Was die Welt zusammenhält
Menschen richten ihr Leben nach dem Job aus - das sichert den sozialen Frieden. Aber wie lange noch?
Inbrünstig wollen Politiker und Wirtschaftseliten Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Doch kaum einer kann die Art der Beschäftigung erklären, die ihm oder ihr dabei vorschwebt. Die institutionelle Krise, die Arbeit und Beschäftigung seit einem Vierteljahrhundert lähmt, wird ignoriert. Zum Teil ist dieses Stillschweigen verständlich. Erwerbsarbeit jeglicher Art ist zwangsläufig verlockend, wenn die nationalen Arbeitslosenquoten auf Rekordwerte klettern, wie es derzeit in Spanien und Griechenland der Fall ist. Doch bevor wir "Arbeit" unkritisch als universelles ökonomisches Allheilmittel hinunterschlucken, tun wir gut daran, uns einige Fragen über diese Medizin zu stellen, die Politiker so eifrig verschreiben. Wie hat sich die Bedeutung von "Arbeit" in den letzten 25 Jahren gewandelt? Wie und warum ist Erwerbsarbeit in den letzten Jahrzehnten umgestaltet worden? Und haben wir das Ende der "Arbeitsgesellschaft" erreicht, vor dem uns so viele Intellektuelle vor zwanzig Jahren gewarnt haben?
In den Vereinigten Staaten hat die "Große Rezession", die von der zweiten großen Weltwirtschaftskrise 2008 ausgelöst wurde, das Leben von mehreren zehn Millionen Menschen massiv beeinträchtigt. Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, machen heute bereits ein Drittel der Arbeitslosen aus, und die meisten davon erhalten keinerlei Sozialleistungen. Dass Erwerbslosigkeit zu mehr häuslicher Gewalt und höheren Scheidungs- und Selbstmordraten führt, ist seit Langem bekannt.
Darüber hinaus lässt Langzeitarbeitslosigkeit berufliche Qualifikationen veralten, was die Gefahr des sozialen Abstiegs deutlich erhöht und zu dauerhaften Beeinträchtigungen im Leben von Menschen führt. In jüngster Zeit haben Arbeitgeber angesichts konjunkturschwacher Arbeitsmärkte höhere Bildungsabschlüsse selbst für einfache Tätigkeiten gefordert. Ganze Berufszweige sind geschrumpft - das beste Beispiel ist die Jurisprudenz -, da berufliche Karrieren turbulenter und unsicherer als früher verlaufen. Die Probleme von Erwerbslosigkeit sind bekannt und schwer zu bestreiten. Weniger bekannt sind dagegen die Auswirkungen, welche die schwierige Wirtschaftslage auf Menschen mit Arbeit hat. Vieles deutet darauf hin, dass sich auch für Berufstätige in der aktuellen Wirtschaftskrise strukturelle und kulturelle Trends verschärft haben, die seit Jahrzehnten im Gang sind.
An diese Trends sei kurz erinnert: In den 1990er-Jahren war die Zukunft des fordistischen Arbeitsmodells - das heißt des sozialen Kompromisses, der auf Massenkonsum und Vollbeschäftigung zielte - das zentrale Problem laut Arbeitsplatzanalysten. Wenn sich, wie die Analysten übereinstimmend glaubten, das fordistische Modell überlebt hatte, was sollte dann an seine Stelle treten? Welche Auswirkungen würden neue Arbeitsbedingungen auf den Sinn und die Stabilität im Leben von Beschäftigten haben? Manche sprachen von einer neuen flexiblen Welt, in der Arbeitnehmer größere Freiheiten von den beklemmenden Bürokratien genössen und wichtige Kontrollmaßnahmen über ihre eigene Wirtschaftstätigkeit zurückerlangten. Andere sprachen von einem "Aufstieg der kreativen Klasse" und der Entstehung einer "Nation freier Mitarbeiter".
Diejenigen, die von der postfordistischen Welt weniger begeistert waren, sahen besorgter eine Ära der Unsicherheit heraufziehen, in der sich prekäre Beschäftigung am Horizont abzeichne - eine Welt, in der sich das Risiko von Konzernen auf Arbeitnehmer verlagerte. Eine Zeitlang ließ die dot.com-Blase eine eher optimistische Sichtweise glaubhaft erscheinen, ganz so, als prophezeie das Wunder des Silicon Valley einen neuen Wirtschaftsmodus, als habe die New Economy die Gesetze der Ökonomie außer Kraft gesetzt. Das Platzen der dot.com-Blase holte die Optimisten jedoch rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit Neologismen wie "Downsizing", "Outsourcing" und "Offshoring" entstand ein neues Wirtschafts-Vokabular. "Kontingente Beschäftigung", das heißt unfreiwillige Teilzeit- oder Leiharbeit, wurde zu einem festen Bestandteil der Wirtschaftslandschaft.
Der Begriff "Prekariat", der die chronische Unsicherheit von Arbeitsuchenden erfasste, kam auf. Neue Strategien, mit denen sich Beschäftigte das Vertrauen ihrer Vorgesetzten sichern konnten, wurden publiziert. In Ratgeberkolumnen erfuhren Leser, wie man die Anzeichen bevorstehender Entlassungen feststellt. Schönheitsoperationen wurden auch unter Männern gang und gäbe - insbesondere in leitenden Positionen, wo der Druck, fit und produktiv auszusehen, immer mehr zunahm. Während der Dienstleistungssektor an Bedeutung gewann, stellten Firmen neue Ansprüche an ihre Angestellten. Von Beschäftigten im Einzelhandel, im Hotel- und Gastgewerbe und in der Unterhaltungsindustrie wurde jetzt das erwartet, was die Soziologin Arlie Russell Hochschild als "emotionale Arbeit" bezeichnet. Was vorher Teil des Privatlebens war - die Fähigkeit, Gefühle durch Mimik und Körpersprache auszudrücken -, wurde jetzt zum Gegenstand der Unternehmenspolitik.
Und in vielen Dienstleistungsberufen wurden Beschäftigte zunehmend danach ausgewählt und bewertet, dass sie die Firmenmarke im wahrsten Sinne des Wortes verkörpern. So war das US-amerikanische Modeunternehmen Abercrombie and Fitch dafür berüchtigt, nur blonde, schlanke Arbeitskräfte anzustellen, die einen gepflegten Eindruck machten. Der vielleicht wichtigste Aspekt der postfordistischen Arbeitsorganisation ist jedoch die Implosion des Marktes in die verborgensten Winkel eines Unternehmens selbst. Zuvor genossen Arbeiter in Großkonzernen einen gewissen Schutz vor Marktunsicherheit und waren oft in firmeninterne Karriereleitern eingebunden, die geordnete Laufbahnen vorsahen. Da nun jedoch die Unternehmen danach drängten, immer schlanker und wendiger zu werden, machten sich Arbeitgeber daran, entsprechende Regelungen abzubauen. An ihrer Stelle tauchte das auf, was der britische Soziologie Paul du Gay als "Unternehmenskultur" bezeichnet hat - eine Reihe neuer Grundsätze, die Arbeitnehmern abverlangten, die Erwartungen ihres Unternehmens zu verinnerlichen und Unternehmer ihrer eigenen Abteilungen zu werden. Welchen Platz hat Arbeit unter diesen neuen Bedingungen im Leben von Menschen?
Autoren wie Stanley Aronowitz, William DiFazio und Jeremy Rifkin warnen uns bereits seit Längerem vor dem "Ende der Arbeit" - das heißt vor einer Ära der Arbeitslosigkeit als Konstante einer kapitalistischen Wirtschaft. Die sicherlich fundierteste Theorie hat in diesem Zusammenhang Ulrich Beck entwickelt, dessen Buch "Schöne neue Arbeitswelt" seit zehn Jahren für Diskussionsstoff sorgt. Becks Analyse zufolge hat die Spätmoderne die kulturellen Grundlagen des Kapitalismus bis ins Mark erschüttert. Nun, da der Fordismus am Ende und Massenarbeitslosigkeit ein weitverbreitetes Phänomen des gesellschaftlichen Lebens ist, scheint die "Arbeitsgesellschaft", deren Mitglieder in der Arbeit den Garanten für Wohlstand, gesellschaftliche Stellung, Persönlichkeit und Lebenssinn sahen, nicht länger überlebensfähig. Menschen sehen sich gezwungen, jenseits der Arbeits- und Konsumwelt neue Quellen der Erfüllung und Selbstverwirklichung zu erschließen. Becks Vision lässt sich wahrscheinlich am besten auf die krisengeschüttelten Länder der Eurozone - Portugal, Italien, Griechenland und Spanien - anwenden.
Hier hat Massenarbeitslosigkeit in Kombination mit politischen Skandalen dazu geführt, dass nicht nur die Legitimität der herrschenden Regierungen ausgehöhlt, sondern ganze Gemeinschaften dazu gezwungen wurden, andere als vom Markt bestimmte Formen des wirtschaftlichen Austausches zu erfinden und Arbeitsleistungen neu aufzuteilen. Tauschhandel und Selbstversorgung sind weit verbreitet. In den englischsprachigen Ländern zeichnet sich jedoch eine ganz andere Entwicklung ab. Insbesondere in den USA hat die bloße Existenz des Prekariats den Druck der angeblich im Untergang befindlichen "Arbeitsgesellschaft" auf die erwerbstätige Bevölkerung nur noch verschärft. In gewisser Weise war diese Entwicklung schon seit Jahrzehnten abzusehen. Die neokonservativen Bewegungen der 1990er-Jahre ließen die "Unterschicht" wie eine unmoralische, unwürdige Bande aussehen, eben weil ihre Mitglieder angeblich die Arbeit verweigerten. So schrumpfte das Sicherheitsnetz, während die Arbeitsethik zur alleinigen Quelle von Stolz und Würde in der Gesellschaft hochstilisiert wurde. In jüngerer Zeit hat die populäre Wirtschaftspresse verstärkt Selbsthilfebücher auf den Markt gebracht, die Karrieretipps für Leser in der Mitte ihrer beruflichen Laufbahn bis hin zu Teenagern in der Berufsfindungsphase bereithalten. Bücher und Magazine fordern Arbeitsuchende dazu auf, Marketingstrategien von Konzernen auf sich selbst anzuwenden und "Manager ihrer eigenen Marke" zu werden.
Berufsberater empfehlen Jugendlichen, möglichst viele Ehrenämter anzunehmen und unbezahlte Praktika zu machen, um sich von ihren Mitbewerbern abzusetzen. Online-Stellenmärkte wie Monster.com verwenden Algorithmen, die Arbeitslose von vornherein ausschließen, denn Arbeitslosigkeit gilt als Stigma. Es hat den Anschein, als ob die "Arbeitsgesellschaft" in den USA zu einer Obsession geworden ist, einem Kult, der die Identität von Beschäftigten auf immer effektivere Weise prägt. Was lässt sich also über die Zukunft der "Arbeit" sagen? Drei Schlussfolgerungen scheinen mir möglich.
Die erste betrifft die Ungleichheit in der globalen Wirtschaft. Überall dort, wo Entwicklungsländern der Neoliberalismus aufgezwungen wurde und der Einfluss der Saaten gravierend schwindet, weiten sich informelle Beschäftigungsformen aus und unsichere Wirtschaftsbeziehungen sind die Norm. Zerrieben zwischen formeller und informeller Beschäftigung kämpfen Arbeitnehmer überall in den Entwicklungsländern um ihren Lebensunterhalt. Dieses Phänomen bezeichnet Beck als "Brasilianisierung" und er meint, dass es auch die avancierte kapitalistische Welt in Zukunft prägen werde. Doch hier - und das ist meine zweite Schlussfolgerung - hat Beck nur teilweise recht. Die Krise trifft die verschiedenen Nationalstaaten und ihre Institutionen sehr unterschiedlich. Man kann das am Funktionieren der nationalen Arbeitsmärkte und insbesondere an den Arbeitslosenzahlen ablesen. Vielleicht gibt es einen kritischen Punkt, an dem das System kippt: Wenn die Arbeitslosigkeit Rekordwerte erzielt, könnte der Arbeitsmarkt seine Fähigkeit verlieren, das Verhalten der Bevölkerung eines Landes zu disziplinieren.
Protestbewegungen könnten entstehen, welche die wirtschaftliche und politische Elite zu Zugeständnissen zwingen. Dieses Argument ist - insbesondere in Anbetracht der Massenproteste in Nordafrika, die zum Arabischen Frühling wurden - in gewissem Maße plausibel. Ein dritter Punkt ist ebenso wichtig: In der Ära des Postfordismus wird Arbeit einer Logik der "Flexibilität" unterliegen. Dieser inflationär gebrauchte Begriff hat eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite meint er, dass Beschäftigte und Firmen anpassungsfähig sein und auf Veränderungen reagieren müssen und daher bereit sind, sich neuen Formen der Beschäftigung zu öffnen. Auf der anderen Seite legt der Begriff nahe, dass die Konturen der Arbeit in hohem Maße von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen in Übereinstimmung mit der Wirtschaftspolitik abhängen. Es könnte bei einem Ausbleiben sozialer Bewegungen eine harte Wirtschaft entstehen, in der Verstöße gegen das Arbeitsrecht an der Tagesordnung sind. Entsprechende Auswüchse sind längst in Fastfood-Restaurants, Supermärkten und anderen Ausbeutungsbetrieben zu beobachten.
Doch flexible Arbeitsformen müssen sich nicht unbedingt in diese Richtung entwickeln. Vor zehn Jahren kamen im Zuge des Weltsozialforums und seines Slogans "Eine andere Welt ist möglich" in vielen europäischen Städten Protestbewegungen auf und vernetzten sich, um gegen die anhaltende Unsicherheit im Arbeitsleben zu protestieren. Auch wenn diese Proteste nicht von Dauer waren, so betonten sie dennoch die Notwendigkeit alternativer Formen der Beschäftigungspolitik, wie sie zum Beispiel Dänemark in den 1990er-Jahren mit der "Flexicurity" einführte, einer Arbeitmarktpolitik, die Beschäftigten und Arbeitsuchenden ein sicheres Einkommen, Sozialversicherungen und Fähigkeiten verschaffen will, mit denen sie sich an die ständig wandelnden Anforderungen des globalen Kapitalismus anpassen können. Die 2007 einsetzende Wirtschaftskrise hat die Fähigkeit der Nationalstaaten, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, natürlich gemindert. Doch indem sie die Logik des Marktes in vielen Ländern geschwächt hat, hat sie vielleicht auch neue Möglichkeiten für politische Interventionen von unten geschaffen. Aus dem Englischen von Claudia Kotte
Aus dem Englischen von Ulrike Becker