Angst und Freudentänze
Was Filmemacher über die Schicksale von Bürgern aus Nord- und Südsudan erzählen
Das riesige Stadion in der südsudanesischen Stadt Juba platzt aus allen Nähten. Trotz der brennenden Hitze strahlen die Menschen vor Begeisterung. Einige tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Build a Nation", andere traditionelle Stammeskleidung. Sie tanzen und schwenken Fahnen. Bald werden sie noch einmal die gesamtsudanesische Nationalhymne singen und gleich darauf zum allerersten Mal eine neue anstimmen. Denn sie haben sich an diesem 9. Juli 2011 versammelt, um die Geburt einer Nation zu feiern: die des Südsudans.
Die Szene stammt aus einer Kurzdokumentation, entstanden im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von Filmemachern aus Sudan, Südsudan und Deutschland. Was bedeutet es für Menschen, wenn nach über fünfzig Jahren Bürgerkrieg auf dem Gebiet eines Landes eine neue Nation gegründet wird? Mit dieser Frage im Kopf filmten die Projektteilnehmer Menschen im Norden und Süden des ehemals größten Staates Afrikas. Die Resultate veröffentlichten sie unter dem Titel "The Two Sudans" auf einer Webseite.
Nur wenige Wochen nach dem Launch der Seite im November vergangenen Jahres bekamen die Bilder von Freudentänzen einen bitteren Beigeschmack. Im Dezember 2013 machte der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit, der der Volksgruppe der Dinka angehört, einen angeblichen Putschversuch seines geschassten Vizepräsidenten Riek Machar, eines Nuers, öffentlich. Dies führte zwischen Unterstützern beider Seiten zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die sich im ganzen Land ausgebreitet haben. Mehrere Tausend Menschen fielen den Kämpfen bereits zum Opfer, mehr als 800.000 mussten fliehen.
Agel Ring Machar ist einer der Protagonisten, deren Geschichten die Macher von "The Two Sudans" dokumentiert haben. Als sein Vater, ein intellektueller Gegner des Regimes in Khartum, ermordet wurde, gab Ring Machars Mutter ihren Beruf als Ärztin auf und ging in den bewaffneten Widerstand. Auch Ring Machar, damals noch keine zehn Jahre alt, wurde Soldat in der Rebellenarmee. Als Jugendlicher kam er auf Wunsch seiner Mutter in ein Flüchtlingslager in Kenia, wo er als talentierter Basketballer ein Schulstipendium erhielt. Nach der Unabhängigkeit des Südsudans wollte er als Kapitän des ersten Basketballnationalteams, in dem Spieler verschiedener Ethnien gemeinsam antraten, einen Beitrag zum Zusammenwachsen des Landes leisten.
Mit Mitte dreißig trägt er nun wieder Uniform. Regelmäßig fliegt Ring Machar per Hubschrauber von der Hauptstadt Juba in den ölreichen Bundesstaat Upper Nile, um die dort kämpfenden Regierungstruppen mit Munition, Medizin und Lebensmitteln zu versorgen. "Es fühlt sich nicht gut an, wieder beim Militär zu sein, aber ich empfinde es als meine Pflicht", sagt er. "Die neue Nation hat den Menschen nicht genug Sicherheit geboten, um sich wirklich als Südsudanesen zu fühlen", versucht er das Aufflammen des Konflikts zu erklären. "Hoffentlich dauert der Krieg nicht zu lange, sonst verlieren wir eine weitere Generation."
Die Filmemacherin Alyaa Sir-Elkhatim, 32, ist in Khartum aufgewachsen. Für "The Two Sudans" hat sie die Schauspielerin Wafa Abdullatif Mala auf die Hochzeit ihrer besten Freundin begleitet. In die Darstellung des Festes mischen sich nachdenkliche Töne, wenn Sir-Elkhatims Protagonistin über die Widersprüche zwischen den Erwartungen ihrer Familie und ihren eigenen Zukunftsplänen spricht. Ihr sei es darum gegangen, kleine Fenster auf individuelle Lebenswelten zu eröffnen, erzählt Sir-Elkhatim, weil dies manchmal mehr über ein Land verraten als politische Analysen. Viel über die sudanesische Gesellschaft verrät auch die Tatsache, dass der Hochzeitsclip auf der Webseite nur mit einem Passwort abgerufen werden kann. Der Grund ist der Hochzeitstanz der Braut, der in konservativen Kreisen als zu aufreizend empfunden werden könnte, um ihn mit der Öffentlichkeit zu teilen. "Ich habe keine Angst vor der Sittenpolizei oder der Staatsgewalt, sondern dass die Familie der Braut einer Veröffentlichung nicht zustimmen würde", erklärt Sir-Elkhatim.
Die Angst vor der Polizei spielte bei den Dreharbeiten dennoch eine Rolle, wie die Mitinitiatorin des Projekts, Katharina von Schroeder, berichtet. Die Teilnehmerin einer Demonstration gegen die nordsudanesische Regierung habe man bewusst so gefilmt, dass sie nicht zu erkennen sei. Und eine Szene, die eine lange Menschenschlange vor einer Tankstelle zeigt, nachdem der sudanesische Präsident Omar al-Baschir 2012 angekündigt hatte, die Benzinsubventionen auslaufen zu lassen, habe nicht verwendet werden können. Zu groß sei die Sorge des Kameramanns gewesen, wegen aufrührerischer Propaganda im Gefängnis zu landen. Von Schroeder träumt nun von einer kontinuierlichen Förderung, um das vom Auswärtigem Amt, dem Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützte Projekt auszuweiten und den Konflikt stärker in den Blick zu nehmen. Die Menschen in den verschiedenen Regionen des riesigen und vielstimmigen Gebiets, das einmal der Sudan war, wüssten erstaunlich wenig voneinander. "Wir würden gern einen Dialogbeitrag leisten."