Alter

Die Hundertjährigen von Ikaria

Wie Menschen altern, wird von ihren Genen bestimmt und von ihren Lebensumständen. Andrea Frazzetta hat Hundertjährige auf der griechischen Insel Ikaria fotografiert, denn dort werden ganz besonders viele Menschen sehr alt

Efthimios Plystakas, 95 Jahre alt

Herr Frazzetta, Ihre Porträtserie zeigt hundertjährige Menschen auf der griechischen Insel Ikaria. Warum dort?

Ich war 2012 das erste Mal für die New York Times auf der Insel. Ich sollte eine Geschichte des Autors Dan Buettner illustrieren, der erforscht, wo auf der Welt die Menschen besonders alt werden. Diese Orte nennt er »Blue Zones« und Ikaria ist eine davon. Für mich war es sehr besonders, die Menschen dort kennenzulernen. Die Hundertjährigen haben mich beeindruckt.

Was hat Sie besonders fasziniert?

Ich hatte mir vorgestellt, dass die alten Menschen am Strand liegen und es sich gut gehen lassen. Das ist gar nicht so. Ikaria ist eine wunderschöne Insel, aber sehr rau, mit hohen Bergen. Das Leben der Menschen ist hart. Selbst die Hundertjährigen müssen täglich die Berge hoch- und runterlaufen und arbeiten im Garten. Dort liegt niemand auf der faulen Haut.

Also hält Aktivsein jung?

Bestimmt. Auch die Ernährung spielt eine Rolle, das viele Gemüse und Olivenöl. Aber ich glaube, die Gemeinschaft ist das Wichtigste: Man schaut nach einander. Niemand ist allein, alle spielen Karten, trinken Wein und lachen miteinander.

Das Bild, dass wir an zweiter Stelle in der Bildergalerie oben auf dieser Seite sehen, bedeutet Ihnen besonders viel. Warum?

Das ist Stamatis Moraiti. Die Begegnung mit ihm hat sich mir eingeprägt. Er lebte lange in den USA, bis ihm mit sechzig Lungenkrebs diagnostiziert wurde. Die Ärzte gaben ihm noch neun Monate. Also kehrte er auf seine Heimatinsel zurück, um sich zu verabschieden. Aber er starb einfach nicht. Als ich ihn traf, war er bereits 102 und sehr lustig. Ich wollte ihn noch einmal treffen, um eine Nahaufnahme von ihm zu machen, nur wurde das nichts.

Warum nicht?

Wir hatten uns an meinem Abreisetag verabredet. Zur vereinbarten Zeit konnte ich ihn einfach nicht finden. Sein Nachbar verriet mir schließlich, dass ein ebenfalls hundertjähriger Freund ihn mit dem Motorrad abgeholt und zum Strand mitgenommen hatte! Jetzt habe ich zwar kein Porträt, aber immerhin eine gute Geschichte: Zwei Hundertjährige auf dem Motorrad auf dem Weg zum Strand.

Ist es schwieriger, alte Menschen zu fotografieren als junge?

Im Gegenteil. Junge Leute machen sich die ganze Zeit Gedanken darüber, wie sie aussehen. Die Hundertjährigen waren gar nicht eitel. Sie haben gesagt: Ich bin alt, das ist mein Gesicht, das sind meine Falten. Wir hatten viel Spaß miteinander.

Das Interview führte Gundula Haage