Erde, wie geht's?

„Vergnügen spornt mehr an als Sparen“

Wir brauchen eine Rhetorik des Genießens und nicht der Schuld, fordert der Philosoph. Ein Gespräch über solarbetriebene Diskos und die Rettung der Eisbären

Herr Morton, um meinen ökologischen Fußabdruck zu verringern, stelle ich jetzt selbst Deo und Spülmittel her.

Das ist sehr gut.

Aber damit verändere ich nicht viel, außer dass ich zwei Plastikverpackungen weniger verbrauche.

Jeder steht vor einem großen Dilemma. Wenn Sie den Motor Ihres Autos anlassen, verursachen Sie keine globale Erwärmung. Das, was Sie da tun, ist statistisch gesehen bedeutungslos. Aber Millionen und Millionen von Autos, deren Motoren angelassen werden, verursachen offensichtlich globale Erwärmung. Zwischen mir als dieser einen Person und mir als Mitglied der menschlichen Spezies tut sich eine merkwürdige Kluft auf. Das zu bemerken, ist sehr unheimlich, aber erzeugt ökologisches Bewusstsein.

Warum ist es so schwierig, ökologisch bewusster zu werden? Wir wissen etwa, dass Klimafragen globale Migrationskrisen bedingen, und streiten dennoch vor allem über die Zahl der Flüchtlinge, die wir »hereinlassen« dürfen.

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn wir es wirklich angehen würden. Die USA sind das am wenigsten dicht besiedelte westliche Land auf dem Planeten. Es ist vollkommen einfach: Alle Flüchtlinge sollten in die USA kommen. Die Sache mit der Freiheitsstatue, dieses Fackelding, sollte wieder in Ehren gehalten werden. Aber das Problem ist, dass wir einen Präsidenten haben, der die schlimmsten Aspekte des halbfaschistischen Amerika magnetisch angezogen hat. Diese neue Art von Faschismus, die sich übrigens auf der gesamten Welt  beobachten lässt – beim Brexit, in Japan, in der Schweiz, überall –, kann man als eine Reaktion nicht nur auf unsere ökonomischen Strukturen, sondern auch auf das ökologische Bewusstsein verstehen. Diese Wirtschaftsform nämlich, die wir als neoliberale Reagan-Thatcher-Ökonomie mit erweiterten Sparmaßnahmen beschreiben können, hat für viele Menschen eine prekäre Situation geschaffen. Und durch ihre hauchdünnen Rücklagen erspähen sie nun etwas noch Gruseligeres: eine hauchdünne Biosphäre. Sie ist aus ähnlichen Gründen hauchdünn; weil sie so sehr ausgebeutet wurde, dass die Menschen tatsächlich ein Massenaussterben verursachen.

Ein Massenaussterben?

Ich spreche lieber von globaler Erwärmung als von Klimawandel. Wenn wir die globale Erwärmung aber bei ihrem richtigen Namen nennen wollen, sollten wir sie wirklich als Massenaussterben bezeichnen.

Wie könnten wir uns dieser Tatsache stellen oder sie sogar angehen?

Wenn Sie die Flüchtlingsfrage ansprechen, bringen Sie die Struktur des Rassismus auf. Meiner Meinung nach ist der Speziesismus ...

... Individuen ausschließlich aufgrund ihrer Artenzugehörigkeit zu diskriminieren ...

... der Grund für Rassismus. Um den Speziesismus zu bekämpfen, der uns bei der Herrschschaft über die Erde hilft, müssen wir den Rassismus bekämpfen. Sie sind Teil derselben Sache.

Wir müssten also erst mal verstehen, dass Flüchtlinge zu unserer Spezies gehören?

Genau, alle Menschen sind ungefähr gleich. Das sollten alle langsam mal wissen, dass wir alle Menschen sind, die ein globales Problem zu lösen versuchen. Aber wie sagt man »wir«, ohne rassistisch oder frauenfeindlich zu sein? Es geht nur, wenn wir das Konzept dessen, was »wir« bedeutet, leicht ändern. Und das ist dann tatsächlich sehr hilfreich für alle anderen Lebensformen.

Aber die Biosphäre wurde hauptsächlich von westlichen Industriegesellschaften zerstört. Sollten dann nicht auch besser diese Gesellschaften dafür verantwortlich sein, sie zu erneuern und zu bewahren?

Das Problem ist: Die US-Amerikaner haben die Klimaanlage zuerst erfunden, aber auch die Inder wollen nun eine Klimaanlage. Nur weil die Inder später als die US-Amerikaner eine Klimaanlage wollen, macht es sie nicht zu besseren Menschen. Das zu behaupten, wäre auch rassistisch. Ein bestimmtes Wesen oder eine Gruppe von Wesen zu beschuldigen, stellt tatsächlich ein Problem dar. Wir müssen die Gesellschaft komplett verändern. Und wir haben dafür nicht viel Zeit. Das Massenaussterben findet schon statt. Die Lösungen werden chaotisch und heuchlerisch sein, denn strukturell kann man niemals absolut richtig ökologisch handeln.

Warum?

In der Biosphäre ist alles miteinander verbunden. Wenn wir uns zum Beispiel dazu entschließen, nett zu Kaninchen zu sein, bedeutet das, dass wir nicht nett zu den Tieren sein können, die Kaninchen jagen. Ich kann nicht gleichzeitig zu beiden nett sein. Das bringt mich zu einem größeren Thema, zur Idee des Primitivismus. Dieser geht etwa von der Überzeugung aus, dass eine Gruppe von Menschen existiert, die dieses böse Konsumbedürfnis nicht verspüren. All dieses Zeugs des bösen, schlechten Begehrens gehört zur religiösen christlich-jüdisch-islamischen Schuld- und Erlösungsgeschichte. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Neandertaler Coca-Cola light oder Zero geliebt hätten. Unglücklicherweise erzählt uns das Konsumverhalten etwas Wahres über die Menschen – über das Verlangen. Wenn ökologische Politik nur eine Sache erreichen könnte, dann sollte es diese sein: verschiedene Ausprägungen von Vergnügen zu steigern, zu multiplizieren, anstatt noch mehr Effizienz zu schaffen.

Wie würde dieses ökologische Vergnügen aussehen?

Wenn Eisbären nicht aussterben, ist es sehr schön für sie. Es könnte aber auch für uns sehr angenehm sein, Eisbären am Leben zu halten. Ich habe mein Haus mit Solarstrom ausgestattet, und in den ersten Tagen fühlte ich mich heilig, rechtschaffen, gut. Aber dann wurde mir klar, dass ich nun in jedem Raum meines Hauses eine Disko haben könnte und dass das nun viel weniger Lebensformen schädigen würde. Mit anderen Worten: Die Sonnenenergie steigert mein Vergnügen.

Und Sie sparen sogar fossile Ressourcen.

Wenn wir so argumentieren, wenn wir diese Situation in Bezug auf Effizienz diskutieren, befinden wir uns im Wesentlichen wieder in der Logik von Öl. Öl ist eine wertvolle, giftige Ressource. Wollen wir wirklich eine Post-Öl-Welt mit einem Denken erreichen, das immer noch strukturell Öl über alles stellt? Dies würde eine so starre und mächtige Kontrollgesellschaft schaffen, dass die Überwachungsmaßnahmen, denen wir uns jetzt schon aussetzen, einem anarchistischen Picknick gleichen würden. In solch einer Welt möchte ich nicht leben.

Sie sind also kein Verfechter drakonischer Maßnahmen: Benzinmotoren verbieten, um den Verbrauch fossiler Rohstoffe zu senken?

Natürlich müssten wir die CO2-Emissionen verringern. Aber in welcher Gemütsverfassung und mit welcher Art von Politik machen wir das? Tun wir es im Geiste der Schaffung einer Gesellschaft mit noch strengerem Effizienzdenken oder tun wir es mit der Idee, mehr Vergnügen zu empfinden? Das würde die Leute mehr anspornen als Sparmaßnahmen. Die Leute wollen nicht denken: »Jetzt kann ich nicht einmal mehr ein Auto haben«, sondern: »Die Welt von morgen wird viel schöner sein als die heutige Welt.« Das Problem des Konsumismus ist nicht ein Zuviel an Vergnügen, sondern ein Zuwenig an Vergnügen.

Aber wenn wir anfangen über die Welt nachzudenken, wie sie jetzt ist und wie sie zum Beispiel im Jahr 2050 sein wird, können wir vermuten, dass die Freuden ziemlich verringert sein werden. Brauchen wir nicht mehr dystopische Warnungen, die uns dazu zwingen, in den Abgrund zu schauen?

Nein, in diesem Stil haben wir schon oft genug diskutiert. Mit dieser Art von Schulddiskurs haben wir all die Leute bereits eingesogen, die wir einsaugen konnten. Obwohl die Lage unglaublich trostlos aussieht, darf man nicht verzweifeln. Man darf nicht den Schlecht-und-Böse-Modus einstellen. Das ist der Modus der Religion. Die Agrargesellschaft, in der wir immer noch leben (das ist unsere Tiefenstruktur), spricht in religiöser Sprache über sich selbst. Wir leben in »Mesopotamien Version 9.0« mit Industriemaschinen, die entwickelt wurden, um alles in Gang zu halten. Der Religionsmodus erschafft eine sehr hierarchische, patriarchalische Gesellschaft, die sich selbst erklärt, wie sie funktioniert, und eine sehr zerstörerische Gesellschaft dazu, die von Anfang an verwüstet und dann weiterzieht und verwüstet und weiterzieht.

Sie haben eine viel beachtete schriftliche Korrespondenz mit der isländischen Künstlerin Björk geführt, die sowohl in dem Buch »Björk Archives« als auch online bei Dazed Digital erschienen ist. Darin tauschen Sie sich über Ihre Sichtweisen zum Magischen, zu Viren, zur Fusion von Zärtlichkeit und Traurigkeit und zu ökologischem Bewusstsein aus. Björk erwähnt darin das »grüne Techno-Internet-Zeitalter«, als ob es etwas wäre, wonach wir streben könnten. Könnte dies unsere Zukunft sein, wenn es uns gelingt, globales ökologisches Bewusstsein zu schaffen?

Ich bin sehr gegen Vorhersagen. Trotzdem bin sehr an der Idee einer Zukunft interessiert. Um zuzulassen, dass sich die Zukunft von der Gegenwart unterscheidet, müssen wir aufhören, so viel vorherzusagen. Das Problem ist, dass wir in einer Kultur leben, in der wir alle diese voraussagenden Geräte wie Facebook- und Google-Algorithmen haben. Das führt dazu, dass die Vergangenheit die Zukunft frisst. Wenn wir wollen, dass die Zukunft anders ist, müssen wir Vorhersagen vermeiden. Die Leute lieben es sehr, ein Konzept zu entwickeln, das es ihnen erlaubt, sich zu entspannen, richtig? Das Problem mit dem ökologischen Bewusstsein ist aber, dass es dir bewusst macht, dass es eine störende Unkontrolliertheit in der Welt gibt. Wir können nicht alles regeln.

Aber was können wir anderes tun, als den Zerstörungen als Tatsachen ins Auge zu schauen und sie beheben zu wollen?

Diese vermeintlich nackten Tatsachen und Fakten ökologischer Daten schaffen einen Begriff von Natur. Er erklärt ökologische Dinge wieder zur Außenwelt der Menschenwelt, als ob sie in Form von reinen Daten zu uns kommen. So gehen wir mit anderen Merkmalen unserer Welt nicht um, nicht mit sexueller Belästigung, nicht mit Rassismus, so sprechen wir nur über Eisbären und Korallen.

Aber wir sind es, die Eisbären und Korallen töten.

Ich würde es bevorzugen, von Verantwortung zu sprechen. Verantwortung ist cooler, denn wenn du etwas verstehst, bist du dafür verantwortlich. Verantwortung kann uns auch helfen, über unser Handeln auf einer kollektiven Ebene nachzudenken, denn wir müssen kollektiv handeln, um mit den massiven globalen Problemen fertig zu werden, die wir haben. Ich bin sehr daran interessiert, den Diskurs von der Ebene der Religion und der Schuld, von Gut und Böse zu befreien und ihn mehr auf die Ebene der Freude und des Schmerzes zu bringen. Das eigentliche Ziel sollte es sein, Schmerz zu vermeiden: Was schmerzhaft für die Koralle ist, ist nämlich auch schmerzhaft für uns, weil tote Korallen nicht schön sind. So gesehen bedeutet Korallen retten, mehr Freude empfinden. Damit könnten sich Menschen auch viel besser identifizieren.

Das Interview führte Nikola Richter