Lebenswege | Sachsen

Handwerk im Museum

Hebamme oder Schauspielerin wollte sie werden, dann zog es sie aber doch zu den Geisteswissenschaften. Der Weg einer Museumsdirektorin
Die Museumsdirektorin Léontine Meijer-van Mensch steht vor einem Tisch in einem dunklen Raum. Sie stützt sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab. Vor ihr liegen vier schwarz weiß Bilder auf dem Tisch.

Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen Léontine Meijer-van Mensch

Ich wurde 1972 in Hilversum in den Niederlanden geboren, gefühlt wie ein Vorort von Amsterdam. Mein Vater hatte eine Anstellung beim niederländischen Fernsehen. Ich bin mit zwei Schwestern und einem Bruder aufgewachsen und war das Nesthäkchen.

Es kam vor, dass mein Vater mich mit in den Sender nahm. In der Kostümabteilung durfte ich Kleider und Hüte probieren, in diesem Raum lag ein Zauber. Und wir hatten eine Nachbarin, eine Vortragskünstlerin, auch bei ihr war ich gerne. Ich hörte ihr zu, wie sie Gedichte rezitierte oder Monologe hielt. Diese kreative, linke und gewerkschaftsnahe Atmosphäre hat mich geprägt.

Meine Eltern nahmen mich oft mit ins Tropenmuseum. An den Geruch erinnere ich mich, denn darin war ein afrikanischer Markt mit Gewürzen aufgebaut. Wenn ich koche, denke ich deshalb manchmal daran.

Ins Museum musste man mich nicht zwingen, die Ausstellungen waren schon damals auf Kinder zugeschnitten. In Deutschland höre ich oft Sätze wie: „Ich arbeite in der Bildung und Kunstvermittlung, aber bin eigentlich Kunsthistorikerin.“ Das klingt immer, als ob es, wenn es um Kinder geht, nur um Vereinfachung ginge.

Wissenschaft wird in Deutschland wahnsinnig wichtig genommen, Jahre später spricht man noch über Abiturnoten. In den Niederlanden ist die Gesellschaft gleicher. Ich war auf einer Gesamtschule, da ging es stärker um das Miteinander und die Suche nach Konsens.

„Mir gefiel Hannah Arendts Lust an der Provokation und dass sie rauchte“

Mit 17 habe ich Hannah Arendt gelesen. Mir gefiel ihre Lust an der Provokation und dass sie rauchte. Eine Zeit lang wollte ich Hebamme oder Schauspielerin werden. Aber dann wurde mir klar, dass meine Energie in die Geisteswissenschaft gehen sollte. Meine Eltern haben mir viel Freiheit gegeben, sie vertrauten mir, auch wenn ich als Jugendliche eine Weile in Schwarz herumlief und mein Gesicht mit Kohlestiften bemalte.

Mit meinem Geschichtsstudium begann ich in Amsterdam und studierte dann für ein Jahr in Jerusalem, weil ich etwas von meiner jüdischen Herkunft verstehen wollte. Das Wohnheim dort war nach Nationalitäten eingeteilt.

Ich kam zu den Deutschen und war wirklich beleidigt, schließlich war ich Niederländerin. Aber ich bemerkte schnell, dass die Frauen mit ähnlichen Fragen beschäftigt waren. Fragen danach, wer man ist, was einem die Vergangenheit bedeutet, wie man sich zu ihr verhält. Mit vielen dieser Frauen bin ich heute noch befreundet, und damals waren sie ein Grund, nach Berlin zu gehen.

Dort wollte ich ein halbes Jahr bleiben, es wurden zehn. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über jüdische Intellektuelle und ihre Suche nach sich selbst. Die deutsche Sprache wiederum habe ich mir über die Literatur erschlossen, über die Bücher von Monika Maron und Christa Wolf, auch Paul Celan.

1999 stieß ich auf einen Aufbaustudiengang Kulturmanagement in Frankfurt/Oder und belegte Museologie. Das Collegium Polonicum lag in Słubice, so lernte ich Polnisch, die Masuren und die Tatra kennen, auch die Kultur, die Filme von Krzysztof Kieślowski etwa.

Bewegt hat mich, wie zerstört das Land nach dem Zweiten Weltkrieg war und wie stolz die Polen auf den Wiederaufbau sind. Einer meiner Dozenten hatte in Eisenhüttenstadt das Museum für DDR-Alltagskultur aufgebaut. Er hat mir die Welt des Museums gezeigt, er war sehr innovativ. Für eine Ausstellung etwa musste ich einmal Spreewaldgurken inventarisieren. Diese Kombination aus Handwerk und intellektueller Arbeit im Museum hat mir immer gefallen.

„Ich träume davon, meine Stelle mit jemandem zu teilen oder zu tauschen, aus Afrika zum Beispiel“

2000 bewarb ich mich am Jüdischen Museum in Berlin, das unter dem Neuseeländer Ken Gorbey aufgebaut wurde. Gorbey sagte, dass ihm, weil er weder Deutscher noch Jude war, alle Fragen erlaubt waren.

Als Vorgesetzte denke ich heute oft daran, das heißt ich kümmere mich um Netzwerke, knüpfe Allianzen, suche nach Drittmitteln. Und den Experten lasse ich ihre Rolle als Spezialisten. Außerdem habe ich als Kind gelernt, Menschen zu „lesen“, was daran lag, dass es in meiner Familie psychische Erkrankungen gab. Auch diese Erfahrung hilft mir als Vorgesetzte und Direktorin der drei Museen, die ich heute in Sachsen bin.

Schmerzhaft war für mich, dass ich keine Kinder bekommen konnte. Heute höre ich zwar ein melancholisches Summen in mir, aber es tut nicht mehr so weh. Das hätte ich nie gedacht. Ich sage mir, dass ich dafür viel reisen konnte, und ich träume davon, meine Stelle mit jemandem zu teilen oder zu tauschen, aus Afrika zum Beispiel, dann könnte ich dort für drei Monate leben. Das wäre sehr bereichernd und für ethnologische Museen ein Weg in die Zukunft.

Protokolliert von Stephanie von Hayek