Was bleibt?

Trümmerlandschaften

Die Zerstörung archäologischer Schätze im Jemen bedroht das kulturelle Gedächtnis des Landes

Alte Bauten, archäologische Fundstücke und Denkmäler – sie gehören zum materiellen kulturellen Erbe der Menschheit. Sie geben Auskunft über die Kultur und das Wissen von Völkern und Menschen, wie sie wohnten, sich mühten, wonach sie strebten und was sie alles taten, um zu überleben. Das gilt auch für diejenigen, die sich vor Tausenden von Jahren im Südwesten der arabischen Halbinsel, dem heutigen Jemen, niederließen. Dort finden sich einzigartige Kulturschätze, die einen wichtigen Teil des Erbes ausmachen, auf dem die uralten Zivilisationen des alten Nahen Ostens aufbauten.

Im Jemen finden sich heute etliche archäologische Fundstellen aus der Ur- und Frühgeschichte, der klassischen Ära vor Christus und der islamischen Periode ab dem 7. Jahrhundert. Drei Städte gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe: die Hauptstadt Sanaa, Shibam im Wadi Hadramaut und Zabid an der Westküste. 21 weitere Orte sind Anwärter auf diese ehrenvolle Auszeichnung.

Das jemenitische Kulturerbe entstand in verschiedenen Reichen, darunter Qataban, Ausan, Ma‘in, Himyar und Saba. Die Sabäer erbauten beispielsweise eines der ersten hochentwickelten Bewässerungssysteme der Menschheit, für das Dämme zur Nutzung des Regenwassers geschaffen wurden. Die bedeutendste und größte Anlage ist der Damm von Marib, etwa 130 Kilometer östlich der Hauptstadt. Im Mai 2015 wurde der Staudamm durch Bomben der Militärallianz unter der Führung Saudi-Arabiens schwer beschädigt. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie weitreichend die Zerstörung der Kulturschätze des Jemens ist, die wir derzeit als Folge der Konflike im Land beobachten müssen. Es ist unerlässlich, dass man sich mit dieser bitteren Wahrheit auseinandersetzt.

Nach der Absetzung des langjährigen sunnitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh 2011 und der Amtsübernahme durch Abed Rabbo Mansur Hadi wird der Jemen von politischen Unruhen erschüttert. Die regierungstreuen Truppen und die schiitische Huthi-Opposition stehen sich gegenüber. Seit März 2015 bombardiert ein von Saudi-Arabien geführtes arabisches Militärbündnis Stellungen der Rebellen, die weite Teile des Landes kontrollieren. Hinzukommt, dass der Jemen seit Jahren durch terroristische Anschläge erschüttert wird.

Rund sechzig Ruinenstädte und religiöse Heiligtümer sind nach Stand vom November 2015 in diesen Konflikten bislang mit oder ohne Absicht beschädigt worden – durch Luftangriffe der arabischen Allianz, durch Anschläge von al-Qaida oder der Terrororganisation „Islamischer Staat“ und durch innerjemenitische Kämpfe. Wie viele es genau sind, ist sehr schwer zu beziffern, weil einige Stätten wegen der Kämpfe und Bombardements nur schwer erreichbar sind.

Zum Schutz dieser Altertümer ist der Einsatz aller Jemeniten gefragt, schließlich geht es um das Erbe der Vorfahren. Gleichzeitig sollte dieses Erbe als eine kulturelle Errungenschaft der gesamten Menschheit der Welt am Herzen liegen. Wir müssen es schützen, nicht zuletzt, um zu verstehen, welcher Austausch mit anderen Kulturen in der Vergangenheit stattgefunden und wie die jemenitische Kultur andere beeinflusst hat.

Der Mensch im 21. Jahrhundert hat ein Recht auf Informationen über die jemenitische Kultur der vergangenen Epochen. Er hat jedoch auch die Pflicht, sich mit Worten und Taten und finanziellen Mitteln für den Erhalt des Weltkulturerbes einzusetzen. Es muss verhindert werden, dass die Kulturstätten im Jemen als Militärkasernen oder zum Schutz bei bewaffneten Auseinandersetzungen missbraucht werden, wodurch sie selbst direkt oder indirekt Zielscheibe der Aggressionen werden.

Die jemenitische Regierung, die Politik ebenso wie die Zivilgesellschaft, aber auch die internationale Gemeinschaft müssen dieser Gefahr entgegentreten. Sie müssen alles in ihrer Macht Stehende zum Schutz dieses kostbaren Erbes einsetzen. Die Täter, seien sie aus dem In- oder Ausland, müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell