Mit Büchern gegen die Zensur
Der Buchhändler wurde in China inhaftiert, weil er politische Bücher verkaufte. Über ein Leben im Widerstand

Der Buchhändler Lam Wing-kee in Taipeh
Foto: Gundula Haage
Herr Lam, 1994 gründeten Sie den Buchladen Causeway Bay Books in Hongkong. Was war das Besondere an diesem Laden?
Ich liebe Bücher. Es war schon immer mein Traum, einen eigenen Buchladen zu besitzen. Und seit 1989 die Studentenproteste auf dem Tian’anmen-Platz in Peking niedergeschlagen wurden, habe ich nach Wegen gesucht, meine politische Meinung auszudrücken. Deshalb habe ich politische Bücher in meinem Laden verkauft. Viele davon sind in China verboten, weil sie die politische Lage kritisch beleuchten oder vom Privatleben hoher Politiker handeln.
War es gefährlich, in Hongkong solche Bücher zu verkaufen?
Am Anfang nicht. Bis 1997 war Hongkong ja noch britisches Protektorat, da gab es echte Pressefreiheit. Aber dann wurde Hongkong zur Sonderverwaltungszone Chinas und damit wurde die Lage bedrohlicher.
Wie hat sich diese Bedrohung gezeigt?
Kritik an China wurde nicht mehr gern gesehen. Wirklich schwierig wurde es ab 2013. Damals definierte Staatschef Xi Jinping sieben Themen, über die man nicht sprechen darf, darunter auch Themen wie die freie Meinungsäußerung und historische Fehler der Kommunistischen Partei. Damit hat er sehr deutlich gemacht, dass er alle gegenwärtigen Freiheiten in Hongkong zunichtemachen möchte.
Im Herbst 2015 wurden kurz nacheinander Sie und vier Mitarbeiter des Buchladens entführt und in China eingesperrt. Wie erinnern Sie sich heute an diese Zeit?
Ich wollte sterben. Das war der einzige Gedanke, der mir ununterbrochen durch den Kopf gezogen ist. Nach acht Monaten stand ich vor der Entscheidung: Entweder ich kooperiere mit der chinesischen Regierung, oder ich bleibe in Gefangenschaft. Letzteres hätte bedeutet, dass ich mich umbringe.
Was waren die Bedingungen, um freizukommen?
Ich musste ein Schuldgeständnis vorlesen, dass ich verbotene Bücher nach China importiert hätte. Das wurde im Fernsehen übertragen. Danach sollte ich nach Hongkong zurückkehren und Informationen aus dem Buchladen, wie etwa Kundenlisten an China aushändigen. Das habe ich nicht getan. Ich bin in Hongkong untergetaucht.
Unmittelbar nach Ihrer Rückkehr haben Sie als Einziger öffentlich über Ihre Entführung gesprochen. Warum?
Ich musste einfach die Wahrheit aussprechen: Dass ich unrechtmäßig entführt und zu dem Geständnis gezwungen wurde. Meine Kollegen, die auch entführt wurden, haben alle Familienmitglieder in China. Ich musste mich nicht im gleichen Maß zurückhalten. Zum Zeitpunkt der Festnahme hatte ich auch eine Partnerin, auch sie wurde drei Monate gefangen gehalten. Seit man sie freigelassen hat, habe ich sie nicht mehr gesehen. So ist das.
Wie stehen Sie zu den derzeitigen Protesten in Hongkong?
Ich unterstütze sie sehr. Der Auslöser der Proteste war ja das geplante Auslieferungsgesetz. Dieses Gesetz hätte Hongkong dazu verpflichtet, von China gesuchte Personen auszuliefern. Niemand in Hongkong wäre mehr sicher, wenn es ein solches Gesetz gäbe. Alle müssten mit der Angst leben, jederzeit nach China geschickt zu werden. Zu Beginn der Proteste konnte ich nicht ahnen, was passieren würde, darum habe ich einen Antrag auf Asyl in Taiwan gestellt, wo ich jetzt lebe.
Arbeiten Sie immer noch mit Büchern?
Ja. Ich habe in Taipeh ein Start-up gegründet und innerhalb von wenigen Tagen fünf Millionen Taiwan-Dollar zusammenbekommen, was 150.000 Euro entspricht. Mit diesem Geld möchte ich nun einen neuen Buchladen eröffnen, der die gleichen Ziele verfolgt wie mein erster Laden: mit Büchern über das Verhältnis zwischen China, Hongkong und Taiwan aufzuklären. In Taiwan ist das kein Problem. Ich kann alle Bücher verkaufen, die mir in den Sinn kommen.
Was wurde aus Ihrem ehemaligen Buchladen in Hongkong?
Es gibt ihn nicht mehr. Die Kommunistische Partei hat die Ladenfläche aufgekauft und lässt sie jetzt einfach leer stehen. Es ist ein trauriger Anblick.
Das Interview führte Gundula Haage