Im Dorf

Häppchen zum Ouzo

Die Moderne macht auch vor griechischen Dörfern nicht halt. Damit ändert sich auch eine einzigartige Institution: das Kafenion

Als ich ein Kind war, waren die heute so noblen nördlichen Vororte von Athen noch Dörfer. Im Sommer mieteten sich in Kifissia die Lungenkranken ein, um frische Luft zu atmen. Wenn heute die Autos in Maroussi durch unsere Straße düsen, kann ich mir nur mit Mühe die ungeteerte Landstraße in Erinnerung rufen, die einmal an unserem Haus vorbeigeführt hat. Sobald es dunkel wurde, schickte mich die Großmutter ins Kafenion am Ende der Straße, damit ich dem Großvater sagte, er solle kommen, das Essen sei fertig. Hinter der Glastür des Kafenions, dieses überkommenen Männertreffpunkts, hing der Rauch wie Nebelschwaden. Alle rauchten dort drinnen.

Man hörte nur das Klick-Klack der Spielketten und ab und zu einen Fluch, wenn sie beim Spielen verloren. Die Wirtin und ihre Tochter Virginia brachten die Häppchen zum Ouzo und leerten die Aschenbecher. In der Mitte des Raums brannte der Holzofen. Ich betrachtete die ineinandergesteckten Rohrteile, die durch die Decke hindurchgingen und den Rauch ausstießen. Schon von Kind an wollte ich reisen. Ich stellte mir vor, der Ofen wäre die Dampfmaschine der Eisenbahn und das Kafenion der Wagen. Und Virginia, die einen spiritusgetränkten Wattebausch durch die Ofentür warf, wäre die Lokomotivführerin.

Der Großvater vertrödelte die Zeit, er trank und spielte Karten. Die Häppchen rührte er nicht an. Ich stibitzte mal ein Stück Tomate von seinem kleinen Teller, mal etwas salzigen Käse, mal eine Olive. Ich saß da und wartete, bis er mit der Partie zu Ende war. Ich schaute auf seine Hände, die hart wie Leder waren, mit Schrunden. Die Nägel pechschwarz von der Erde. Mein Großvater war Blumenzüchter, er verkaufte Topfpflanzen auf Wochenmärkten. Manchmal rief mich Virginia zum Spielen. Hinter der Theke des Kafenions befand sich die verborgene Seite der Dinge: der Kühlschrank mit den Schokoladentafeln und dem Schafsjoghurt, der Mülleimer und die Gasflaschen. Eine blaue Flamme leckte an der Pfanne, in der die Eier brieten, an dem kleinen Stieltöpfchen, in dem der Kaffee aufschäumte.

Im Hinterzimmer lernten Virginia und ihre Geschwister für die Schule. Wenn wir da hineintraten, war bei mir das Bild mit dem Zug wieder weg. Dann dachte ich mir aus, wir hätten ein Kafenion, wir wären die Wirtsleute und würden den ganzen Tag lang von zu Hause in die Kaffeestube rennen. Im Kafenion wurde ich zur Autorin. Ich war acht, neun Jahre alt und lernte zu beobachten und mich in andere zu versetzen: Mal war ich der Wirt, mal seine Tochter, mal der stumme verzweifelte Mann, der seine Spielkette, das Komboloi, durch die Finger kreisen ließ und darauf wartete, dass es Nacht wurde. Die Männer hier, die Frauen zu Hause, die Welt komfortabel und klar. Archaisch.

Jahre später verliebte ich mich in ein anderes Kafenion, in Ai Giorgis auf Evvia war es. Auch dort ließ man mich in die kleine Küche und dabei zuschauen, wie man Wildspargel abkochte und Pita buk. Der Fernseher lief Tag und Nacht, er hatte den Ofen ersetzt. Alle Männer hatten die Zigarette im Mund, ihren Kaffee, ihren Ouzo, die Ingredienzien des Kafenion-Lebens. Sie starrten unbeteiligt und melancholisch auf die Blondinen in der Glotze.

Das Fernsehen ruinierte die Kafenions, wie es das soziale Leben in Griechenland ruinierte. Ich wäre geneigt zu sagen, es ruinierte alles, aber ich möchte nicht absolut sein. Die Männerkafenions in der Provinz ziehen jedes Mal meinen Blick an, sie sind mir viel lieber als die hochmodernen Cafés, auch noch aus einem anderen Grund: Sie saugen einen nach drinnen wie ein dunkles Herz, wie eine pulsierende Pumpe, deren Mechanismus man gern aus der Nähe betrachten möchte. Und während die modernen Sitzgruppen die Plätze von Städten und Dörfern überwuchern, lässt das Männerkafenion, so wie ich es gekannt habe, wieder den Großvater und seine Freunde auferstehen und mit ihnen eine Welt der Schweigsamkeit und der Besinnung, die meiner Meinung nach besser zu dem historischen Augenblick passt. Sollen wir dazu Krise sagen? Oder Trauer? Oder Ruin? Was immer wir dazu sagen, das Kafenion mit seinem Rauch, dem Schweigen und dem rhythmischen Hin und Her des Kombolois passt dazu.

Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand