Im Dorf

Der Eukalyptus-Krieg

Wie Dorfbewohner im Südosten Brasiliens die Zerstörung ihrer Heimat

An den Urwald kann sich der 32-jährige João Batista Guimarães nicht mehr erinnern. Seit er denken kann, ist sein Dorf von Eukalyptuspflanzungen und Zuckerrohrfeldern umgeben. Batista Guimarães lebt in Argelim, einem Quilombo in der Region Sapê do Norte im Südosten Brasiliens. „Quilombo“ nennt man in Brasilien eine Niederlassung von Menschen, deren Vorfahren einst aus der Sklaverei geflohen sind. Früher sollen, erzählt João Batista Guimarães, in Argelim 120 Quilombolas-Familien gelebt haben, heute sind es nur noch 30 bis 40.

Die Quilombolas, die Bewohner der Quilombos, bewahren in ihren Traditionen einen Teil des kulturellen und politischen Erbes des Landes. Heute sehen sie sich allerdings mit der sogenannten „Grünen Wüste“ konfrontiert. Sie ist eine der negativen Folgen der Eukalyptus-Monokulturen. Batista Guimarães erzählt, dass seine älteren Verwandten miterlebten mussten, wie der Papier- und Pappehersteller Aracruz Celose in die Region kam und der einst so dichte Urwald nach und nach den Plantagen wich. Der Boom des Eukalyptusanbaus wirkte sich jedoch auch auf die einheimische Umwelt aus. Einst fruchtbare Äcker sind durch Agrochemikalien vergiftet, Böden und Gewässer ausgetrocknet. Mit ihren langen Wurzeln saugen die Eukalyptusbäume den Grundwasserspeicher regelrecht aus und bedrohen so die Artenvielfalt der Landschaft. Eukalypten stammen ursprünglich aus Australien und Indonesien. Die schnell wachsenden immergrünen Bäume werden aufgrund ihrer Holzqualität geschätzt. Ihr Anbau hat Argelim jedoch nachhaltig verändert. Batista Guimarães’ Siedlung wurde einst von einem breiten Fluss in zwei Hälften geteilt: „Der Fluss führt heute viel weniger Wasser, sein Bett ist nur noch fünf Meter breit. Die Lagune, in der früher alle angelten, ist sogar schon ausgetrocknet, weil dort Eukalyptus angepflanzt wurde“, klagt er.

Die Zerstörung des Urwalds, der charakteristisch für die brasilianische Atlantikküste war, führte dazu, dass die Menschen ihre althergebrachten Tätigkeiten des Jagens und Sammelns und die traditionellen Anbaumethoden nicht mehr ausüben können. Vor der Ankunft des Eukalyptus ernährten sich die Gemeinschaften laut einer Studie der Escola Quilombola de Educação Política e Ambiental von unterschiedlichen Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, die sie vor Ort selbst anbauten oder sammelten. Sie fingen auch noch Fische und gingen auf die Jagd.

Marcelo Calazans vom Umweltnetzwerk Rede Deserto Verde erklärt, dass die neuen Anbaumethoden einen Bruch mit der traditionellen Ernährungsweise mit sich brachten und die Armut in der Region vergrößern. „Was die Quilombolas aus Sapê do Norte in den vergangenen 40 Jahren durchmachen mussten, ist der Gewalt eines diktatorischen Staates geschuldet, der sie aus ihrem angestammten Gebiet vertrieben hat“, sagt Calazans. 1968, mitten in der Militärdiktatur, ließ sich Aracruz Celose in der Region nieder. Der Konzern war ohne Rücksicht auf die örtliche Bevölkerung zu allem bereit, was das Wirtschaftswachstum steigern könnte.

Damals lebten 12.000 Quilombolas-Familien in Sapê do Norte. 90 Prozent von ihnen wurden nach und nach gezwungen, die Region zu verlassen. Die ältesten Bewohner erzählen, dass dies auf zwei Weisen geschah: durch direkte körperliche Gewalt und durch Manipulation. Die schmutzige Arbeit verrichtete ein Leutnant, der bewaffnet mit einem Jeep durch die Gebiete fuhr, die Pflanzungen zerstören und die Behausungen verbrennen ließ. Die andere Strategie bestand darin, dass sich ein Schwarzer, der wie das brasilianische Fußballidol „Pelé“ genannt wurde, das Vertrauen der Quilombolas erschleichen sollte. Seine Aufgabe bestand darin, die Quilombolas davon zu überzeugen, dass es besser für sie sei, in die Stadt zu ziehen. Batista Guimarães erzählt, dass Aracruz Celose mittlerweile überzeugt sei, die Anbauflächen gehörten dem Unternehmen. Doch Untersuchungen der Universidade Federal do Espírito Santo (Ufes) zeigen, dass die Quilombolas in dem Bundesstaat Espírito Santo Anrechte auf 50.000 Hektar Land haben. Dennoch ist bisher der größte Teil davon in den Händen des Papier- und Pappeherstellers verblieben.

Argelim ist eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde, deren Haupterzeugnis bis dato Maniokmehl war. Maniok ist eine Pflanze, die wegen ihrer stärkehaltigen Wurzeln schon lange in Südamerika angebaut wird und aus deren Knollen Mehl hergestellt wird. Das in Argelim hergestellte Mehl deckte den Bedarf der Gemeinde. Doch dann führte der Staat neue Produktionsnormen ein, deren Einhaltung für die meisten Familien zu teuer war. „Die moderne Landwirtschaft hat sich anders als unser traditioneller Anbau entwickelt. Wir sahen, dass unsere Anpflanzungen und die Nahrungsmittelsicherheit auf einmal bedroht waren“, erzählt Batista Guimarães.

In dieser Situation begannen viele Familien, die ihr Überleben in Argelim sichern wollten, damit, die bei der Eukalyptusholzproduktion anfallenden Reste zu sammeln und zu verbrennen, um Holzkohle herzustellen – eine Arbeit, die weder der Gesundheit der Arbeiter noch der Umwelt zuträglich ist. „Wenn es noch irgendwo ein Stück Wald in Sapê do Norte gibt, dann dank der Gemeinden, die sich für seinen Schutz zusammenschließen“, sagt Batista Guimarães.

Diese neuen Zusammenschlüsse gaben den Menschen Hoffnung – sie entschlossen sich, gegen den Raubbau an ihrem Land vorzugehen. Batista Guimarães erinnert sich: „Die Arbeiter von Aracruz hatten die Eukalyptusbäume gefällt und wir nutzten die Gelegenheit, um das Land zu besetzen. Ein großer Teil unserer Gemeinde nahm daran teil. Wir kamen morgens und begannen gleich mit unseren eigenen Anpflanzungen“, beschreibt er die Szene, die sich 2009 abspielte. 35 Hektar eigneten sich die Quilombolas wieder an. Sie pflanzten auf dem Land Wassermelonen, Ananas, Kürbis, Bananen, Mais, Bohnen und Maniok an. Letzterer ist immer noch der wichtigste Bestandteil der Ernährung der Quilombolas. „Unsere kleine Gemeinschaft ist gut organisiert, aber wir hatten auch Angst. Andere hatten vorher sehr schlechte Erfahrungen gemacht. 2007 versuchte die Gemeinde von Linharinho sich ihre Ländereien wieder anzueignen, aber ihre Aktion hatte keinen Erfolg, weil dabei das Eigentum des Unternehmens zerstörte wurde. Aracruz Celose schaltete die Polizei und die Militärpolizei ein und es gelang der Firma, die Besetzung rückgängig zu machen“, erinnert er sich. „Wir setzten dagegen auf eine andere Taktik. In Argelim gingen wir erst auf die Felder, als diese wieder brachlagen“, erklärt Batista Guimarães.

Neben der im Kollektiv betriebenen Landwirtschaft hebt Batista Guimarães hervor, dass in Argelim die „Casas de Farinha“, die traditionellen Produktionsstätten für Maniokmehl, wieder in Betrieb genommen worden sind. „Die Produktion ist hauptsächlich für den lokalen Verbrauch bestimmt, aber einige Familien verkaufen ihr Mehl auch auf den regionalen Märkten“, erzählt er. So befindet sich das traditionelle Wissen der Quilombolas seit einigen Jahren im Austausch mit der Ökologischen Landwirtschaft, die bewusst auf den Einsatz von Giften verzichtet und auch die hohe Konzentration von Ackerland und Monokulturen ablehnt.

Die Besetzungsaktion hat auch das Selbstbewusstsein der Gemeinschaft gestärkt. „Die meiste Zeit wurde das Leben auf dem Feld gering geschätzt – auch von uns selbst. Jetzt finden die Menschen wieder Geschmack daran, auf dem Land zu sein und dort zu leben. All das, was von den Ältesten getan wurde, hat wieder einen besonderen Sinn für uns: die Art und Weise den Boden zu behandeln, die richtige Zeit für den Anbau abzuwarten, die Berücksichtigung der Mondphasen. Das sind Techniken, die man nicht an der Universität lernt“, sagt Batista Guimarães. Fragt man Marcelo Calazans vom Umweltnetzwerk Rede Deserto Verde, warum das Unternehmen die Pflanzungen der Gemeinschaft von Argelim nicht zerstören lässt, führt er mögliche Imageschäden für den Konzern an. Denn der Kampf der Quilombolas für ihre Rechte wird in der brasilianischen Gesellschaft zunehmend anerkannt. Von den ersten Quilombolas in der Region im 19. Jahrhundert bis zu dem Augenblick, in dem sie sich ihre Felder wieder aneigneten, verloren sie kontinuierlich Land. Deswegen haben die Besetzungen einen großen Wert. „Damit ändert sich zwar im juristischen Sinne nichts an den Besitzverhältnissen“, räumt Batista Guimarães ein, „aber für uns stellen sie einen großen Sieg dar.“

Aus dem Portugiesischen von Timo Berger