Keine Superhelden
Medien inszenieren den Mossad als besten Geheimdienst der Welt – warum nur?
Es vergeht keine Woche, ohne dass eine neue Meldung über Mossad, den Auslandsgeheimdienst Israels, auftaucht. Wie kommt es, dass unter der Vielzahl der Geheimdienste gerade dieser so hervorsticht? Ganz einfach: Eine Nachricht mit „Mossad“ im Titel ist das Geheimrezept für hohe Leserzahlen. Man muss jedoch nicht unbedingt ein Spion sein, um zu realisieren, dass Mossad, im Vergleich zur amerikanischen CIA oder zum russischen FSB, eine relativ kleine, ja sogar unbedeutende Organisation ist. Betrachtet man die Einwohnerzahl Israels von gerade einmal acht Millionen Menschen, so ist dies kaum verwunderlich.
Das Geheimnis des Erfolgs des Mossad liegt nicht im Medienmythos, sondern in der Qualität seiner Mitarbeiter, die entgegen weitverbreiteter Vorstellungen normale Menschen und keine Superhelden sind. Die Grundanforderungen sind simpel: Authentizität, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit. Eine fehlgeschlagene Mission kann vorkommen. Jedoch ist es ein absolutes Tabu diesen fehlenden Vollzug nicht zu melden.
Zusätzlich erwünschte Eigenschaften sind eine ausgeglichene Persönlichkeit und rasche Auffassungsgabe, Stressresistenz, Sorgfalt, überdurchschnittlicher Mut und gute Fremdsprachenkenntnisse. Insbesondere Kreativität erhöht die Chance, vom Mossad eingestellt zu werden. Rekruten mit einem entsprechenden Naturell erhalten eine umfassende und vor allem teure Ausbildung, die sie zu Eliteagenten macht.
Lange Zeit wurden zukünftige Spione über Netzwerke und Kontakte rekrutiert. So kam auch ich in den 1970er-Jahren zum Mossad. Ich hatte damals ein Studium der allgemeinen Geschichte und Fernoststudien an der Hebräischen Universität Jerusalem und den regulären Militärdienst absolviert, war einer Tätigkeit als Radioreporter nachgegangen und frisch verheiratet. Nach einem langwierigen Auswahlverfahren war ich einer unter wenigen Hunderten, die schließlich die anstrengende und zermürbende Ausbildung antraten.
So wurde aus einem durchschnittlichen Burschen aus Tel Aviv ein diplomierter Spion. Aber ist ein sorgfältiges Ausleseverfahren für hoch qualifizierte Stellen etwas Außergewöhnliches? Auch Astronauten bei der NASA oder Hirnforscher haben einen langen und anstrengenden Weg zu gehen.
Die Schulungseinheiten beim Mossad sind sehr anspruchsvoll: „Du hast zehn Minuten, um mit einem Glas Wasser auf dem Balkon im fünften Stock des Hauses gegenüber zu stehen“, gab mein Ausbilder beispielsweise vor. Mission impossible? Nicht für Spione. Ich klingelte an der Haustür und erklärte, ich käme von einem Fernsehteam: „Ihr Balkon, gnädige Frau, scheint der perfekte Ort für unsere Kamera. Natürlich zahlen wir gut. Und es ist so heiß, dürfte ich bitte ein Glas Wasser haben?“
Und tut mir leid, aber ich muss eine weitere Illusion zerstören: Der Umgang mit Waffen und die Nahkampfausbildung spielen eine sehr untergeordnete Rolle, da 99,9 Prozent der Operationen nach Möglichkeit im Stillen ohne Gewalt geschehen. Ausbildungsinhalte sind vor allem die Kunst der Überwachung, Fotografie, Schlösser knacken und andere zwielichtige Tätigkeiten. So ähnlich läuft das Training bei CIA, BND oder FSB auch ab.
Die Grundprinzipien haben sich seit meiner Ausbildung nicht stark verändert, jedoch ist der Mossad mit der Zeit gegangen. Er hat sich vergrößert und macht sich nun auch moderne Technologien wie das Internet als Rekrutierungsplattform zunutze. Endlose Fragen, psychologische Tests und andere hoch entwickelte Techniken sowie die Unmenge an persönlichen Informationen aus Google, Facebook und Twitter filtern verdächtige und allzu abenteuerlustige Bewerber aus. Wer es schafft, hat von nun an die Aufgabe, Israel vor feindlichen Staaten und Terrororganisationen zu verteidigen. Das macht die Mossadagenten gewiss zu einer Art Elite, die sich jedoch nicht sonderlich von anderen Geheimagenten weltweit unterscheidet.
Aus dem Englischen von Claudia Kotte und Mirjam Karrer