nachgefragt in Amerika

In seinem E-Book "Mein Brief an die NSA" schildert Sebastian Christ, wie sein Vertrauen in die digitale Welt und die Vereinigten Staaten von Amerika erschüttert wurde

Mein Brief an die NSA. Auf der Suche nach meinen Daten" heißt der neue Essay des Journalisten Sebastian Christ. Der Essay beschreibt auf sehr persönlicher Ebene zwei Entwicklungen des Autors: sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika und seine fortschreitende Inbesitznahme technischer Errungenschaften als Kind und Jugendlicher ("Mein erstes Mobilfunktelefonat führte ich mit sieben Jahren von der Rückbank eines Mercedes aus.")

Was den Essay sympathisch macht, ist, dass Christ sich nicht als Besserwisser inszeniert, der schon immer vor den Gefahren der technischen Überwachung und vor der scheinbar omnipotenten Supermacht jenseits des Atlantiks gewarnt hat. Im Gegenteil: Nicht ohne Ironie beschreibt der Autor, wie aufgeschlossen er stets jeder neuen technischen Spielerei gegenübergestanden hat.

Wie bereitwillig er Daten herausgegeben, Dinge von sich preisgegeben hat. "Ich bewege mich online, so wie ich früher durch die Frankenberger Fußgängerzone gelaufen bin." In Christ kann sich fast jeder Bürger wiedererkennen. Genau das macht den Essay so erschreckend. Auch die Beziehung zu den USA gestaltete sich zunächst positiv. Als Schüler empfand Christ Amerika als "natürlichen Alliierten meiner Jugend": "Ich konnte mir weder meine Vergangenheit noch meine Zukunft ohne die USA vorstellen." Um die Jahrtausendwende wird er volljährig. Der 11. September schockiert ihn. An seinem Bemühen, eine US-Fahne am Balkon zu befestigen, scheitert er nur, weil alle Amerikafahnen in München ausverkauft sind. Als Student geht er auf Anti-Kriegs-Demos. Doch er betont: "Nicht gegen Amerika, gegen George W. Bush" gehe er auf die Straße.

Die Zweifel wachsen langsam. Im Jahr 2004 beantragt Christ ein Studentenvisum für die USA. Doch es gibt Schwierigkeiten. Mit fühlbarer persönlicher Enttäuschung resümiert Christ: "An einem Tag im Herbst 2004 fuhr ein amerikanischer Van mit Diplomatenkennzeichen in ein Dorf mit 78 Einwohnern, 300 Schweinen und drei Windrädern. Das Fahrzeug hielt vor einem Bauernhof im Ortskern, zwei Männer in Trenchcoats stiegen aus und befragten einen jungen Gewerkschaftsfunktionär, der mit mir zur Schule gegangen war. Fragen zu meinem Abiturjahrgang, Fragen zu meiner Familie. Sie trauten mir nicht." Was den Anstoß zu einem Verdachtsmoment gegeben hat, ist dem Studenten überhaupt nicht klar. Er wird es nie erfahren. Einreisen darf er dann trotzdem.

Im Jahr 2010 bewirbt sich Christ für eine Akkreditierung bei den Streitkräften der Nato in Afghanistan. Er berichtet über das alltägliche Leben der Soldaten, über afghanische Kinder und über die Dauerpräsenz von Aufklärungsdrohnen. Dann ergibt sich für den Autor eine große berufliche Chance: Er wird einer Mitarbeiterin des US-amerikanischen Public Affairs Office vorgestellt, die ihm das Angebot macht, als erster westlicher Journalist die afghanische Armee im Einsatz begleiten zu dürfen. Doch als er später das Angebot konkretisieren möchte, lässt sich die Frau, die den Range eines Captains hat, verleugnen. Christ schreibt "viele lange, bohrende Mails" an das Public Affairs Office, doch er erhält keine Antwort mehr.

Resigniert konstatiert er: "(...) ohne dass es einen Anlass dafür gegeben hätte, war ich für das amerikanische Militär nicht mehr existent." In einer einfachen, klaren Sprache gemahnt der Autor auch an unsere scheinbar weit von Krieg und Gräueln entfernte bundesdeutsche Wirklichkeit, die den "War against Terrorism" so beklemmend reibungslos und unsichtbar vonstatten gehen lässt: "Niemand hat von Berlin-Kreuzberg aus eine Vorstellung davon, wie fein der Wüstensand ist, der sich in jede Ritze der afghanischen Habseligkeiten legt. Und dass deutsche Spezialeinheiten nachts auf Terroristenjagd gehen. In unserem Namen. Mit unseren Daten. Das muss man nicht sehen."

Als Zeichen, dass der Krieg auch auf der Trutzburg Europa Spuren hinterlässt, macht er die zunehmende Zahl an Polizisten mit Maschinenpistolen auf Patrouille in den Hauptbahnhöfen aus. Stellenweise fordert die Meinung des Autors Widerspruch heraus. Bei der Beschreibung der Meriten des Netzes weht den Leser etwas zu oft Piraten-Romantik vom tollen, freien Netz an. Von der Geldmaschine Netz, Mobbing auf Facebook bis zum Suizid und anderen weniger optimistisch stimmenden Dingen liest man hier wenig. Das Netz scheint per se "gut" zu sein, bis die Homeland Security es für ihre Zwecke entdeckt hat.

In Sätzen wie "Meine Heimat war das Netz, ist das Netz, wird das Netz sein. Und sie wurde von Menschen angegriffen, die meine Freiheit hassen" scheint eine Art juveniler "Netzpatriotismus" durch, der naiv wirkt. Gelegentlich würde man sich einen größeren gesellschaftlichen Radius und etwas mehr Theorie wünschen. Über das transatlantische Verhältnis und die Unterschiede im Begriff der Freiheit diesseits und jenseits des Atlantiks ließe sich wesentlich mehr sagen. Der Essay ist jedoch hinreichend interessant, um nicht zur Nabelschau zu geraten.

Mein Brief an die NSA. Auf der Suche nach meinen Daten. Von Sebastian Christ. E-Book, mikrotext, Berlin, 2013.