Was bleibt?

Räume der Trauer

Im peruanischen Ayacucho erinnert ein Museum an die Opfer des Guerillakrieges von 1981 bis 1992

Wie ein Echo, das schmerzvoll durch das Gedächtnis pulsiert, fließt der Fluss der Erinnerung durch Ayacucho – wie ein nach innen gerichteter Schrei, der an die abwesenden Töchter und Söhne, Mütter und Väter gemahnt. In Peru herrschte von 1981 bis 1992 ein blutiger Krieg zwischen der maoistischen Guerillaorganisation „Leuchtender Pfad“ und der Regierung. Gemäß dem Bericht der Wahrheitskommission starben im Zuge des Konflikts über 69.000 Menschen, von denen mehr als 40.000 aus der Andenstadt Ayacucho,  330 Kilometer südöstlich von Lima, stammen. Tausende von ihnen wurden bis heute nicht gefunden. Jede Spur und jedes Erinnerungsstück, das von den Verschwundenen geblieben ist, hält die Hoffnung wach, sie doch wiederzufinden.

Sich zu erinnern, bedeutet für die Familie der Opfer, sich dem Schmerz zu stellen. Das Museo de la Memoria, das Museum der Erinnerung, in Ayacucho, stellt Erinnerungsstücke der Opfer aus. Dort treffe ich Sergia Flores de Quicaño. Sie erzählt: „Am 1. Juli 1983 kamen die Militärs um drei Uhr nachts in mein Haus. Wir schliefen alle. Sie suchten meinen Mann Albino Quicaño Núñez und nahmen ihn mit. Ich rannte ihnen nach, sah, wie sie ihn schlugen, und als ich versuchte, ihn zu verteidigen, schlugen sie auch mich.“ Seitdem hat sie nichts mehr von ihrem Mann gehört. „Ich habe keinen Ort, wo ich ihm Blumen bringen kann. Das Museum ist meine Zuflucht.” Mit Tränen in den Augen berührt Sergia Flores de Quicaño den Anzug ihres Mannes, der im Museum ausgestellt ist, dann erzählt sie mit einem Familienfoto in der Hand die Lebensgeschichte des Lehrers in der Provinz Cangallo in Ayacucho, der ihr Ehemann war.

Anders als Sergia fand Lidia Flores de Huamán die Überreste ihres Mannes Felipe Huamán Palomino, den „am 17. Juli 1984 die Militärpolizei vor meiner Haustüre einfach mitnahm. 14 Tage später fand ich ihn tot im Gebiet von Checco Cruz, nachdem ich unermüdlich Tag und Nacht gesucht hatte.“

Die Razzien nutzten das Überraschungsmoment gegenüber der Bevölkerung, um die Einzelnen mit Gewalt zur Kaserne oder zur Polizeistation zu bringen. Felipe Huamán wurde von seinen Mördern in eine Schlucht geworfen. „Sein Körper war schon von Tieren aufgefressen. Ich fand nur seine Kleider, seinen Kopf, seine Haare, die Schuhe, sein Hemd, das bis heute von seinem Blut getränkt ist. Ich sammelte ihn auf und brachte ihn zur Staatsanwaltschaft. Dort wurde ich abgewiesen. Ich musste das, was von ihm übrig war, alleine beerdigen.“ Felipes zerrissenes Hemd gibt Zeugnis davon, wie er vor seinem Tod gelitten hat; seine von Tieren gefressenen Überreste dienen als Zeugnis der unaussprechlichen Barbarei.

Mehr als 35 Jahre nach Beginn des bewaffneten Konflikts sind immer noch rund 6.000 Leichen nicht gefunden worden. 109 Tote warten außerdem darauf, identifiziert zu werden.Die Vorsitzende der ANFASEP, der Nationalen Vereinigung von Familienangehörigen der Entführten, Festgenommenen und Verschwundenen in Peru, Avelina García Mendoza, hat ebenfalls ihren Ehemann verloren und bis heute nicht wiedergefunden. Sie berichtet, dass zu Beginn jede einzelne Frau auf eigene Faust nach ihren Angehörigen suchte, bis sie sich dann zusammenschlossen und ihre Bemühungen an der Seite der Gründerin der ANFASEP, Mamá Angélica, gemeinsam fortführten.

Am 16. Oktober 2005 riefen die Frauen nach Jahren der Suche das Museo de la Memoria ins Leben, das über die Jahre zu einem Raum wurde, wo die Toten und Verschwundenen beweint und ihre Erinnerung geehrt werden konnten. Heute finanziert sich das Museum aus Besucherspenden und den Einnahmen aus dem Verkauf handgefertigter Stoffe. Beim Besuch des Museums findet man Überreste aus dem Massengrab in La Hoyada und der Militärbasis los Cabitos, wo zahllose Familien, Paare, Mütter und Kinder hingerichtet wurden. Der Kremationsofen von La Hoyada wird gezeigt, ebenso wie der Brennstofftank, wo Reste verbrannter Menschen gefunden wurden. Außerdem sieht man in der Ausstellung Fotos der Verschwundenen. Das Museum bietet einerseits Trost für die Schmerzen und ist zugleich Schrei der Erinnerung, der gemahnt, derartige Gräuel niemals zu wiederholen.

Aus dem Spanischen von Christiane Quandt Rosario