Politik | International

Politainment für alle

Arun Chaudhary machte sich einen Namen als Barack Obamas „First Cameraman“. Heute berät er Parteien in vielen Ländern bei ihren Digitalstrategien. Ein Gespräch über den schmalen Grat zwischen Authentizität und Show
Politikberater Arun Chaudhary trägt eine schwarze Sonnenbrille, die er mit der rechten Hand leicht anhebt. Seine Augen sind durch die dunklen Gläser der Brille verdeckt

Für Arun Chaudhary ist Entertainment das wichtigste Mittel, um Menschen dazu zu bewegen sich mit Politik zu beschäftigen

Das Interview führte Kai Schnier

 

Herr Chaudhary, auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs in den USA habe ich eine Gesprächsrunde mit unentschlossenen Wählerinnen und Wählern auf CNN angesehen. Dort wurde eine Frau gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Donald Trump für eine zweite Amtszeit zu wählen. Sie sagte: „Man kann über seine erste Amtszeit sagen, was man will, aber unterhaltsam war sie.“ Betrachten viele Menschen Politik nur noch als Form der Unterhaltung?
Da ist sicher etwas dran. Unter anderem deshalb gibt es immer mehr Leute wie mich: politische Kreativdirektoren, die durch die Welt reisen und versuchen, Wahlkampfmanagern zu vermitteln, dass ihre Kampagnen unterhaltsamer sein müssen. Es gibt aber trotzdem auch immer noch Menschen, die sich von Politikern  und Politikerinnen wünschen, dass sie weniger den Entertainer spielen und sich stattdessen darauf konzentrieren, die Steuern zu senken.

Dass die Politik immer mehr Unterhaltungscharakter aufweist, hat in meinen Augen einen anderen Grund: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen gegenüber Institutionen wie den Medien misstrauischer werden. Die Politik verliert stark an Glaubwürdigkeit. Da ist Entertainment unser bestes – und vielleicht einziges – Mittel, Menschen zu bewegen sich anzuhören, was Politiker und Politikerinnen zu sagen haben.

„Wir wollen die Leute unterhalten und so erreichen, dass sie überhaupt bereit sind, uns zuzuhören“

Würden Sie sagen, dass polarisierende politische Werbung nötig ist, um die Leute aus ihrer Gleichgültigkeit herauszuholen? Ich denke an Spots der Republikaner, in denen Kamala Harris als „Radikale“ hingestellt wird.
So weit würde ich nicht gehen. Wenn ich Wahlkampfmanager dazu berate, wie ihr Spot die Leute zum Lachen bringt oder eine Emotion weckt, dann ist das Ziel erstmal nicht, dass Menschen anfangen, sich für Politik zu interessieren. Im ersten Schritt geht es um etwas viel Kleineres: Wir wollen die Leute unterhalten und so erreichen, dass sie überhaupt bereit sind, uns zuzuhören. Wenn sie sich die Tränen, die sie gelacht oder geweint haben, wegwischen, sagen sie vielleicht: „Okay, jetzt erzähl mir, was in deinem Programm steht, jetzt höre ich dir zu!“ Das ist das Maximum, was wir uns in der digitalen Welt erhoffen können.
Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass ein Wechselwähler in Wisconsin im ganzen Wahlkampf vielleicht nur einen einzigen Spot von uns sieht. Dann müssen wir diese eine Chance nutzen. Aber das gelingt nicht, indem wir über Politik reden. Im Gegenteil: Sobald Wählerinnen und Wähler merken, dass es sich um einen politischen Spot handelt, verlieren sie das Interesse. Deshalb führt der Weg über die Unterhaltung – und anschließend kann man den politischen Inhalt platzieren.

Das klingt nach einem sehr pragmatischen Marketingkonzept. Aber führt das nicht dazu, dass die Menschen eine verzerrte Wahrnehmung von Politik haben? Politik ist ja schließlich nicht unterhaltsam, sondern langwierig und komplex.
Theoretisch betrachtet haben Sie recht. Was wir mit politischen Kampagnen machen, ist, kurzfristige Lösungen anzubieten – sozusagen den Zuckerrausch. Inzwischen bestehen viele Kampagnen nur noch aus Zuckerguss, ohne den Kuchen.

Man könnte mir fast vorwerfen, dass ich zu dieser Entwicklung beigetragen habe, weil ich im Wahlkampf 2008 Barack Obama mit meinen Videos zu einer Art Ikone stilisiert habe. Das hat aber auch bewirkt, dass die Menschen Politik wieder richtig spannend fanden. Sie wünschten sich eine authentische, außergewöhnliche Persönlichkeit als Präsidenten, und das haben wir bedient.

Nach Obamas Amtszeit ergab sich allerdings ein Problem, denn er war wirklich besonders charismatisch. Wir brauchten als Wahlkampfteam nichts weiter tun, als ihn sein Ding machen zu lassen und mit der Kamera hinterherzulaufen. Daran anzuknüpfen ist für heutige Kampagnen schwer, weil nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten so charismatisch sind wie er. Ich vermute, dass wir in gewisser Weise auch deswegen bei Donald Trump gelandet sind. Der ist zumindest ein zuverlässiger Entertainer.

„Niemand treibt die Umwandlung der Politik in ein Spektakel so stark voran wie die Medien“

Ich habe den Eindruck, dass die Entwicklung hin zum „Politainment“ nicht nur durch die Kampagnen befeuert wird, sondern auch durch die Medien, die stark davon profitieren, wenn sie Wahlen wie ein Sportevent verkaufen.
Das stimmt sicherlich. Niemand treibt die Umwandlung der Politik in ein Spektakel so stark voran wie die Medien. Für sie ist die Politik ein Wachstumsmarkt. Mehr Nachrichten und mehr Spannung bedeuten mehr Geld. Solange die großen Sender von den Kräften des Kapitals dominiert sind, werden sie maximale Aufregung erzeugen. Die amerikanische Medienlandschaft hat darin eine Vorreiterrolle, weil sie stark durch Konzerninteressen geprägt ist und es keine öffentlich-rechtlichen Sender gibt. Deshalb lieben die Sender die Eskapaden von Donald Trump und interessieren sich bei Wahlen manchmal mehr für den Unterhaltungsfaktor als für die politischen Inhalte. Diese Tendenz beobachte ich allerdings auch in Europa: Der aufmerksamkeitsheischende Stil der politischen Berichterstattung in den USA schwappt auch hier herüber.

Als jemand, der an der Schnittstelle von politischen Kampagnen, Film und Werbung arbeitet, finden Sie diese Entwicklung sicher nicht nur schlecht. Wo sehen Sie die positiven Seiten dieser Symbiose von Entertainment und Politik?
Toll finde ich, dass wir auf diesem Weg eben nicht nur kurzlebige politische Erfolge erzielen, sondern neue positive Energien erzeugen können – und damit auf lange Sicht zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Ein Beispiel waren die Wahlen in Frankreich im Sommer 2024. Auch das Ergebnis in Polen 2023, wo die PiS-Partei ihre Parlamentsmehrheit verlor, hat das gezeigt.

Ich habe den Eindruck, dass die Mitte-Links-Kräfte allmählich begreifen, dass sie nicht zuschauen dürfen, wie Rechtspopulisten die Leute durch Kampagnen begeistern, wie sie erfolgreich Community-Building betreiben und TikTok für ihre Zwecke nutzen. Wenn man in Österreich zu einer FPÖ-Kundgebung, in Deutschland zu einer AfD-Veranstaltung oder in Italien zu einem Event der Lega Nord geht, sieht man, dass diese Parteien ihre Sache gut machen: Sie bieten Musik, Essen und Entertainment und führen die Menschen so an ihre Politik heran.

Im Vergleich dazu wirkt die Linke oft verbissen und diskutiert stattdessen, wie sie vor dem Mittagessen noch schnell die Krim, Russland und den Kapitalismus in Ordnung bringen kann. Aber mittlerweile erkennen auch progressive Kräfte, dass ein gewisses Maß an Spaß und Unterhaltung dazugehört. Und dass sich daraus so etwas wie ein neuartiges Gemeinschaftsgefühl entwickeln kann, war in den USA intensiv zu spüren, als der Wahlkampf von Kamala Harris anlief.

Lag das an ihrer Wahlkampfstrategie oder daran, dass es plötzlich eine jüngere und dynamischere Kandidatin gab?
Ich glaube, Kamala Harris’ Wahlkampfteam hat auch verstanden, dass Memes und Humor nicht nur schlecht sind und dass sie die Kandidatin ihrem politischen Ziel  näherbringen können. Kamala Harris und Tim Walz haben in dieser Hinsicht fast alles richtig gemacht, als sie Donald Trumps Kampagne mit ihrer »Weird«-Strategie gekontert haben und ihn als „schräge“ Witzfigur hingestellt haben.

Wie ist ihnen das gelungen?
Eine gute Idee ist es schon mal, Menschen wie Donald Trump oder Giorgia Meloni nicht auf einer inhaltlichen, sondern auf der persönlichen Ebene anzugreifen. Noch besser wäre gewesen, wenn man gesagt hätte: „Die stehen auf schräges Zeug“, statt sie selbst als „schräg“ zu bezeichnen. So greift man sie nicht direkt an, sondern sät bei ihren Sympathisanten Zweifel, sodass die sich vielleicht fragen: Warum redet Donald Trump bei seinen Auftritten eigentlich über Hannibal Lecter? Warum erzählt Giorgia Meloni, sie wolle eine Folge der Serie „Peppa Wutz“ verbieten lassen, weil darin ein lesbisches Pärchen vorkommt, und redet nicht über meine echten Probleme? Das ist wirkungsvoll und gleichzeitig witzig – und viel besser als Populisten als das Böse hinzustellen.

„Die Erkenntnis, dass wir als progressive Kräfte bei vielen Menschen Ängste erzeugen, während die Rechten die Fröhlichen sind, sollte uns wachrütteln“

Am Ende hat aber doch Donald Trump gewonnen. Sein Vorsprung war sogar überraschend groß, wenn man bedenkt, dass sein Wahlkampf diesmal nicht besonders energisch wirkte. Was haben die Demokraten Ihrer Meinung nach falsch gemacht?
Einiges ähnelt dem, was viele große Mitte-Links-Parteien machen, auch in Deutschland. Sie wenden sich an die Rechte (zum Beispiel an Leute wie Liz Cheney). Für die Menschen, die sie damit überzeugen wollen, ist das unglaubwürdig, während sie gleichzeitig ihre wahren Unterstützerinnen und Unterstützer verprellen. Was die Medienhalte angeht, hat das Team von Kamala Harris vieles produziert, das authentisch in der Sprache der Digital Natives rüberkam, aber für Menschen, die sich damit nicht so auskennen, befremdlich und verwirrend war.

Im Gegensatz dazu hat Trump eine relativ einfache und „inklusive“ Kampagne geführt, in einer Sprache, die für jeden verständlich ist. Sein Team veröffentlichte kurze Videos nur mit O-Ton und einem Einzeiler: Dabei sah man eine Familie, die ihr Abendessen genießt, oder eine Kellnerin, die ihr ganzes Trinkgeld behält – alles dank Trump. Dann einen Gaszähler, der in die Höhe schnellt – nur wegen Kamala Harris.

Und während die Demokraten Donald Trump mit dem Faschismus-Argument hart angriffen, schaltete der einen abschließenden Spot mit dem Titel „Together“. Er selbst kommt darin kaum vor, stattdessen spricht Tulsi Gabbard über Frieden, Robert F. Kennedy Jr. über Gesundheit und Elon Musk über Innovation. Die Botschaft war klar: „Was immer Sie getan haben, was immer Ihr Problem ist: Sie verdienen es, geliebt zu werden, und diese Bewegung liebt Sie.“

Die Erkenntnis, dass wir als progressive Kräfte bei vielen Menschen Ängste erzeugen, während die Rechten die Fröhlichen sind, sollte uns wachrütteln.