Rausch

Bango, Schlafmohn, Kulla

Der Koran verbietet den Rausch. Doch in Ägypten werden trotzdem viele Drogen konsumiert

Ägyptische Bauern bei der Opiumernte: Auf einem Foto aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dieser Szene stieß ich vor einiger Zeit zufällig im Netz. So weiß ich nun, dass der Schlafmohnanbau in Ägypten früher nicht verboten war.

Das Foto eröffnete mir Zugang zu einer geheimen Vergangenheit. Auf der Suche nach weiteren Details erfuhr ich, dass der Mohnanbau in Ägypten erst in den 1920er-Jahren verboten wurde. Im Gouvernement Qina allein wurden damals 12.000 Faddan (rund 5.000 Hektar) Schlafmohn angebaut. Begonnen wurde der Anbau für den Export nach Europa in der Regierungszeit von Muhammad Ali Pascha (1805 bis 1848), dem Gründer des modernen Ägypten. Das Verbot wurde dann 1925 durch Pressekampagnen erwirkt, die den unter Ägyptern weitverbreiteten Gebrauch und die schädlichen Folgen kritisierten.

Als ich über den Anbau von Opium und seine Destillation in den Laboratorien der Apotheken las, erschien mir Schlafmohn als ein mythisches Anästhetikum. Wo findet man es jetzt? Und wie viele Ägypter konsumieren es wohl gegenwärtig? Es gibt keine konkreten Zahlen, aber sicher ist, dass modernere Drogen wie Heroin und Kokain bei den Konsumenten beliebter sind und den Drogenhändlern und Dealern mehr Geld bringen.

Haschisch behält in Ägypten bis heute eine Sonderstellung als Droge, der viele mit Wohlwollen und Toleranz begegnen, fast, als wäre es gar kein Rauschmittel, sondern ein Stimmungsaufheller. Für viele Ägypter ist es ein Genussmittel, auf das sie notfalls verzichten können, sollte es aus dem einen oder anderen Grund zu Versorgungsengpässen kommen. Warum aber soll man es nicht konsumieren, solange es erhältlich ist? Schließlich ist es aus ihrer Sicht ein Zaubermittel, das Vergnügen bringt, einem hilft, das Leben und seine Widrigkeiten leichter zu nehmen. Immer ist sein Konsum mit Entspannung verbunden, mit gehobener Stimmung und einem Gut-drauf-Gefühl.

Vor Kurzem wurde ein Richter in flagranti beim Transport von 69 Kilo Haschisch erwischt, das er einem Drogenhändler für 20.000 ägyptische Pfund (umgerechnet etwas mehr als 1.000 Euro) verkaufen wollte. Der Vorfall löste einen großen Tumult und endlose Diskussionen aus, und viele meiner Bekannten äußerten ihr Erstaunen darüber, wie man sich für so wenig Geld auf ein solches Verbrechen einlassen könne. Kaum einer zeigte sich dagegen erstaunt über die Tatsache, dass ein Richter sich auf Drogenschmuggel einließ. Haschisch bleibt die populärste Droge in Ägypten.

Der Gebrauch ist nicht auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt, sondern weit verbreitet. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich alle Haschischkonsumenten dazu bekennen oder der Gebrauch nicht gesellschaftlich geächtet wäre. Die Ägypter nehmen den Konsum von Haschisch auch sehr unterschiedlich wahr. Die einen betrachten es als Genussmittel des einfachen Volkes und geben ihm den Vorzug vor Alkohol oder härteren Drogen. Die anderen sehen seinen Haschischkonsum als Weg, der ins Verderben führt, und folglich als durch die Religion verboten. Wieder andere lehnen Haschisch zusammen mit allen anderen Drogen aus gesundheitlichen Gründen ab.

Selbst die arabische Sprache ist nicht klar, wenn es um Haschisch geht, denn sie spiegelt die verwickelte Beziehung wider, die viele Menschen zum Haschisch haben. Jemanden als „Haschasch“ („Haschischraucher“) zu bezeichnen, kann verächtlich sein, geringschätzig, beleidigend, aber auch heimlich bewundernd; ­„Haschasch“ kann bedeuten, dass jemand besonders locker und unkonventionell ist und sich Gedanken über die Dinge macht, an die andere überhaupt nicht nachdenken.

Im Gegensatz dazu ist es eine Anschuldigung, jemanden als „Süchtigen“ zu bezeichnen, ebenso ist die Bezeichnung „Schnupfer“, womit ein Heroin- oder Kokainabhängiger gemeint ist, nur negativ besetzt.

Wirklich verwirrend finde ich, wie die Fans einer bestimmten Droge diese über andere Drogen stellen und sich gleichzeitig über die Anhänger anderer Drogen diskriminierend äußern. So verspotten die Opiumkonsumenten die Haschischraucher, weil es sich bei Haschisch um ein leichteres Rauschmittel handelt. Letztere hegen Verachtung für die Bangosüchtigen – „Bango“ ist im ägyptischen Slang einheimisches Marihuana. Ein anderer Begriff für „Haschischraucher“ ist „Sis-Kinder“, nach einer ägyptischen Kinokomödie von 2016 über vier Jugendliche, die Joints mit Bango rauchen.

Der ehemalige Präsident Muhammad Anwar ­al-Sadat (1971 – 1981) beispielsweise verspottete den Schriftsteller ­Nagib Mahfuz in einer öffentlichen Rede als ­Haschasch, weil dieser zusammen mit anderen eine politische Erklärung gegen ihn unterschrieben hatte. Mahfuz soll daraufhin gegenüber Vertrauten geäußert haben, Sadat sei der Letzte, der sich hierüber auslassen dürfe, wo doch der exzessive Opiumkonsum des Präsidenten bekannt sei.

In den 1990er-Jahren stieg der Drogenkonsum in Ägypten, Heroinsucht wurde zu einem Phänomen, das in Kinofilmen, Fernsehprogrammen und -serien aufgegriffen wurde. Als Kind, das diese Filme sah, hatte ich damals das Gefühl, überall von Drogensüchtigen umgeben zu sein. Ich würde wie in den Filmen jemandem vor der Schule begegnen, der mir eine Blume schenkte, an der ich roch, um sofort süchtig zu werden, oder man würde mir eine Tasse Kaffee reichen, mit der meine Zukunft zerstört wäre. Allerdings schenkte mir in diesem zarten Alter niemand eine Blume, auch trank ich keinen Kaffee. Überhaupt gab es auf dem Land, wo ich aufgewachsen bin, gar keine Drogensüchtigen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass überall Süchtige lauerten, weil sich die Medien so intensiv mit dem Thema befassten.

Die ägyptischen Behörden versuchten 1993 mit einer Antidrogenkampagne den einheimischen Drogenanbau vor allem in der Sinai-Region zu stoppen. 10 Millionen Schlafmohn- und 7 Millionen Cannabispflanzen wurden zerstört. Man konnte meinen, Drogen seien damals für immer aus Ägypten verbannt worden. Haschisch fand man in dieser Zeit selten, es war sozusagen von der Bildfläche verschwunden. In Anbetracht des enorm verbreiteten Konsums dieser Droge waren es Jahre, in denen der Gürtel enger geschnallt werden musste und sich die meisten zum Konsum des verachteten Bangos gezwungen sahen.

Kurz danach kehrte das Haschisch aber wieder auf seinen Thron zurück. Und Bango wird wie früher wieder mit Geringschätzung betrachtet, ist aber bei Weitem nicht die am meisten verachtete Droge. Es gibt andere, neue Drogen, die in Kreisen verbreitet sind, die sich nichts anderes leisten können. Kulla ist vielleicht die bekannteste unter ihnen. Sie besteht aus einer klebstoffähnlichen Substanz, die beim Lederleimen verwendet wird. Süchtig danach sind viele Handwerker und Straßenkinder, sie werden als „Kulla-Schnüffler“ bezeichnet. Kulla gewann während der Revolution vom 25. Januar 2011 an Bekanntheit. Die Revolutionsgegner und Sympathisanten des Militärs sowie General Abdel Fattah al-Sisi bezeichneten die Revolutionäre und diejenigen, die für Freiheit und Menschenrechte eintraten, als „Kulla-Schnupfer“. Man wollte sie damit als Weggetretene erscheinen lassen, die den Realitätsbezug verloren hatten.

Die verächtliche Bezeichnung verurteilt nicht nur die Sucht, sondern diskriminiert auch ärmere Gesellschaftsschichten, die als unwissend, marginalisiert und geächtet dargestellt werden, weil sie ihre Zeit mit dem Schnüffeln von Kulla und Halluzinationen verbringen und ihr Leben für nichts und wieder nichts verschwenden.

Neben Kulla und anderen Drogen wie Klebstoff und Verdünner hat sich in den vergangenen Jahren die Sucht nach Tramadol-Tabletten, einem starken Schmerzmittel, ausgebreitet. Sie wurden zu einem populären Rauschmittel. Verbreitet sind sie vor allem unter Studenten, die in ihnen das Zaubermittel sehen, um die deprimierende Realität hinter sich zu lassen und nächtelang wach und konzentriert zu bleiben.

Während ich dies schreibe, denke ich, dass man die Geschichte der Gesellschaft Ägyptens während der beiden vergangenen Jahrhunderte anhand der verschiedenen Drogen und Arten des Konsums aufschreiben könnte. Welche Geschichte würden wohl die Drogen erzählen, wenn sie sprechen könnten? Und wie würden die Süchtigen und die Konsumenten dieser Drogen diese Geschichte darstellen?

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell