Versager unter sich
Politik und Wirtschaft tun herzlich wenig, um den Planeten zu retten. Dabei liegen die Lösungen auf der Hand
Der Geochemiker Roger Revelle hatte bereits vor über einem halben Jahrhundert die ungeheure Dimension der menschlichen Klimabeeinflussung beschrieben, indem er von einem „gigantischen Experiment“ der Menschen sprach. Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hat inzwischen den Begriff Anthropozän eingeführt, um den Beginn eines neuen Erdzeitalters zu kennzeichnen, in dem der Mensch einen ähnlich großen Einfluss auf die Umwelt ausübt wie natürliche Faktoren.
Das Klimaproblem ist hauptsächlich ein Energieproblem und hängt eng mit der Verfeuerung der fossilen Brennstoffe – Kohle, Erdöl und Erdgas – zur Energiegewinnung zusammen. Die Lösung dieses Problems erfordert den Umbau der weltweiten Energiesysteme. Und das macht die Sache so schwierig. Fast alle Bereiche unseres Lebens wären davon direkt oder indirekt betroffen.
Die Eliten aus Wirtschaft und Politik scheuen sich davor, den notwendigen Umbau zielstrebig voranzubringen. Das ist fatal, denn das Klima ist träge. Wir spüren das volle Ausmaß der vom Menschen verursachten Klimaänderung noch nicht. Es dauert Jahrzehnte, bis sich der Ausstoß von Treibhausgasen in Form eines Temperaturanstiegs an der Erdoberfläche äußert. Deswegen ist vorausschauendes Handeln geboten. Wenn wir heute Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen, dann wirken diese erst sehr viel später. Langfristiges Denken fehlt den Eliten. Die Zeit, um eine „gefährliche“ Klimaänderung zu vermeiden, wird immer knapper. Zu lange hat man das Problem ignoriert.
Für alle, die noch zweifeln: „Der menschliche Einfluss auf das Klima ist klar.“ So lautet der wohl wichtigste Satz aus dem letzten Synthesebericht des Weltklimarats, dem IPCC, vom Oktober 2014. So neu ist diese Erkenntnis nicht, ähnliche Passagen stehen in den meisten dieser Berichte, die seit 1990 erscheinen. Die Belege für die durch den Menschen verursachte, Klimaänderung sind in der Tat überwältigend. Die Erde hat sich seit Beginn der Industrialisierung um knapp ein Grad Celsius erwärmt. Das klingt nach lächerlich wenig.
Wenn man jedoch bedenkt, dass der globale Temperaturanstieg von einer Eiszeit zu einer Warmzeit circa fünf Grad Celsius beträgt, erscheint dieses eine Grad in einem ganz anderen Licht. Das Eis der Erde schmilzt mit einer ungeahnten Geschwindigkeit. In der Arktis zieht es sich so schnell zurück, selbst die Wissenschaftler sind überrascht. Zudem zeigt der Eispanzer Grönlands inzwischen erschreckende Massenverluste, ebenso das Eis der Westantarktis. In der Folge steigen die Meeresspiegel, aber auch wegen der Erwärmung der Ozeane, durch die sich das Meerwasser ausdehnt.
Im Jahr 1992 fand der Erdgipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro statt. Er sollte den Aufbruch in eine nachhaltige Entwicklung markieren. In der Klimarahmenkonvention von Rio hat sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, „…die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“. Zwanzig Jahre später, als man sich 2012 auf der Nachfolgekonferenz Rio+20 wiedertraf, war die Ernüchterung groß.
So sind seit Beginn der 1990er-Jahre die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen förmlich explodiert. Das gilt insbesondere für den CO2-Ausstoß, der um circa sechzig Prozent gestiegen ist. Kohlendioxid lässt obendrein die Weltmeere versauern, weil die Ozeane etwa ein Viertel des CO2 aufnehmen, das die Menschen in die Luft blasen. Die Folgen einer übermäßigen Meeresversauerung sind unabsehbar. Die Meeresökosysteme könnten schon in einigen Jahrzehnten kippen.
An Wissen über die Ursachen des Klimawandels und seine möglichen Folgen mangelt es nicht. Trotzdem passiert genau das Gegenteil von dem, was eigentlich passieren müsste. Man eilt von Weltklimakonferenz zu Weltklimakonferenz. In Paris will man Ende 2015 einen neuen Klimavertrag unterzeichnen. Das Ergebnis wird, wie schon in den Jahren zuvor, bescheiden ausfallen. Natürlich wird man von einem Durchbruch sprechen. Wahrscheinlich sogar von einem Durchbruch „historischen“ Ausmaßes. Delegierte werden sich am Ende der Konferenz in den Armen liegen. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Internationaler Klimaschutz findet nicht statt und wird wohl auch nach Paris nicht stattfinden. Die größten Verursacher von Treibhausgasen, China und die USA, haben bereits ihre mageren Ziele bekannt gegeben. Und auch die EU wird hinter ihren Zielen zurückbleiben. Es gibt bestenfalls so etwas wie einen „gefühlten“ Klimaschutz. Die Eliten versagen, und das auf allen Ebenen. Die Politik, die Wirtschaft, aber auch die Gewerkschaften. Allen ist nur eines gemein: die kurzfristige Sicht auf die Dinge. Dass diese Handlungsstarre ein Irrweg ist, wollen die Verantwortlichen nicht zur Kenntnis nehmen. Die nächsten Wahlen, Shareholder Value oder das Festhalten an althergebrachter Technologie wiegen schwerer.
Wir stehen heute vor ganz neuen Herausforderungen. Beim Klimawandel handelt es sich um ein sogenanntes systemisches Risiko. Wir leben in einer Zeit beschleunigter technologischer und gesellschaftlicher Entwicklung sowie einer zunehmenden globalen Vernetzung in Wirtschaft, Kommunikation, Politik und Kultur. Einfache Ursache-Wirkung-Prinzipien gelten nicht mehr. Ein als harmlos eingeschätztes Ereignis kann selbst über große Entfernungen oder nach einer langen Zeit ungeahnte Schäden entfalten, die die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems gefährden. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die letzte große Finanzkrise, die, ausgelöst durch die Immobilienblase in den USA, zu einer weltweiten Rezession geführt hat. Vorherzusehen war das nicht ohne Weiteres. Genauso wenig, wie die Wissenschaft die Folgen eines ungebremsten Klimawandels genau genug berechnen kann. Denn systemische Risiken sind durch ein hohes Maß an Komplexität, Ungewissheit und Ambiguität gekennzeichnet. Im Umgang mit diesen Risiken kommt dem Vorsorgeprinzip eine große Bedeutung zu. Dieses Prinzip muss praktisch umgesetzt werden. Das zu leisten wäre Aufgabe der Eliten. In unserem persönlichen Leben ist das bereits gang und gäbe.
Die Menschen sind jedoch dabei, ihre Zukunft zu verspielen. Übrigens nicht nur, weil sie die Erde plündern und die Umwelt zerstören. Auch deswegen, weil das Wohlergehen der Menschen von bezahlbarer Energie abhängt. Eine sichere und auch bezahlbare Energieversorgung können nur die erneuerbaren Energien leisten, wenn man die Zeit nach 2050 im Blick hat. Wir sind umgeben von Energie, sauberer Energie, die zudem nichts kostet. Ein Rohstoff, der nichts kostet. Wo gibt es das sonst? Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Wer das nicht sehen will, der wird sehr bald merken, dass man die aktuelle Entwicklung nicht aufhalten kann.
Die deutschen Energiekonzerne sind dabei, ihre Lektion zu lernen, sie geben es aber noch nicht offen zu. Sie pressen zwar den letzten Cent aus ihren veralteten Energieanlagen heraus, aber sie wissen schon, dass ihr Geschäftsmodell eines von gestern und nicht mehr zukunftsfähig ist. Man beginnt über sogenannte Bad Banks nachzudenken, in denen die Geschäfte mit den konventionellen Energien ihr „Zuhause“ finden sollen, zu denen auch die Atomkraft und die Entsorgung der nuklearen Abfälle zählen. Und schon wird der Ruf nach dem Staat laut. Wie immer, wenn sie aus eigenem Verschulden in Probleme geraten sind. Ist ein solches Verhalten einer Elite würdig?
Und was wird die Politik machen? Umfallen, angesichts der Macht der Konzerne, wie so oft? Oder wird sie eine langfristige Strategie für die Energieversorgung entwickeln und durchsetzen, die allen Menschen dient? Bisher war das jedenfalls nicht so. Welche Rolle spielen die Gewerkschaften? Die wollen scheinbar so lange wie möglich an der Kohle festhalten, dem Klimakiller Nummer eins. Diese ist tatsächlich weltweit auf dem Vormarsch. Kohle sichert Arbeitsplätze, sagen die Befürworter. Merken sie nicht, dass langfristig die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel steht?
Die beste Strategie zur Lösung des Klimaproblems besteht darin, das Übel an der Wurzel zu packen: Wenn wir ein Problem mit dem CO2 haben, sollten wir es gar nicht erst entstehen lassen. Alternativen existieren. Ein Strukturwandel ist immer schwierig. In der Energiewirtschaft hat er schon längst begonnen. Die Frage ist, ob wir jetzt die Weichen richtig stellen. Die Eliten sollten Vordenker und nicht auf schnelle Erfolge aus sein. Sie sollten uns den Weg in eine sichere Zukunft weisen.