Konkurrierende Botschaften
Hollywood, Demokratie, Freiheit - das waren einst Exportschlager der Public Diplomacy. Wie aber wandelt sich der Kommunikationsstil der Regierungen mit der zunehmenden Vernetzung der Bürger?
Radiosender wie Voice of America oder Radio Free Europe sollten während des Kalten Krieges der Jugend im Ostblock die Vorzüge westlicher Kultur nahebringen. Diese „Eroberung der Herzen und der Köpfe“, die sich ab 1965 Public Diplomacy nannte, hatte, so versicherte man, nichts mit Propaganda zu tun. Nach dem Fall der Mauer waren private Medien wie die CNN im „Global Village“ anscheinend besser geeignet, Sichtweisen und Werte zu verbreiten. Der Reiz der Kulturindustrie, des Lebensstils und des politischen Modells der Amerikaner sollte auf die Weltbevölkerung einwirken. Die westliche Welt, Hollywood und das Internet müssten, so dachte man, lediglich ihren Charme spielen lassen.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde die „neue“ Public Diplomacy hochaktuell. Mit der Verbreitung des Web 2.0 sollte diese auch über soziale Netzwerke vermittelt werden: Mit Kampagnen versuchten die amerikanische Regierung und die NATO-Mitgliedstaaten, Feindseligkeit, Radikalismus und gewalttätigen Extremismus abzubauen. Heute soll außerdem Regimen wie in Russland, die sich der neuen Weltordnung entgegenstellen, die Stirn geboten werden. Amerikanische Strategieexperten scheinen der russischen Propaganda über Kanäle wie Russia Today große Wirkungsmacht beizumessen. Doch die Gegenstrategien gegen Extremismus und Propaganda stoßen heute auf mehrere Hindernisse.
Das erste betrifft den Inhalt. Die westlichen Botschaften sollen wahre Sachverhalte „offenlegen“ und von der Vorbildlichkeit unseres Systems überzeugen. Die jüngste YouTube-Kampagne der französischen Regierung mit dem Titel „#stopjihadisme“, angelehnt an den amerikanischen Vorgänger „Think Again Turn Away“, zeigt das recht gut. Bilder von triumphierenden Kämpfern, marschierenden Mujahedins oder auch Exekutionsszenen, wie der sogenannte Islamische Staat sie verbreitet, sind mit Kommentaren unterlegt, die keinen Zweifel daran lassen, dass diejenigen, die in den Dschihad ziehen, töten und unter Umständen sterben müssen.
Dabei werden jedoch gerade jene jungen und nicht unbedingt hochgebildeten Internetnutzer adressiert, deren Wunsch es ist, Menschen zu töten und zu sterben, und die ohnehin der Meinung sind, dass alles, was Politiker und Massenmedien von sich geben, Manipulation sei. Sie sind empfänglich für extremistische Diskurse in sozialen Netzwerken und für Verschwörungstheorien, die Medieninhalte grundsätzlich mit Desinformation gleichsetzen. Eine Rhetorik, mit der den Menschen im Ostblock einstmals unser Wohlstand und unsere Freiheit schmackhaft gemacht werden sollten, ist denkbar ungeeignet für jene Bekehrten, denen westliche Sittenlosigkeit und Genusskultur ja gerade als unrein gelten. Denn diese werden von den Versprechen von Heldentum, Disziplin und Selbstlosigkeit der Islamisten angezogen, Werten also, die konträr zum Individualismus, Liberalismus und dem gegenseitigen gefühlvollen Umgang miteinander in unseren Gesellschaften verlaufen.
Soziale Netzwerke bringen mit ihrer charakteristischen All-to-all-Kommunikation neue Spielregeln mit sich. Ständig wird um die Aufmerksamkeit der Nutzer gewetteifert, um möglichst viele Follower, Nennungen und Verlinkungen – kurz gesagt „Online-Einfluss“ zu erlangen. Dabei wird zuweilen auch gemogelt. Es ist nicht besonders schwierig, die eigene Online-Anhängerschaft künstlich aufzublasen – entweder kauft man sich „Fans“ oder man generiert mithilfe von Algorithmen fiktive Profile. Erst kürzlich hat die Affäre um die „russischen Trolle“ – Kreml-Mitarbeiter, die dazu abgestellt waren, die sozialen Netzwerke zwölf Stunden am Tag mit prorussischen Beiträgen zu fluten – für erhebliches Aufsehen gesorgt. Doch auch die Europäische Union versucht, ihren medialen Einfluss zu steigern. Im August 2015 entwickelte sie den „Action Plan on Strategic Communication“, der entgegen russischen Berichten zum Ukrainekonflikt „echte“ Wahrheiten verbreiten sollte. Diese Aktion scheiterte aber, weil auch sie nicht an das Weltbild ihrer Zielgruppe angepasst war. Viele Ukrainer, die den Kreml-Medien durchaus Vertrauen entgegenbringen, schenkten den Berichten wenig Glauben.
Public Diplomacy 2.0 heißt heute vor allem: Behörden, Streitkräfte oder Außenministerien kommunizieren nach von oberster Stelle vorgegebenen Mustern. Sie konkurrieren dabei mit Botschaften, die viel klarer auf ihre Zielgruppen zugeschnitten sind. Wie jene von den Anwerbern des „Islamischen Staates“, die auf YouTube und in sozialen Netzwerken zwar spontan und stichwortartig, zugleich aber sehr effektiv verbreitet werden. Sympathisanten werden auf Internetforen ermutigt, sich anzuschließen. Und die Frage, um die sich in sozialen Netzwerken alles dreht, ist doch: Wer teilt, wer verlinkt, wer empfiehlt und wer meldet? Und wer ist der Schnellste? Doch solange die westlichen Regierungen weder die Weltanschauungen anderer akzeptieren noch ihre Kommunikation daran anpassen, kann Public Diplomacy als politisches Mittel keine echte Wirkung zeigen.
Aus dem Französischen von Henrike Rohrlack