„Migranten warten sieben Jahre auf Arbeit“
Einwanderer bringen berufliche Fähigkeiten mit, die die europäische Wirtschaft gut brauchen kann. Die Unternehmerin Appelgren erklärt, wie sie Kontakte zwischen ihnen und schwedischen Arbeitgebern herstellt
Mehr als 100.000 Asylsuchende sind im Jahr 2015 nach Schweden gekommen. Wie würden Sie die gegenwärtige Situation beschreiben?
Bis zum Sommer standen die Schweden der Einwanderung eher kritisch gegenüber. Doch seit August sehen sie die Herausforderungen eher als Chance. Die meisten Menschen wollen heute Asylsuchenden im Alltag helfen und die Medien sind voll mit Nachrichten über positive Beispiele. Gleichzeitig versuchen andere das, was gerade passiert, aufzuhalten. Vor kurzem wurden einige Zelte niedergebrannt, in denen minderjährige unbegleitete Flüchtlinge untergebracht waren.
Die rechtsgerichtete Partei Schwedendemokraten will Einwanderer ausweisen und angesichts der Flüchtlingskrise sind kürzlich auch wieder Grenzkontrollen eingeführt worden. Wie viel Unterstützung gibt es gegenwärtig für Rechtspopulisten?
Nach jüngsten Umfragen kommen die Schwedendemokraten auf circa zwanzig Prozent. Sie wachsen und zwingen so die Regierungsparteien dazu, sich für andere politische Lösungen einzusetzen, wenn man sich den Weg nicht von den nationalistischen Schwedendemokraten diktieren lassen will. Die politische Debatte ist sehr lebhaft. Dennoch gibt es zur Zeit keine andere Lösung, als die Menschen, die es bis nach Schweden schaffen, bestmöglich unterzubringen und dafür zu sorgen, dass sie am Leben teilhaben und arbeiten können.
16 Prozent der Schweden haben bereits einen Migrationshintergrund. Wie gut ist die Integration bisher gelungen? Welche Rolle spielt der Arbeitsmarkt dabei?
Es gibt hier ein Problem, deswegen habe ich Mitt Liv gegründet. Vom Tag der Ankunft bis zum ersten Kontakt mit dem Arbeitsmarkt vergehen in Schweden für Immigranten ungefähr sieben bis neun Jahre. Das liegt zum Einen an den Behörden, die für die Anerkennung der internationalen Zeugnisse sehr lange brauchen. Zum Anderen haben die Unternehmen oft hohe Anforderungen an die Schwedischkenntnisse der Bewerber. Die lange Wartezeit ist eine gewaltige Bürde, nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Einzelnen.
Wie geht es nach der Anerkennung weiter?
Acht von zehn Arbeitsplätzen werden aufgrund von Beziehungen vergeben. Wenn man solche wichtigen Netzwerke nicht hat, braucht es sehr viel mehr Zeit, um eine Chance zu bekommen. Hier spielt auch die Segregation in den großen Städten eine Rolle: Schweden und Einwanderer haben kaum Berührungspunkte. Wir brauchen Orte, an denen sie aufeinandertreffen und Zeit miteinander verbringen. Das ist für Immigranten entscheidend.
Wie genau versuchen Sie, das voranzubringen?
Unsere Organisation bietet in erster Linie ein Mentorenprogramm an. Es läuft jährlich zehn Monate von September bis Juni. Unsere Mentoren begleiten Männer und Frauen, die zwischen 25 und 40 Jahre alt sind. Wir sind auf Akademiker wie Ingenieure, IT-Spezialisten oder Ärzte spezialisiert. Für diese Gruppe ist in der Vergangenheit nicht viel getan worden. Schwedische Unternehmen suchen im Ausland nach Talenten und spezifischen Kompetenzen. Dabei haben wir hier Menschen mit genau den Fähigkeiten, die sie suchen. Indem wir diese beiden Gruppen zusammenbringen, können wir für unsere Partner die richtigen Leute finden und gleichzeitig unsere Teilnehmer auf dem Weg von der Exklusion hin zur Inklusion unterstützen. Sie bekommen ein professionelles Bewerbungstraining, das ihnen Wissen über die Regeln des schwedischen Arbeitsmarktes vermittelt. Zusätzlich verbessern unsere Teilnehmer ihre Schwedischkenntnisse automatisch, weil die Sprache des Programms Schwedisch ist.
Für welche Unternehmen arbeiten Sie?
Wir arbeiten mit lokalen, nationalen und internationalen Unternehmen wie Volvo zusammen, die uns für die Mentorenprogramme bezahlen. Außerdem kooperieren wir mit Städten und Kommunen oder der schwedischen Armee, denen wir Programme für Diversität und Menschenrechte anbieten. Alle möglichen Organisationen werden sich immer stärker bewusst, dass sich die Demografie in Schweden verändert. Deshalb stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob mehr Diversität gebraucht wird, sondern eher, wie man sie herstellt.
Deutsche Unternehmen beklagen einen Mangel an Facharbeitern. Was würden Sie ihnen raten, besonders in dieser Zeit, in der so viele Menschen vor Konflikten fliehen und zu uns kommen?
Das, was gegenwärtig passiert, können Unternehmen entweder als Chance begreifen, neue Talente und Menschen mit wertvollen Erfahrungen und Sprachkenntnissen zu finden, oder als Problem sehen und ihre Türen verrammeln. Aber wie wettbewerbsfähig wird eine Organisation in einer sich verändernden demografischen Landschaft noch sein, wenn sie diese Win-win-Situation nicht erkennt? Ich glaube, es gibt keine Wahl: Es müssen Trainee-Programme und Strukturen geschaffen werden, die die Integration von Einwanderern in die Unternehmen zum Ziel haben.
Aus dem Englischen von Karola Klatt
Das Interview führte Magdalena Rausch