Was machst du? Wie Menschen weltweit arbeiten

Land ohne Überstunden

Von der norwegischen Arbeitskultur kann der Rest der Welt nur träumen

Dank seiner Öl- und Gasvorkommen gehört Norwegen zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Hier herrscht das Gefühl vor, auf eine Insel der Sicherheit in einer Welt der Finanzkrisen zu leben. Statt Arbeitslosigkeit gibt es einen chronischen Mangel an Arbeitskräften und der Sozialstaat wird großzügig ausgelegt. Da überrascht es kaum, dass nirgendwo auf der Welt so wenige Überstunden gemacht werden wie hier. Fast jeder dritte Norweger arbeitet im öffentlichen Dienst.

Auch ich gehöre dazu. Mein Arbeitgeber, die staatliche Umweltbehörde, ist repräsentativ für die typisch norwegische Arbeitskultur. Während ich auch nach neun Jahren in meiner Wahlheimat immer noch zwei bis drei Minuten vor einer geplanten Besprechung im Konferenzraum erscheine, trudeln die meisten meiner Kollegen vier bis sechs Minuten zu spät ein. Ohne dass sich jemand nennenswert darüber aufregt. Im Gegenteil: Meist bin ich diejenige, die nett gemeintes Gespött über sich ergehen lassen muss ob meines deutschen Pünktlichkeitsfimmels. Hoch im Kurs steht das Prinzip der Egalität im Arbeitsleben. Der Abteilungschef ist vom einfachen Angestellten rein optisch nicht zu unterscheiden, die Anrede mit dem Vornamen ganz normal, der Dresscode eher lasch. Rock oder Anzug sucht man vergebens, und diese (Nach-)Lässigkeit steckt an: Auch ausländische Kollegen laufen im norwegischen Freizeitlook mit Jeans, Strickpulli und flachen Schuhen durch die Büros.

Arbeitsbesprechungen sind geprägt von Konsensdenken, Uneinigkeiten werden selten offen ausgetragen. Jedoch darf man sich vom netten Umgangston und der flachen Hierarchie nicht dazu verleiten lassen, die Anforderungen der norwegischen Arbeitskultur falsch zu deuten. Hinter der recht großen Freiheit, die der einzelne Arbeitnehmer im Alltag hat, liegt die Erwartung, dass man selbstständig arbeitet und Resultate erzielt. Mehr als die Arbeit ist den Norwegern ihre Freizeit hoch und heilig. Im Winter erzählt man einander von den langen Skitouren, die man am Wochenende absolviert hat, im Sommer bestimmen der Segeltörn, Strandaufenthalte oder Wanderungen das Gespräch.

Selbstverständlich gibt es jede Menge Norweger, die ihre Wochenenden und Feierabende vor dem Fernseher sitzend verbringen, aber das behält man dann lieber für sich. Im Arbeitsleben gilt es als selbstverständlich, dass junge Eltern später kommen und früher gehen, da sie ihre Kleinkinder in Kitas bringen und am Nachmittag wieder abholen müssen. Das Gros der norwegischen Kinder ist ab zwölf Monaten in betreuter Obhut, während die Mütter nach einem Jahr Babypause wieder zurück an die Arbeit gehen. Apropos Babypause: Wer als Mann etwas auf sich hält, nimmt mindestens drei, besser sechs Monate "Pappaperm", wie der Norweger sagt. Wer's nicht tut, gilt als rückständiger Macho. Und Macho sein ist in Norwegen ziemlich uncool.

Eine Besonderheit des norwegischen Arbeitslebens ist die verkürzte Sommerarbeitszeit. Meine Arbeitstage gehen von Juni bis August nur von 8 bis 15 Uhr. So können Arbeitnehmer die Zeit, wenn die Sonne fast ununterbrochen am Himmel steht, besser privat auskosten. Zudem legt man Wert auf soziale Geselligkeit und pfleglichen Umgang mit den Arbeitnehmern. In meiner Behörde gehören bezahlte Trainings, verbilligte Behandlungen beim Physiotherapeuten, ein Skitag, zweimal wöchentlich 15 Minuten Dehnungsgymnas­tik und Aerobic - das sind die sogenannten Energiepausen - und die wöchentliche Freitagskaffeerunde der Abteilung zum Wohlfühlpaket.

Die norwegische Arbeitskultur ist also in vielerlei Hinsicht Gegenpol zum Rest der Welt. Vielleicht hat das Land deshalb eine der höchsten Beschäftigungsraten weltweit. Obwohl die meisten Frauen arbeiten, hat Norwegen wegen seiner guten Betreuungsmöglichkeiten eine der höchsten Geburtenrate Europas. Einen Wermutstropfen gibt es jedoch: Auch hierzulande steigen die staatlichen Ausgaben für Krankheit am Arbeitsplatz und Berufsunfähigkeit ständig an und sind mehr als doppelt so hoch wie der OECD-Durchschnitt. Das bringt selbst den norwegischen Sozialstaat an seine Grenzen.

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