Tindern in Afghanistan

Die Dating-App Tinder zeigt im Umkreis von einigen Kilometern Menschen auf Partnersuche an - auch in Afghanistan
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Vor einem Jahr im September – einem über die Zeit volljährig gewordenen Traum folgend – reiste ich in ein Land, das ich so lange schon leidenschaftlich und liebevoll aus der Ferne betrachtet hatte: Afghanistan.
Die Gefährlichkeit dieser Reise im Bewusstsein, wurde mir schnell klar, dass eine gesunde Vorsicht vor Ort nicht automatisch in Fleisch und Blut übergeht, wenn man sie – anders als die umsichtigen Afghanen – daheim in Europa nicht in diesem Ausmaß im Alltag benötigt. Ich entspannte mich gleich nach den ersten Stunden in Kabul. Neugier und Entdeckungslust waren stärker.
„Ich wurde übermütig genug, die Dating-App Tinder zu öffnen, die mir liebeshungrige Männer vorschlägt“
Ich wurde sogar übermütig genug, die Dating-App Tinder zu öffnen, die mir im Umkreis von einigen Hundert Kilometern liebeshungrige Männer vorschlägt. Die meisten davon Angestellte des US-Militärstützpunktes Bagram. Die Profile zeigten muskelbepackte Typen in Camouflage, Insassen eines riesigen, eingezäunten Sportstudios, die nach mehreren Monaten Aufenthalt dort mit einem stattlichen Körper und einem ebenso stattlichen Sold ausgestattet sein würden. Bagram beherbergt etwa 20.000 Beschäftigte sowie den zweieinhalb Kilometer langen Disney Drive mit amerikanischer System-Gastronomie. Niemand darf die abgeriegelte Kleinstadt für touristische Ausflüge verlassen. Unbefugte haben keinen Zutritt.
In Europa ist Tinder Türöffner und Mittel zum Zweck. Der wiederum ist eindeutig. Aber hier? Es kann nicht um potenziell persönliche Treffen gehen. Ziel ist demnach verbal-erotischer Zeitvertreib und Ego-Petting.
Aber es gibt auch ein paar neugierige Afghanen, die die App nutzen. Und die unterscheiden sich in ihrer Ansprache nicht von den westlichen Profilinhabern. Unwanted Dick-Pics inklusive. Im Unterschied zu ihren amerikanischen Geschlechtsgenossen im Militärstützpunkt können sich die afghanischen Männer allerdings recht frei bewegen und eine potenzielle Gespielin zum Beispiel in einem der vielen Teehäuser treffen: vor neugierigen Blicken geschützte Pavillons innerhalb weitläufiger Parks, die eine gewisse Privatsphäre erlauben.
Einen afghanischen Tinder-Nutzer zu treffen habe ich mich am Ende nicht getraut. Ganz im Sinne meines Reisebegleiters Gul, der selbst beim Eisschlecken in Herat immer auf der Hut war und mich mit einer Geste – einen Zentimeter zwischen Daumen und Zeigefinger lassend – daran erinnerte, dass es zu keinem Zeitpunkt ungefährlich hier sei: „There is always a little bit of kidnapping around.“