„Eine Olympiade für Soldaten“
Ein Gespräch mit dem nepalesischen Gurkha Davendra Ale über hartes Training, Aufstiegsträume und das Leben als Elitesoldat
Herr Ale, was ist ein Gurkha?
Ein Gurkha ist ein nepalesischer Soldat, der in der britischen Armee dient. Gurkhas gibt es schon seit etwa zweihundert Jahren.
Im Zuge der damaligen Invasion Nepals sicherte sich die britische Ostindienkompanie das Recht, nepalesische Söldner zu rekrutieren. Warum überhaupt?
Die nepalesischen Soldaten galten als zäh und ausdauernd. Man dachte wohl, dass man sie in Zukunft gebrauchen könne. Außerdem zeichneten sich die nepalesischen Soldaten durch ihren Gehorsam aus.
Wie kamen Sie zu den Gurkhas?
Ich wusste eigentlich seit meiner Kindheit, wohin mein Weg führen sollte. Mein Vater war ein Gurkha, da nimmt man natürlich das eine oder andere mit. Für ihn war der Weg dorthin allerdings ein anderer. Zu seiner Zeit kamen britische Musterungsoffiziere in die Dörfer und wählten die Männer aus, die sie für geeignet hielten. Er war einer von ihnen.
Und bei Ihnen war das anders?
Zumindest war es schwieriger. 1988 trafen die Offiziere keine Auswahl mehr. Wir durften uns freiwillig melden. Natürlich war die Konkurrenz da plötzlich eine andere. Jeder wollte in die britische Armee und die Offiziere nahmen bis zu sechzig Freiwillige mit. Wir wurden in die regionalen Ausbildungscamps in Dharan und Pokhara gebracht und mussten uns dann gegen unsere Mitstreiter durchsetzten. Sit-ups, Liegestütze, Gewichtheben, kilometerlange Bergläufe mit Gepäck – am Ende schaffte es nur jeder Dritte. Aber ich kann mich nicht beschweren. Heutzutage ist das Verfahren noch schwieriger.
Inwiefern?
Die Konkurrenz ist jetzt noch größer. Mittlerweile streiten sich rund 10.000 Bewerber im Jahr um etwas mehr als hundert Plätze. Außerdem sind die physischen Anforderungen heutzutage nur noch ein Teil der Gurkha-Ausbildung. Man muss jetzt einen Logik- und Mathematiktest absolvieren und viel bessere Englischkenntnisse vorweisen können als zu meiner Zeit. Am Ende schaffen es nur noch die Besten der Besten. Es ist wie eine Olympiade für Soldaten.
Nicht zuletzt deshalb werden Gurkhas wohl als echte Elitesoldaten wahrgenommen. Bei seinem Afghanistan-Besuch vor einigen Jahren wurde Prinz Harry nicht umsonst von einem eigenen Gurkha-Regiment begleitet.
Gurkhas geben immer ihr Bestes, dieser Ruf eilt uns voraus. Ob uns das zu einer Elite macht, will ich nicht beurteilen. Das sollen andere tun. Natürlich ist es eine Ehre, wenn Leute uns so wahrnehmen, aber wenn ich an Eliten denke, dann denke ich an die Banker in London. Und zu denen gehöre ich mit Sicherheit nicht.
Warum reißen sich so viele junge Männer darum, Gurkhas zu werden? Kämpfen für ein anderes Land, das klingt ja nicht wirklich verlockend.
Der wichtigste Grund ist wohl, dass es ihnen die Türen zur Welt öffnet. Schauen Sie mich an. Ich bin seit 26 Jahren dabei, war bereits in Hongkong stationiert, habe Deutschland besucht und lebe heute in England. Das ist natürlich für die meisten Nepalesen nicht möglich. In meinem Heimatdorf wird mir viel Respekt entgegengebracht, weil ich „den Westen“ gesehen und von den Menschen hier gelernt habe.
Also kämpfen die Bewerber vor allem um sozialen Aufstieg?
Mit Sicherheit. Allein das Gehalt in der britischen Armee ist natürlich besser als das, was man aus Nepal gewohnt ist. Zudem bieten sich auch in der Armee selbst Aufstiegschancen. Ich habe mich zum Beispiel bis in den Rang des Majors vorgearbeitet. Heute bin ich für mehr als vierhundert Gurkhas verantwortlich. Ich habe eine echte Karriere gemacht. Das hat mein Leben natürlich grundlegend verändert.
War es nicht schwer, Ihre Familie zurückzulassen?
Natürlich, aber meine Frau, die ich noch während meiner ersten Dienstzeit in Nepal kennengelernt habe, ist mit mir nach England gezogen. Ich habe noch vier Dienstjahre vor mir, dann gehen wir zurück nach Nepal.
Das Interview führte Kai Schnier