„Im Dorf ist bekannt, wer gerade menstruiert“

Surekha has climbed a tree and is eating a fruit. In some areas of Nepal, women are prohibited from touching trees or eating their fruits during their period
Frau Contreras Coll, wie kam es zu der Idee für Ihr Fotoprojekt in Nepal?
Seit ich selbst das erste Mal meine Periode hatte, habe ich den Eindruck, dass es eine Menge Fehlinformation zu dem Thema gibt. Menstruation ist auch bei uns in der westlichen Welt ein großes Tabu: Als Kind wird man ausgelacht, wenn man seine Tage hat, und in der Werbung wird sie als blaue Flüssigkeit dargestellt.
2015 las ich in einem Zeitungsartikel, dass Frauen in Nepal als unrein gelten und isoliert in Hütten schlafen müssen, wenn sie menstruieren. Das schockierte mich. Ich recherchierte und beschloss, nach Nepal zu fahren und diese Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Sie verbrachten dann ein Jahr dort. Was haben Sie erlebt?
Ich traf zum Beispiel die Frauenrechtsaktivistin Radha Paudel, die sagte: „Es ist wichtig, den Chhaupadi-Brauch zu zeigen. Aber genauso sollen die Menschen wissen, dass wir etwas verändern.“ Ich besuchte auch mit lokalen NGOs mehrere Dörfer im Westen Nepals.
Im Dorf ist immer bekannt, wer gerade menstruiert. Wir fragten also herum und ich interviewte und fotografierte die Frauen. Als ich einmal mit einer menstruierenden Frau in ihrer Hütte gewesen war und sie berührt hatte, sollte ich danach Rinderurin trinken, um mich wieder zu reinigen. Doch das hat mich nicht wirklich überrascht. Durch meine Recherchen war ich gut vorbereitet.
„Ich fühle mich gar nicht unrein. Ich fühle mich genauso wie vorher“
Auf den Fotos ist ein Mädchen zu sehen, das Sie fotografisch begleiteten, als es zum ersten Mal seine Periode hatte ...
Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach dem Moment, der alles verändert: die erste Menstruation. Vorher gelten Mädchen als göttlich, sie werden in einigen Ritualen als reinigende Figur eingesetzt. Und dann gibt es diesen einen Tag, an dem sich ihr Leben schlagartig ändert. Ich fragte lange herum, bis ich schließlich den Anruf einer NGO bekam.
In einem der Dörfer hatte ein Mädchen seine erste Periode. Ich fuhr hin und traf Surekha. Ich dokumentierte ihren Alltag, ihre Zeit in der Hütte in Isolation. Wir sprachen darüber, wie es ihr ging. Am meisten berührte mich, als sie sagte: „Ich fühle mich gar nicht unrein. Ich fühle mich genauso wie vorher.“
Woher kommt der „Chhaupadi“- Brauch?
Im Hinduismus gilt die Menstruation als Strafe der Götter für die Sünden der Frau. Deshalb dürfen menstruierende Frauen keine Tempel betreten, keine Speisen und kein Wasser berühren und müssen sich von anderen fernhalten. Chhaupadi ist vor allem in ländlichen Regionen verbreitet, aber das Stigma gibt es überall. Durch Aufklärungsarbeit von Frauen spricht sich jedoch nach und nach herum, dass nichts passiert, wenn man die Tradition nicht befolgt, dass die Blutung ein natürlicher Teil des Körpers ist.
Das Interview führte Leonie Düngefeld