Erde, wie geht's?

Dem Untergang geweiht

Noch liegt Tangier Island vor der amerikanischen Ostküste. Ein Besuch auf einer Insel, die bald keine mehr ist

Mit seinen nur 450 Einwohnern ist Tangier Island das, was viele als ein verstecktes Juwel bezeichnen würden. Das war zumindest mein Eindruck, als ich die winzige Insel in der Chesapeake Bay, 150 Kilometer von Washington D. C., zum ersten Mal betrat. Ich hatte in Reedville, Virginia, die Fähre genommen. Bei meiner Ankunft im Hafen sah ich Fischrestaurants auf den Piers und ein paar Leute, die von den Docks aus den Fährpassagieren zuwinkten.

In der pittoresken kleinen Stadt Tangier gibt es keine Autos. Fahrräder und Golfmobile sind die einzigen Verkehrsmittel und jeder kennt jeden. Die Inselbewohner sind stolz auf die Vergangenheit Tangiers. Die Insel wurde 1608 entdeckt und viele Einwohner sind Nachfahren der ersten europäischen Siedler.

Ich sah Krabbenfischern dabei zu, wie sie ihre Fallen ausluden. Ich sah kleine Restaurants, in denen köstliche Krabbenküchlein serviert wurden. Beim Anblick von Kindern mit Schulranzen fiel es mir schwer, an den Untergang dieses Fleckchens Erde zu glauben.

Aufgrund von Erosion und dem schleichenden Anstieg des Meeresspiegels verliert Tangier Island jährlich etwa fünf Meter seiner Küstenlinie. Es ist noch knapp 3,2 Quadratkilometer groß und schrumpft mit jedem Tag weiter. Die Einwohner haben große Angst, dass ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage von den Fluten weggespült werden, wenn nicht schnell etwas dagegen unternommen wird. »Seit 200 Jahren oder länger war die Chesapeake Bay unsere Existenzgrundlage, und nun ist das Wasser die größte Bedrohung unserer Existenz«, sagt James »Ooker« Eskridge, der Bürgermeister von Tangier.

Er weiß, dass die Uhr tickt. Trotzdem glaubt er fest daran, dass Tangier gerettet werden kann. Die Hilfe müsse nur sehr bald kommen. »Während der Hurrikansaison halten wir den Atem an und beten, dass kein Sturm kommt«, sagt Eskridge. So wie 87 Prozent der Inselbewohner hat er bei der Präsidentschaftswahl für Donald Trump gestimmt.

Den meisten ist es egal, dass Trump aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist. Sie hoffen, dass er Geld bereitstellt, um Maßnahmen zur Rettung der Insel zu finanzieren. Ob es die Menschheit selbst ist, die den Untergang von Tangier beschleunigt, oder die Natur: Was macht das für einen Unterschied?

Bevor ich die Insel verließ, machte ich noch einen Abstecher nach Uppards, einem Ort im Norden der Insel, der schon heute nicht mehr existiert. Von der Gemeinde, die Mitte des 20. Jahrhunderts noch in voller Blüte stand, ist heute nur noch ein schmaler Streifen Sand übrig. Ich begleitete Carol Pruitt-Moore aus Tangier bei ihrem täglichen Strandspaziergang. Die einzigen Anzeichen dafür, dass hier vor nicht allzu langer Zeit noch Menschen gelebt haben, waren angespülte Gewürzgläser, Keramikscherben und Stücke zerbrochener Grabsteine. Einer trug die Inschrift Polly Parks. Carol erzählte mir, dass Pollys Nachfahren heute im Hauptort Tangier leben. Sie sind bereits vor der Flut geflüchtet.

Carol sagte, ihr sei bewusst, dass auch die Bruchstücke ihres Lebens eines Tages am dann verlassenen Strand von Tangier von Fremden aufgesammelt werden könnten, so wie sie es in Uppards tut: »Die Insel verschwindet. Daran denken wir alle. Beim Aufwachen und wenn wir ins Bett gehen. Immer.«

 Aus dem Englischen von Caroline Härdter